Berlin. Tempolimit oder mehr Steuern auf Diesel – wie geht Klimaschutz im Verkehr? Die Arbeitsgruppe der Regierung blieb Antworten schuldig.

Wie kann der Ausstoß von Kohlendioxid möglichst schnell und möglichst deutlich gesenkt werden? Darüber beriet bis in den frühen Dienstagmorgen eine von der Bundesregierung einberufene Arbeitsgruppe, ohne sich jedoch umfassend einigen zu können. Die Experten verständigten sich lediglich auf einen Minimal-Kompromiss.

Welche Ergebnisse wurden erzielt?

Verständigt wurde sich auf Instrumente wie günstigere Ticketpreise für die Bahn etwa durch eine Reduzierung der Mehrwertsteuer, eine bessere Vertaktung der Bahnverbindungen oder den Ausbau des Radverkehrs. Zudem empfehlen alle Experten von Umweltverbänden bis hin zu Industrievertretern der Regierung, eine Abgabe auf CO2 zu prüfen, die Benzin oder Diesel teurer machen würde.

Die konkreten Vorschläge und bereits beschlossene Instrumenten der Regierung reichen allerdings für die Klimaziele nicht aus. Etwa ein Drittel der nötigen Einsparmenge an CO2 bleibt so offen.

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    Welche Punkte sind noch strittig?

    Wie die Deutsche Presse-Agentur von Teilnehmern erfuhr, blieben unter anderem Fragen zum Potenzial von Biosprit und alternativen Kraftstoffen umstritten. Auch zu einer verbindlichen Quote für den Anteil von Elektroautos und ein Bonus-Malus-System, das klimaschädliche Autos teurer machen soll, sowie zu einem generellen Tempolimit auf Autobahnen gab es demnach keinen Konsens. Einem generellen Tempolimit hatte die Bundesregierung ohnehin schon eine Absage erteilt.

    Wie sind die Reaktionen?

    Die Umweltseite äußerte sich enttäuscht über die Ergebnisse. Man bedauere, dass es in der Sitzung nicht möglich gewesen sei, sich einvernehmlich auf ein konkretes und wirkungsvolles Maßnahmenpaket zu verständigen, hieß es in einer Stellungnahme der Umweltseite am frühen Dienstagmorgen.

    Die Arbeitsgruppe sei mit dem nun erzielten Zwischenbericht „weit davon entfernt“, ihren Auftrag zu erfüllen. Dies sei um so bedauerlicher, als dass das Klimaschutzziel für den Verkehr mit einem umfassenden Maßnahmenpaket und einer zeitnahen Umsetzung noch eingehalten werden könnte.

    Der Deutsche Städtetag dagegen lobt die ersten Ergebnisse der Klimaschutzkommission für den Verkehr. „Nach Auffassung der Städte können die ersten Ergebnisse der Regierungskommission zur Mobilität den Klimaschutz im Verkehrsbereich deutlich voranbringen“, sagte Städtetags-Präsident Markus Lewe unserer Redaktion. „Die Arbeitsgruppe hat zum Beispiel ein Bündel von Instrumenten aufgelistet, mit dem Investitionen, Innovationen und Digitalisierung im Verkehr gefördert werden können.“ Damit ließen sich bis zu 39 Millionen Tonnen CO2 reduzieren.

    Lewe hofft, „dass der Lenkungskreis der Nationalen Plattform Mobilität an diesem Freitag die Ergebnisse der Arbeitsgruppe billigen und an den Bund weitergeben wird“. „Wir brauchen viele der jetzt angesprochenen Maßnahmen, um mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich zu erreichen.“ Der Städtetag ist Mitglied der Expertenkommission.

    Der Verkehr habe bisher keinen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz erbracht, sagte Lewe. „Er ist aber für etwa 18 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich“, mahnte der Städtetagspräsident. „Deshalb muss jetzt gehandelt werden.“ Die Maßnahmen im Regional- und Nahverkehr wie auch den Rad- und Fußverkehr müssten in vollem Umfang umgesetzt werden, „zum Beispiel durch günstigere Ticketpreise bei der Bahn und im ÖPNV und durch eine Investitionsoffensive für Busse und Bahnen“.

    Wer sitzt überhaupt in der Arbeitsgruppe?

    Eine junge Frau demonstriert für mehr Klimaschutz.
    Eine junge Frau demonstriert für mehr Klimaschutz. © Reuters | SUSANA VERA

    In der Arbeitsgruppe sind unter anderem Vertreter des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), des Deutschen Städtetags, der IG Metall, der Deutschen Bahn, des BUND, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, der Agora Verkehrswende, des Mineralölwirtschaftsverbands, des Verbands der Automobilindustrie, des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), der Allianz pro Schiene und des ADAC.

