Berlin . Ein neues Gesetz soll die Polizei bei der Jagd auf Täter in Chatforen helfen: Schon die Kontaktaufnahme zu Kindern soll strafbar sein.

Der Chat-Nutzer, der sich „Deejay“ nennt, braucht nicht lange, bis er sein Motiv offenbart. „Wie alt bist du?“, fragt er ein Mädchen namens „Tara“. „Bin 12 und du?“, antwortet das Kind. Dann sagt „Deejay“ in die Kamera seines Computers: „18, willst du mein pipimann sehen“. Dahinter setzt er einen Smiley. In dem Protokoll aus dem Video-Chat bei „Skype“, das unserer Redaktion vorliegt, verlangt der Nutzer noch mehr von dem Mädchen. Er zeigt seinen Penis in die Webkamera und er will, dass sich das Mädchen auszieht. „zeig titten, ich mach licht an“, spricht er in die Kamera.

Was der Nutzer nicht weiß – „Tara“ ist kein Mädchen, sondern eine junge Polizistin des hessischen Landeskriminalamtes. Sie hat sich vor eine Kamera am Computer gesetzt, das Bild ist unscharf gestellt, damit ihr eigentliches Alter und die Tarnung nicht auffliegen. Der Raum, in dem die Ermittlerin mit den Tätern Kontakt aufnimmt, ist wie ein Kinderzimmer eingerichtet. Poster an der Wand, bunte Möbel, Kinderbett.

Die Beamtin ermittelt verdeckt im Internet, ist auf der Jagd vor allem nach Männern, die Kinder missbrauchen wollen. „Cybergrooming“ – so nennen Kriminalisten die Maschen, mit denen Sexualstraftäter ihre Opfer ansprechen, ihr Vertrauen gewinnen wollen und sie manipulieren, um sie am Ende zu missbrauchen. Kindesmissbrauch ist strafbar, und auch das Anbahnen an Kinder mit dem Ziel des Missbrauchs.

Cybergrooming über die Plattform „Knuddels“

„In Chats, Messengern oder Computerspielen geben sich Täter selbst als Kinder aus. Wer einem Kind zum Beispiel Bilder schickt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, kann schon heute mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden“, sagt Justizministerin Barley.

In ihren fingierten Chats verwickelte die hessische Polizistin etliche Internetnutzer in Gespräche. Sie meldete sich mit einem ausgedachten Profil etwa bei der Plattform „Knuddels“ an, die speziell Kinder und Jugendliche anspricht und zum Chatten und Spielen einlädt. Es dauerte nie lang, bis die Beamtin „Tara“ angesprochen wurde.

Für die Täter ist das Internet ein guter Schutz, sie sind anonym, werden vor ihrem Computer nicht beobachtet, können verschiedene Netzwerke wie Skype, Facebook oder Instagram nutzen. Über die Profile der Kinder entdecken sie schnell die Opfer, die sie suchen: Jungen, Mädchen, kleine Kinder, Teenager.

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Täter suchen spätere Missbrauchsopfer im Netz

2017 verzeichnete die Polizeistatistik in Deutschland rund 12.000 Ermittlungsverfahren allein nur für sexuellen Kindesmissbrauch. Opfer sind zu etwa drei Viertel Mädchen und einem Viertel Jungen. Oft erfahren sie Gewalt in der Familie oder durch Nachbarn. Immer häufiger aber suchen Täter im Internet nach ihren Opfern, zwingen Kinder zu sexuellen Handlungen oder verabreden sich in Chats mit den Mädchen oder Jungen, um sie zu missbrauchen. Denn eben diese Chats suggerieren einem Kind eine falsche Nähe zu Fremden. Und Täter gehen die Kommunikation mit ihren Opfern oft strategisch an – viele sind Profis im Delikt des „Cybergroomings“.

Vor allem in der Cyberwelt ist das Dunkelfeld von Opfern und Tätern enorm. Denn nur selten erzählen junge Opfer ihren Eltern oder gar der Polizei von ihrem Missbrauchserlebnis – oder dem Versuch. Oft aus Scham, oft auch, weil sie erst Jahre später realisieren, was ihnen widerfahren ist.

“Cybergrooming“ soll zum Straftatbestand werden

Also machen sich die Ermittler vor allem verdeckt auf die Jagd nach den Tätern, versuchen, auf Webseiten Netzwerke von Kriminellen zu entdecken, Kinderpornografie aufzuspüren und IP-Adressen der mutmaßlichen Täter nachzuverfolgen, mit denen sie dann die Wohnungsadressen ausfindig machen können. Allerdings stehen sie vor einem großen Problem: Ihre Grenzen, verdeckt zu ermitteln, sind eng gesteckt.

