Berlin. Bei den Sozialdemokraten wächst der Widerstand gegen Nahles. Aber es gibt auch Unterstützer. Wer gerade was über sie zu sagen hat.

Nicht weniger als dreieinhalb Stunden brauchte Andrea Nahles, um im erweiterten Vorstand der Bundestagsfraktion überhaupt nur ihren Fahrplan durchzusetzen. Nach heftigen Diskussionen stimmten die führenden Abgeordneten mit 19:9 Stimmen dafür, dass Nahles am Dienstag die Vertrauensfrage stellen kann.

Von einem Etappensieg zu sprechen, wäre vermessen. Nahles befindet sich in einer brandgefährlichen Lage. Ihre Wiederwahl stand erst im September an. Nach dem Absturz der SPD bei den Europawahlen und in Bremen war sie in die Offensive gegangen, um ihre Kritiker aus der Deckung zu locken.

Aus Parteikreisen heißt es laut einem Bericht der VRM-Gruppe (u.a. „Mainzer Allgemeine Zeitung“) bei Probeabstimmungen habe es keine Mehrheit für Nahles gegeben. Wichtige SPD-Politiker wiesen den Bericht später jedoch zurück.

Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, twitterte: „Es gab keine Probeabstimmungen.“ Auch Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, schrieb auf Twitter, es habe keine Probeabstimmung gegeben.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

SPD und Chefin Nahles: Es tobt ein Machtkampf

Aber würde ein Sturz der 48-Jährigen die SPD vitalisieren, die in der großen Koalition an Schwindsucht leidet? Jeder und jede, die ihr nachfolgten, liefe Gefahr, bei Wahlniederlagen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen als Hoffnungsträger sofort verbrannt zu sein. Stunde um Stunde wurde beraten.

Zeitweise stand im Raum, Nahles komplett auflaufen und im September regulär über den Fraktionsvorstand abstimmen zu lassen. Das wäre eine Demontage gewesen. Eine Vorsitzende, die noch nicht einmal mehr die Kraft hat, sich bei Regularien durchzusetzen? So weit kam es nicht.

In der Zwischenzeit erhielten alle SPD-Abgeordneten eine Mail von Martin Schulz. Seit Wochen wurde spekuliert, der Ex-Kanzlerkandidat und frühere Parteivorsitzende säge an Nahles’ Stuhl. „Ich werde nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren“, schrieb Schulz. Vor zwei Wochen hatte Nahles ihn zur Rede gestellt und unter vier Augen gefragt, ob er einen Putsch gegen sie anführe.

Anschließend war genau das berichtet worden, was „ihn in ein schlechtes Licht“ gerückt habe: „Über den Inhalt dieses Gesprächs hatten wir Stillschweigen vereinbart. Ich habe mich stets daran gehalten“, beklagte sich Schulz. In der vierstündigen Fraktionssondersitzung ergänzte er, er sei mit Sigmar Gabriel verglichen worden, der Nahles den Rücktritt nahegelegt hatte. „Das belastet mein Seelenheil.“

Barley, Pronold und Burkert sprechen sich für Nahles aus

Der frühere Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann forderte eine faire Beurteilung von Nahles. „Ich halte es für keine schlaue Idee, in dieser Situation die Führung auszuwechseln“, sagte der Bundestagsvizepräsident nach Angaben von Teilnehmern.

Noch-Justizministerin Katarina Barley, Umweltstaatssekretär Florian Pronold und Martin Burkert, Chef der bayerischen SPD-Abgeordneten, sprachen sich für Nahles aus. In der Sitzung gab es etwa 40 Wortmeldungen. Ein Gegenkandidat kam bislang nicht aus der Deckung. „Ich finde das feige“, sagte Fraktionsvize Karl Lauterbach.

Und weiter: „Andrea Nahles ist nicht schuld an den Niederlagen.“ Einer, der es versuchen könnte, ist Achim Post. Der 60-Jährige ist stellvertretender Fraktionvorsitzender und gilt als Stratege. Als Chef der einflussreichen, weil großen Landesgruppe NRW ist er außerdem mit einer stabilen Hausmacht ausgestattet.

Doch auch wenn Nahles am Dienstag ohne Gegenkandidat antritt, ist nicht sicher, dass sie Fraktionschefin bleibt. Schenkt ihr weniger als die Hälfte der Fraktion das Vertrauen, wäre sie weg. Dann könnte der Weg frei sein für andere, die eine Kampfkandidatur vermeiden wollten. Der Anführer der Parteilinken, Matthias Miersch, sagte in einer internen Runde, er werde nicht gegen Nahles antreten.

Doch ohne die aktuelle Chefin als Gegnerin könnte Miersch sein Profil als Umwelt- und Klimapolitiker an die Spitze der Fraktion tragen. Kein anderes Thema, das hat die Europawahl gezeigt, entwickelt derzeit eine vergleichbare Dynamik wie der drohende Klimakollaps.

Kahrs: Solidarisierungswelle könnte noch einsetzen

Es könnte auch noch eine Solidarisierungswelle einsetzen, um den Schaden zu begrenzen. „Sozialdemokraten sind in Zeiten der Krise solidarisch“, sagte Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion, unserer Redaktion. Es werde deshalb nur eine Kandidatin geben, nämlich Nahles, und die werde auch gewählt.

„Wer sich hätte melden wollen, hätte das am Mittwoch tun können. Und meiner Meinung nach auch tun müssen.“ Aus Nahles’ Umfeld hieß es: „Mehrheit ist Mehrheit.“ Gerüchte, Nahles könnte versuchen, sich auf einen Ministerposten zu retten, wurden von einer Sprecherin zurückgewiesen.

Florian Post, ein kaltgestellter Abgeordneter, riet Nahles zu gehen: „Nur weil es Andreas Kindheitstraum war, Führungspositionen in der SPD zu besetzen, darf sie jetzt nicht die ganze Partei in Geiselhaft nehmen.“ Viele Genossen dürften entsetzt darüber sein, welches Bild die taumelnde Volkspartei abgibt. „Wenn wir nicht damit aufhören, stehen wir bald bei zehn Prozent“, meinte ein Abgeordneter.

Im Stammland NRW rumort es heftig

An der Basis wächst währenddessen der Unmut über die ungeliebte große Koalition. Viele machen das Bündnis mit der Union mitverantwortlich für die Misere der Partei, vor allem im SPD-Stammland NRW rumort es in vielen Unterbezirken. Die Düsseldorfer Genossen fordern den Ausstieg offiziell per Beschluss.

Auch wenn Nahles im Amt bestätigt wird: Sollten die Ost-Landtagswahlen für die SPD so desaströs ausgehen, wie es sich abzeichnet, könnten die Fliehkräfte nicht nur die SPD, sondern die Regierung zerreißen.

• Kommentar: Große Koalition am Scheideweg: Aufhören – oder regieren

Rettet sich Nahles auf einen Ministerposten?

Gerüchte, Nahles könnte versuchen, sich auf einen Ministerposten zu retten, wurden in Parteikreisen zurückgewiesen. Das wäre Postengeschacher wie in der Maaßen-Affäre. Florian Post, ein kaltgestellter Abgeordneter und Gabriel-Vertrauter, riet Nahles zu gehen: „Nur weil es Andreas Kindheitstraum war, Führungspositionen in der SPD zu besetzen, darf sie jetzt nicht die ganze Partei in Geiselhaft nehmen.“

Viele Genossen dürften entsetzt sein, welches Bild die taumelnde Volkspartei gerade abgibt. „Wenn wir nicht damit aufhören, stehen wir bald bei zehn Prozent“, meinte ein Abgeordneter.