    Wie läuft es generell beim Klimaschutz im Verkehr?

    Schlecht. Der Verkehr in Deutschland produziert in etwa so viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) wie 1990 – Tendenz zuletzt sogar steigend. Seit 30 Jahren hat sich also nichts getan.

    Zwar verbrauchen die einzelnen Autos weniger Benzin und Diesel, dafür gibt es aber mehr Wagen auf den Straßen. Außerdem geht der Trend zum SUV, dem großen und schweren „Stadtgeländewagen“, der vergleichsweise viel Sprit braucht.

    Bis 2030 sollen der CO2-Ausstoß um 40 bis 42 Prozent sinken, dieses Ziel hatten Union und SPD im Klimaschutzplan 2016 vereinbart und dann im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

    Warum hat sich bisher nichts getan?

    Das hat mehrere Gründe. Umweltschützer kritisieren, die Bundesregierung hätte in Brüssel immer wieder strengere EU-Vorgaben für den CO2-Ausstoß von Autos und Lkw verhindert. Aus ihrer Sicht müsste schon lange einerseits mehr Geld in öffentlichen Nahverkehr, die Bahn und in Radwege gesteckt werden, andererseits weniger in den Ausbau der Straßen.

    Fest steht, dass die Autolobby in Deutschland großen Einfluss hat. Mehr als 800.000 Menschen arbeiten in der Autoindustrie, damit ist die Branche einer der wichtigsten Arbeitgeber in Deutschland.

    Hintergrund: Zu viel CO2-Ausstoß: Porsche erstattet Selbstanzeige

    Warum ist das Thema so schwierig?

    Es gibt viele Hürden, zum Beispiel:

    • Werden Autofahrer zu stark und sozial ungerecht belastet, drohen Proteste
    • Endet die Ära des Verbrennungsmotors, stehen viele Zulieferer vor dem Aus
    • Raps, Ölpalmen oder Soja im großen Stil für Biosprit anzubauen widerspricht Naturschutz- und Nachhaltigkeitszielen, sowohl in Deutschland als auch weltweit
    • E-Autos müssen mit Ökostrom fahren, um wirklich klimafreundlich zu sein, aber der Ausbau geht nicht schnell genug und es fehlen Leitungen und Ladestationen
    • Batterien brauche wertvolle Rohstoffe

    Welche Haltung vertritt Verkehrsminister Scheuer?

    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.
    Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. © dpa | Kay Nietfeld

    Der Bayerische Rundfunk zitierte Verkehrsminister Scheuer am Wochenende so: „Ich komme nicht über die Ecke Verbote, Einschränkungen und Verteuerungen. Ich komme über die Ecke Anreize, Begeisterung, neugierig machen, Förderung, Innovation.“ Der Verkehrsminister hat mehrfach gesagt, dass es bis 2030 bis zu zehn Millionen Elektro-Pkw brauche, 500.000 Elektro-Nutzfahrzeuge und 300.000 Ladepunkte für Elektro-Autos.

    Kann das CO2 nicht anderswo eingespart werden?

    Nein, nicht komplett. Bisher kamen die Einsparungen tatsächlich eher aus anderen Bereichen, zum Beispiel der Energiewirtschaft. Aber das geht so nicht weiter – aus diesen Gründen:

    • Deutschland kommt beim Klimaschutz insgesamt zu langsam voran, weil nicht alle Bereiche liefern
    • Innerhalb der EU gelten verbindliche CO2-Spar-Ziele für Verkehr, Gebäude, Teile der Industrie und Landwirtschaft – die Bereiche, die nicht zum Emissionshandel der EU gehören
    • Deutschland soll bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral sein, das schließt den Verkehr ein.

    Was kostet das Umsteuern im Verkehr die Steuerzahler?

    Schwer zu sagen, denn es hängt vom gewählten Weg ab. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hält zusätzliche Investitionen von 250 Milliarden Euro für „unausweichlich“, wenn es mit dem 2030-Ziel klappen soll. Dem Staat entgehen Steuern, wenn die Bürger weniger Benzin und Diesel tanken, ein CO2-Preis würde dagegen Einnahmen bringen. Förderprogramme kosten Geld. Andererseits ist Klimaschutz bereits ein Innovationstreiber. Und die Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels – je nach Region mehr Dürren, Stürme, Hochwasser oder Starkregen – sind kaum abzusehen.

    Wie geht es jetzt weiter?

    Ende der Woche soll die Kommission „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“, zu der die Arbeitsgruppe gehört, einen Zwischenbericht vorlegen. Der könnte zur Basis für Beschlüsse der Bundesregierung werden.

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    (dpa/rtr/moi/cho)