Das trifft auch die Straftat des „Cybergroomings“. Denn der Versuch dieses Anbahnens der Täter an die Opfer ist bisher nicht strafbar. Und das hat Folgen. „Wenn ein Täter nur glaubt, mit einem Kind zu kommunizieren, tatsächlich aber mit verdeckten Ermittlern oder Eltern Kontakt hat, ist das bislang nicht strafbar. Das ändern wir jetzt und erfassen auch diese Fälle“, sagt Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) unserer Redaktion.

Ihr Ministerium bringt einen neuen Gesetzentwurf auf den Weg, der unserer Redaktion vorliegt. Auch der Versuch des „Cybergroomings“ soll künftig unter Strafe stehen. Kommt der Gesetzentwurf durch, können Täter künftig auch strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie etwa auf Lock-Profile von verdeckten Ermittlern hereinfallen. Denn obwohl sie am Ende eben gerade kein Kind zum Missbrauch kontaktiert haben, ist die Intention der Täter laut Ministerium in solchen Fällen klar – und soll bestraft werden. Denn, so die Argumentation, sie wussten ja nur nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Barley hob hervor: „Wir schützen Kinder in der digitalen Welt.“ Denn sexueller Missbrauch beginne „oft im Schatten der Anonymität des Netzes“.

Delikte nehmen zu

Auch Polizei und Staatsanwaltschaften drängen seit Jahren darauf, das versuchte „Cybergrooming“ strafbar zu machen. „Verdeckte Ermittler haben es bisher schwer, gegen Täter vorzugehen. Denn ‚Cybergrooming‘ ist in aller Regel nicht strafbar, wenn hinter einem Profil kein Kind steckt, sondern ein getarnter Ermittler“, sagt auch Oberstaatsanwalt Georg Ungefuk von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Hessen (ZIT). „Das ist bitter für Polizei und Justiz, denn sie wissen, dass ein Täter auf der Suche nach Kindern ist – aber sie können ihn strafrechtlich nicht verfolgen.“

Die Delikte in diesem Bereich hätten zudem deutlich zugenommen, so Ungefuk. „Das liegt vor allem daran, dass viele Kinder in Netzwerken wie Facebook unterwegs sind. Viele Kinder haben schon in sehr jungen Jahren ihr eigenes Handy und einen Zugang zu Chatdiensten, sozialen Netzwerken und Kommunikationsplattformen.“

Auch Barleys Gesetzentwurf, der nun zur Abstimmung an andere Ministerien gehen soll, hält fest, dass die Gefahr für Kinder zugenommen habe, Opfer von Anbahnungen im Internet zu werden. „Denn die Digitalisierung schreitet voran und die Nutzung digitaler Dienste ist auch bei Kindern weit verbreitet.“ Die Bundesregierung von Union und SPD hatte sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das versuchte „Cybergrooming“ unter Strafe zu stellen.

Union sieht den Vorstoß positiv

Entsprechend hält auch die Union den Vorstoß für sinnvoll. „Wenn Ermittler hier mit getarnten Profilen vorgehen, müssen sie Täter so auch strafverfolgen können“, sagt Christoph Bernstiel, Experte für Cybersicherheit in der Unionsfraktion, unserer Redaktion. „Deshalb ist die Gesetzesänderung wichtig.“ Noch wichtiger sei bei den Ermittlungen jedoch der Schutz der Opfer und der Familie, so der CDU-Politiker. Kritik an dem Vorhaben gibt es kaum. In den vergangenen Jahren hatte die Politik den Kampf gegen Kindesmissbrauch im Internet immer wieder auf die Agenda gehoben, Gesetze verschärft, Ermittlern mehr Instrumente an die Hand gegeben und Täter per Gesetz härter bestraft.

Mit dem Vorstoß zum „Cybergrooming“ ist die Strafbarkeit sehr weit vor die eigentliche Tat verlagert. Allein der Versuch der Kontaktaufnahme wird bestraft. Das birgt zum einen das Risiko, dass auch unschuldige Internetnutzer eher ins Visier von Polizei und Justiz geraten. Zum anderen kann die Polizei gar nicht so viele verdeckte Ermittler in die digitale Welt schicken, um die Abertausenden Chats und Foren zu überwachen.

Wichtiger Schutz: Technik und Erziehung

Staatsanwälte und Internetexperten sehen deshalb vor allem ein Feld als zentral im Kampf gegen Kindesmissbrauch im Internet an: die Prävention – bei der Technik, etwa durch das Sperren bestimmter Internetseiten am Computer, und bei der Erziehung, indem Kindern der richtige Umgang mit Chatforen und Messengerdiensten beigebracht wird.