Berlin. In Nordirland ist bei einem terroristischen Vorfall eine Frau gestorben. Seit Jahresbeginn gibt es immer wieder Anschläge in der Stadt.

Es deutete vieles darauf hin, auch Polizeipräsident Mark Hamilton hatte es schnell gemutmaßt: Die militante Republikaner-Gruppe Neue IRA hat sich zu dem Mord an einer Journalistin in Nordirland bekannt. Es habe sich dabei um ein Versehen verhandelt, geht aus dem Schreiben hervor – der Familie des Opfers wird Beileid ausgesprochen.

„Im Laufe des Angriffs auf den Feind wurde Lyra McKee tragischerweise getötet, während sie neben den feindlichen Kräften stand“, heißt es in dem Schriftstück. Man wolle sich bei dem Partner des Opfers, der Familie und ihren Freunden aufrichtig entschuldigen. Der Brief wurde den Angaben zufolge durch ein anerkanntes Kennwort verifiziert.

In Tatortnähe am Rande von Londonderry waren vor dem Mord mehr als 50 Brandsätze auf Polizisten geschleudert worden. Fahrzeuge brannten. Zuvor hatten Polizisten in dem Wohnviertel nach Waffen gesucht. Auslöser für die Krawalle soll der jährliche Protest an Ostern im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt gewesen sein.

Neue IRA: Terrorismus in Nordirland meldet sich zurück – Frau stirbt

Die Ruhe war trügerisch. In der Nacht zum Karfreitag kam es in Londonderry zu schweren Straßenunruhen, in deren Verlauf eine 29-jährige Journalistin erschossen wurde. Der Terrorismus in Nordirland meldete sich damit zurück.

Am Samstag gaben die Ermittler bekannt, zwei Verdächtige festgenommen zu haben. Die Männer sind 18 und 19 Jahre alt. Sie werden in Belfast, der Hauptstadt des britischen Landesteils, verhört. Die Polizei hatte am Freitagabend ein Video mit einem vermummten Verdächtigen zur Veröffentlichung freigegeben.

Nordirland und der Terror – New IRA hat bereits Anschläge verübt

Die Neue IRA hatte schon im Januar dieses Jahres einen Bombenanschlag auf das Gerichtsgebäude in Londonderry verübt. Londonderry hat rund 85.000 Einwohner und liegt im äußersten Nordwesten der nordirischen Provinz an der Grenze zur Republik Irland. Dort wohnen vor allem Katholiken. Traurige Berühmtheit erlangte Londonderry durch den sogenannten Blutsonntag.

Britische Fallschirmjäger erschossen am 30. Januar 1972 – dem „Bloody Sunday“ – dort 13 katholische Demonstranten. Ein weiterer Demonstrant starb Monate später an seinen Verletzungen. Aus Rache verübte die irisch-republikanische Untergrundorganisation IRA mehrere Anschläge.

Ostern ist für nordirische Republikaner ein wichtiges Datum im Kalender, denn der irische Osteraufstand im Jahr 1916 – obwohl schnell niedergeschlagen – leitete den Unabhängigkeitskampf gegen die britischen Besatzer ein.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Randale auf der Straße, als Polizei Häuser durchsuchte

In diesem Jahr wollte die PSNI im Vorfeld zu den Gedenkveranstaltungen am Wochenende Waffenlager im berüchtigten Stadtteil Creggan ausheben. Als die Polizei Hausdurchsuchungen vornahm, zeigten sich die republikanischen Kräfte vorbereitet. Es kam zu Randalen auf den Straßen.

Mehr als 50 Brandsätze wurden geschleudert und zwei Autos ­gekapert und in Brand gesteckt. Gegen 23 Uhr tauchte ein bewaffneter Demonstrant auf, der mehrere Schüsse auf die Polizei abgab.

