Berlin. Das grausame Töten von männlichen Küken bleibt nach einem Gerichtsurteil vorerst erlaubt. Doch der Tierschutz ist trotzdem gestärkt.

Paragraf 1 des Tierschutzgesetzes lautet: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Wirtschaftliche Interessen der Geflügelwirtschaft waren bislang einer dieser „vernünftigen Gründe“ dafür, dass jedes Jahr in Deutschland 45 Millionen männliche Küken in Brutbetrieben getötet werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun dem Tierschutz mit dem Kükenschredder-Urteil mehr Gewicht gegeben, das Tierwohl höher gestellt als die wirtschaftlichen Interessen der Brutbetriebe.

Kükentöten bleibt erlaubt – Das Wichtigste in Kürze

  • Männliche Küken dürfen weiter getötet werden - so lange, bis eine Technik ihr Geschlecht erkennt
  • Jedes Jahr werden Millionen Tiere getötet
  • Das Urteil zeigt: Tierwohl ist der Gesellschaft doch wichtig

Doch weil die tierschutzwidrige Praxis jahrzehntelang hingenommen wurde, bleibt das Kükentöten erlaubt, bis eine Technik zur Geschlechtsbestimmung zur Verfügung steht. Tierschutz stärken, Kükentöten erlauben – dieses Urteil ist nicht leicht zu verstehen. Doch es ist die Grundlage dafür, endlich eine Debatte über indus­trielle Landwirtschaft und den Umgang mit Tieren zu führen.

Vor dem Gericht gab es Protest gegen das Kükenschreddern.
Vor dem Gericht gab es Protest gegen das Kükenschreddern. © dpa | Jan Woitas

Fast 60 Milliarden Euro an Agrarsubventionen werden aus dem EU-Haushalt an die Länder verteilt, um eine Hochleistungslandwirtschaft zu päppeln. Allein in Deutschland, so rechnet die Albert-Schweitzer-Stiftung vor, leben und sterben 745 Millionen Tiere in Massentierhaltung. Man kürzt ihnen die Hörner, Ringelschwänze und Schnäbel, damit sie in diese Haltungsformen überhaupt hineinpassen.

Küken werden als Produktionsware gesehen

Man verabreicht ihnen Antibiotika, damit sie möglichst lange leistungsfähig bleiben. Denn Leistung hat ihnen der Mensch angezüchtet. Die Milchkuh etwa. Vor 100 Jahren gab sie zehn Liter Milch, heute sind es bis zu 50. Früher fraß sie am Tag 10.000 Kalorien, heute sind es dank des Kraftfutters 50.000. Eigentlich beträgt das natürliche Lebensalter einer Milchkuh 20 Jahre. Turbo-Kühe werden nur fünf Jahre alt.

Das maschinelle Töten männlicher Küken ist Teil dieses Systems, in dem man Tiere nicht mehr als Lebewesen sieht und behandelt, sondern als Produktionsware. Seit Jahren gibt es bereits die Forderung, Alternativen zum Kükentöten zu finden. Doch trotz der Milliarden, die in die Agrarfabriken fließen, ist offenbar zu wenig Geld übrig, um die Erforschung und Markteinführung jener Technologien voranzutreiben, die den Tieren ein elendiges Schicksal ersparen.

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Was für eine Raketentechnik muss das sein, an der in Deutschland so lange getüftelt wird und die immer noch nicht marktreif ist? Die offenbar so teuer ist, dass man den Brütereien eine Umstellung immer noch nicht zumuten will?

Millionenfache Tötung der Küken muss schnell beendet werden

Wir Verbraucher leben zugleich im Widerspruch. Wir schreiben den Tierschutz ins Grundgesetz und nehmen die Massentötung von Küken hin, weil Fleisch und Eier womöglich teurer würden. Ein Beispiel dafür ist die Reaktion auf einen neuen Weg in der Geflügelhaltung, den Forscher nun vorschlagen. Statt weiter auf die für die jeweilige Nutzungsart hochgezüchteten Hühnerlinien zu setzen, soll ein Zweinutzungshuhn das Kükentöten überflüssig machen.

Die Henne einer bestimmten Hühnerlinie legt Eier, der Hahn wird zur Fleischgewinnung genutzt. Beide Nutzungen würden jedoch weniger Geld einbringen: Zweinutzungshennen legen im Jahr 50 Eier weniger, die Hähne müssen im Vergleich zu den konventionellen Tieren doppelt so lange gemästet werden. Eine Umfrage unter Verbrauchern ergab: Nur 25 Prozent waren bereit, mehr Geld für diese Eier auszugeben, nur 16 Prozent würden das teurere Fleisch kaufen.

Das millionenfache Töten von Küken zum Zwecke der Gewinnmaximierung muss so schnell wie möglich beendet werden. So haben es Regierungs­­koalitionen versprochen. Aus Angst, Stammwähler zu vergrätzen, wurde Tierleid in Kauf genommen. Das ist eklatantes Politikversagen.