Berlin. Nach der Europawahl steht Nahles’ Amt zur Abstimmung. Die SPD zeigt sich von ihrer hässlichsten Seite. Wie war das mit Solidarität?

Politik ist oft ein ziemlich unappetitliches Geschäft. Besonders unappetitlich ist das Drama, das in diesen Tagen rund um die erste weibliche Parteivorsitzende der Sozialdemokraten aufgeführt wird. Andrea Nahles ist erst 20 Monate im Amt und schon jetzt aus den eigenen Reihen sturmreif geschossen. Von Heckenschützen aus den Hinterzimmern.

Das katastrophale Ergebnis bei der Europawahl und der drohende Machtverlust in Bremen haben die letzten Hemmungen der Partei-„Freunde“ fallen lassen. Nahles’ Entscheidung, die Fraktion zum Schwur über ihr politisches Schicksal zu zwingen, ist ein mutiger, verzweifelter Schritt.

Sie kalkuliert, dass bei ihren Widersachern die Feigheit siegt. Dieser Schritt zeigt aber zugleich das größte Problem der alten Volkspartei SPD: Es gibt in ihrer Spitze nämlich zu viele, die Lust an politischer Enthauptung haben. Und es gibt zu wenige, die Mut und Bereitschaft zur Verantwortung haben.

Nahles und die SPD-Krise: Munter feuern – und in Deckung bleiben

Führungspositionen in der SPD werden schon länger nicht mehr mit offenem Visier erkämpft. Es sind hässliche Zangengeburten. Unvergessen das Drama um den Kanzlerkandidaten 2017. Es ging um die ehrenvolle Aufgabe, dieses Land zu regieren. Wie eine glühend heiße Kartoffel wurde der Job unter den SPD-Granden herumgereicht, bis ausgerechnet Martin Schulz auf die schlechte Idee kam, zuzugreifen. Seine Brandblasen sind bis heute nicht verheilt.

Jetzt soll also die Fraktionschefin geschasst werden. Ein Angriff, der am Ende auch gegen ihren Parteivorsitz geführt wird. Die SPD soll in Wahrheit schon wieder einen neuen Vorsitzenden bekommen. Seit dem Jahr 2000 waren es zehn an der Zahl. Jetzt wird wieder munter gefeuert und niemand tritt niemand aus der Deckung. Es sind Chaostage in der SPD.

Nahles hat Fehler gemacht – wenig Neues, viel Arroganz

Gut möglich, dass Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende abgewählt wird und kein Nachfolger parat steht. Besser könnte man die Lust an der Selbstzerfleischung der Sozialdemokraten nicht dokumentieren. Ja, auch Andrea Nahles hat Fehler gemacht.

Die Übernahme der Partei versprühte zu wenig Neuaufbruch und zu viel Arroganz der Macht. Ja, sie hat mit albernen Pipi-Langstrumpf-Sprüchen Freund und Feind genervt. Aber sie hat im richtigen Moment Verantwortung gezeigt und dafür gesorgt, dass das Land stabil weiterregiert werden kann.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Das ist zu wenig, meinen jetzt ihre Kritiker. Das ist aber mehr als nur von der Galerie den SPD-Besserwisser zu geben. Davon gibt es in der Partei mehr als genug. Man traut seinen Ohren nicht, wenn man die Männer, die eben noch Parteichef oder Minister waren, über die schlimmsten Fehler der Partei schwadronieren hört. Als hätten sie vom Mars aus zugesehen, wie die Partei in die Grütze fährt.

Hintergrund: SPD-Fraktionsvorsitz: Schulz tritt nicht gegen Nahles an

Solidarität? Offenbar nur noch ein Wort ohne Bedeutung in der SPD

Schon die Linken-Ikone Kurt Tucholsky hat einmal kühl analysiert: „Man fällt nicht über seine Fehler. Man fällt über seine Feinde, die diese Fehler ausnutzen.“ Und das beschreibt exakt das vielleicht größte Problem der SPD.

Ausgerechnet die Partei, in der keine Rede ohne das Wort „Solidarität“ auskommt, gibt es offenbar keine Lust mehr am gemeinsamen Gelingen. Die Missgunst in der Führung ist größer als die Bereitschaft zur Verantwortung oder die Kraft zum echten Miteinander.

So etwas spürt der Wähler und er ist davon angewidert. Er will eigentlich wissen, wer gute Ideen hat – und nicht wer sich traut, die böseste Abrechnung mit der aktuellen Parteiführung zu formulieren. Solange sich das nicht ändert, wird nichts besser werden für Deutschlands älteste Volkspartei, der das Volk abhanden kommt. Da hilft auch nicht, wenn es bald wieder heißt: „Der Nächste bitte!“