Die Journalistin Lyra McKee wurde dabei in den Kopf getroffen. „Ich stand neben dieser Frau“, berichtete die Augenzeugin Leona O’Neill. „Sie fiel neben dem Land Rover der Polizei zu Boden.“ O’Neill rief eine Notfallambulanz, aber McKee starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus.

Im Zuge der Brexit-Verhandlungen wuchsen die Sorgen

Nachdem sich 1997 die Untergrundorganisation IRA zum Friedensprozess bekannte und im Jahr 2005 erklärte, ihre Waffenlager aufgeben zu wollen, hat sich die Neue IRA zur bedeutendsten Nachfolgeorganisation gemausert. Der britische Inlandsgeheimdienst MI5 hält sie und andere Dissidentengruppen für so gefährlich, dass er rund 20 Prozent seiner Mitarbeiter (circa 700 Agenten) in Belfast stationiert hat.

Wie zuvor die IRA mit Sinn Fein hat auch die Neue IRA mit „Saoradh“ (auf Irisch „Befreiung“) einen politischen Flügel. Die Kleinstpartei ist gegen das Karfreitagsabkommen, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendete, und hält weiterhin am Unabhängigkeitskampf fest. „Die Leute vergessen“, sagte ihr Sprecher Paddy Gallagher, „dass wir immer noch ein besetztes Land sind.“ Er sieht im Brexit die Chance für einen „erneuten Konflikt“. Und: „Wenn es wieder eine bemannte Grenze oder feste Installationen gibt, würde das die Leute erinnern. Und die Wut darüber ginge an die britische Adresse.“

Zuletzt waren im Zuge der Brexit-Verhandlungen die Sorgen gewachsen, dass die drohende Einführung von Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und der auch künftig zur EU gehörenden Republik Irland die Gewaltspirale in der Ex-Bürgerkriegsregion wieder in Gang setzen könnte. In dem Konflikt standen katholische Nationalisten, die eine Vereinigung mit Irland anstreben, protestantischen Unionisten gegenüber, die weiterhin zu Großbritannien gehören wollen.

Politiker verurteilen neuen Ausbruch der Gewalt

Die Neue IRA und Saoradh setzen nicht nur auf den Brexit und eine harte Grenze. In diesem Jahr jährt sich zum 100. Mal der Beginn des irischen Unabhängigkeitskrieges. „Die Revolution geht weiter“, erklärte die Neue IRA, als sie im Januar den Bombenanschlag in Londonderry verübte.

Zwar ist nicht zu erwarten, dass eine Splitterorganisation, die weniger als 100 Mitglieder hat, die Nordiren wieder zum Bürgerkrieg aufhetzen könnte. Aber Schaden kann sie allemal anrichten. Der Terror ist aus Nordirland nicht verschwunden. Allein im vergangenen Jahr gab es 148 einschlägige Verhaftungen, zwei Tote,

17 Bombenanschläge und 15 Anklagen. Mehr als 3200 Schuss Munition wurden sichergestellt. Mit dem jüngsten Zwischenfall hat die Neue IRA demonstriert, dass sie weiterhin am bewaffneten Kampf festhält.

Politiker sowohl aus dem Vereinigten Königreich als auch aus Irland verurteilten die Gewalt in Londonderry scharf. Auch die EU-Kommission hat besorgt reagiert. „Wir verurteilen solche Gewalt und sind zuversichtlich, dass die britischen Behörden die genauen Umstände dieses tragischen Vorfalls aufklären werden“, erklärte ein Sprecher der Brüsseler Behörde am Freitag.

Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahl, Manfred Weber, erklärte auf Twitter: „Dieser besorgniserregende Anstieg der Gewalt in Nordirland ist auch eine Warnung an uns: Wir müssen alles tun, um den Frieden in Nordirland und das Karfreitagsabkommen trotz des Brexits zu sichern.“ London will in Sachen Brexit eine Nachverhandlung in der Irland-Frage. (Jochen Wittmann)