Brüssel/Berlin. Eine Plakatkampagne der ungarischen Fidesz-Partei hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Die Europäische Volkspartei hat nun reagiert.

Paukenschlag bei den europäischen Christdemokraten neun Wochen vor der Europawahl: Die nationalpopulistische Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán verliert bis auf Weiteres ihre Mitgliedsrechte in der Europäischen Volkspartei (EVP).

Einen entsprechenden Schritt segnete der EVP-Vorstand am Mittwoch in Brüssel nach turbulenten Diskussionen ab – mit Zustimmung der Orbán-Partei, die das Vorgehen zum gemeinsam vereinbarten Verzicht erklärte. Die Maßnahme ist die Konsequenz aus Orbáns anhaltenden Angriffen gegen die EU, vor allem gegen die Migrationspolitik.

Letzter Auslöser war eine Plakatkampagne, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und den US-Milliardär George Soros diffamierte und unterstellte, die EU fördere illegale Einwanderung.

Orbáns Zwangspause als Kompromiss statt Rauswurf

Das Einfrieren der Mitgliedsrechte war als Kompromiss und als Vermittlungsangebot an Orbán gedacht, um einen drohenden Ausschluss abzuwenden – doch das Manöver wäre beinahe noch schiefgegangen: Orbán drohte in der Sitzung damit, seine Partei werde sofort die EVP verlassen, wenn die Mitgliedschaft eingefroren werde.

Als Entgegenkommen an Orbán ist im Beschluss nun festgehalten, dass sich EVP-Spitze und Fidesz gemeinsam darauf verständigt hätten, die Mitgliedschaft ruhen zu lassen. Am Ende votierten 190 Delegierte für diese Lösung, nur vier stimmten dagegen.

Vorerst keine Teilnahme an Sitzungen und Abstimmungen

Die ungarischen Nationalkonservativen können nun bis auf Weiteres nicht an Sitzungen und Abstimmungen teilnehmen. Ihre Politiker kommen auch nicht für interne EVP-Ämter in Frage. Ein „Weisenrat“ soll bis zum Herbst prüfen, ob ein Ausschluss gerechtfertigt wäre.

Dem Gremium sollen der frühere EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, der frühere EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering und der österreichische Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel angehören. EVP-Fraktionschef Manfred Weber sagte, ein Ausschluss sei nicht vom Tisch, man werde nun das Kommissionsergebnis abwarten.

Orbán begrüßt den Beschluss

Orbán begrüßte den Beschluss: „Die EVP hat eine gute Entscheidung getroffen, weil sie die Einheit bewahrt hat“, sagte er. Seine Partei setze die Mitarbeit aus freien Stücken aus, solange der Expertenrat die Lage überprüfe. In der Sitzung hatte Orbán nach Teilnehmerangaben noch erklärt, eine zwangsweise Suspendierung halte er für nicht hinnehmbar.

In Orbáns Umgebung hieß es, es hätte sich um eine Vorstufe des Rauswurfes gehandelt, den er nicht akzeptieren könne. Der Premier bekräftigte im EVP-Vorstand, dass er den angeblich migrationsfreundlichen Kurs der EU-Kommission ablehne und seine Politik als Einsatz für christliche Werte betrachte.

Führende Politiker von CDU und CSU hatten entschieden für die Suspendierung der ungarischen Konservativen plädiert. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte in der Sitzung, „solange Fidesz das Vertrauen nicht vollständig wiederherstellt, kann es nicht bei einer normalen Mitgliedschaft bleiben“. Ein Einfrieren der Mitgliedschaft sei eine „Brücke“, um das Vertrauen wieder aufzubauen.

Von christdemokratischen Grundwerten entfernt

Mit den Plakaten wurde dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgeworfen, ein Büttel des US-ungarischen Finanzspekulanten George Soros zu sein. „Auch Sie haben ein Recht zu wissen, was Brüssel vorhat!“, steht auf dem Plakat.
Mit den Plakaten wurde dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vorgeworfen, ein Büttel des US-ungarischen Finanzspekulanten George Soros zu sein. „Auch Sie haben ein Recht zu wissen, was Brüssel vorhat!“, steht auf dem Plakat. © imago/EST&OST | Martin Fejer/estost.net

Ein Dutzend der mehr als 50 stimmberechtigten Parteien hatte im Vorfeld sogar einen sofortigen Ausschluss verlangt. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Christdemokrat aus Luxemburg, hatte am Mittwoch für den Ausschluss plädiert.

Orbán habe sich von den christdemokratischen Grundwerten der EVP entfernt, sein Platz sei damit außerhalb der Partei, sagte Juncker. Orbán zieht schon seit Jahren massiv gegen die EU-Flüchtlingspolitik zu Felde. Mal organisierte er eine aufwendige Bürgerbefragung unter dem Titel „Stoppt Brüssel“, um die Wähler gegen angebliche Einwanderungspläne zu mobilisieren, mal behauptete er, der amerikanische Milliardär George Soros steuere über Mitglieder der EU-Kommission die Migrationspolitik mit dem Ziel, Millionen Einwanderer in die EU zu holen.

Zudem nannte er 2014 Junckers Wahl zum ­Kommissionspräsidenten „einen der schwersten Fehler“ der europäischen Politik. Als die Kritik an Orbán und seiner Partei innerhalb der EVP zuletzt massiv zunahm, bezeichnete Orbán die EVP-Mitglieder als „nützliche Idioten“ der Linken.

Plakatkampagne war finaler Fehltritt für viele

Die Plakatkampagne brachte das Fass zum Überlaufen – im Vorfeld der Europawahlen wurde sie als massive Beschädigung der EVP-Wahlkampagne betrachtet. Doch in der Partei scheuen sich starke Kräfte, Orbán auszuschließen.

Parteichef Joseph Daul hat lange Zeit seine schützende Hand über Orbán gehalten mit dem Argument, es sei für die EVP besser, den Regierungschef halbwegs unter Kontrolle zu halten, als ihn mit einem Ausschluss ins Lager rechtspopulistischer EU-Skeptiker zu treiben. So hat es auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber gesehen.

Der Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten bei der Europawahl hofft darauf, nach der Wahl EU-Kommissionspräsident zu werden – für die Wahl könnten die zwölf Stimmen der Fidesz-Abgeordneten mehrheitsentscheidend sein.

Juncker stellte Forderungen an Orbán

Weber hatte lange Zeit zu Orbán gehalten, nach den Ausfällen gegen Juncker aber Bedingungen für einen Verbleib des Ungarn genannt: Dazu gehörten eine Entschuldigung, das Ende der Anti-Brüssel-Kampagne und Sicherheit für die Zentraleuropäische Universität in Budapest, die der US-Milliardär Soros gegründet hatte. Weber suchte am Dienstag nochmal das Gespräch mit Orbán.

Diese Forderungen hat Orbán offenbar – mehr oder weniger – erfüllt. Deshalb hatte die CSU am Dienstag vor Orbáns Ausschluss gewarnt. Und Kramp-Karrenbauer meinte, Orbáns Schritte zeigten, dass eine Fortsetzung des Dialogs mit ihm sinnvoll sei.

Interview: Manfred Weber spricht über seinen Plan für eine neue EU

Doch der Druck auf die EVP bleibt: Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Nicola Beer, schloss eine Zusammenarbeit der Liberalen mit der EVP im neugewählten EU-Parlament aus, wenn die Fidesz-Partei oder die italienische Forza Italia dort weiter Mitglied sind.