Demmin . Annegret Kramp-Karrenbauer beim politischen Aschermittwoch: CDU-Chefin zeigt sich wütend, pöbelt weiter – und entschuldigt sich nicht.

Es ist eine Premiere. Um kurz nach 17 Uhr marschiert nicht mehr Angela Merkel, sondern Annegret Kramp-Karrenbauer (Spitzname AKK) in die Tennishalle von Demmin. Nicht alle Plätze auf den Bierbänken sind besetzt, der Applaus der etwa 900 Gäste ist freundlich, aber nicht frenetisch. Die meisten trinken Pils, der Schnaps „Roter Hengst“ kostet 2,50 Euro.

Seit mehr als 20 Jahren geht der politische Aschermittwoch der CDU in Mecklenburg-Vorpommern über die Bühne. Bis auf eine Ausnahme 2014, als der Ukraine-Konflikt hochkochte, war Merkel in ihrem Heimatverband das Zugpferd.

Weltbewegende Merkel-Reden aus Demmin blieben nicht in Erinnerung. Ein „Highlight“ war, wie vor sieben Jahren ein unglückseliger Aushilfskellner ihr ein Tablett mit fünf Biergläsern in den Nacken kippte. Die Kanzlerin grinste tapfer, stand auf und hielt ihre Rede. Profi Merkel eben.

Annegret Kramp-Karrenbauer – nach Diskussion um Witz nochmal Karneval

Jetzt also AKK, die neue CDU-Chefin, die Friedrich Merz politisch kalt stellte. Die Kapelle schmettert das „Steigerlied“. Das Kohle-Feeling passt. Kramp-Karrenbauer war ja nicht nur lange Ministerpräsidentin des Saarlandes. In den vergangenen Tagen steckte diese AKK nach ihrem umstrittenen Karnevalsspruch über Männer, Toiletten und das dritte Geschlecht vor allem in den sozialen Medien und Feuilletons in einem dunklen Schacht.

Mit Verzögerung hatte ihr Auftritt als Angeklagte beim „Stockacher Narrengericht“ am Bodensee, einem Höhepunkt der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, ein kleines politisches Beben ausgelöst, was einiges über den Erregungszustand der Republik aussagt.

„Guckt Euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von Euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür, dazwischen, ist diese Toilette.“

Witze auf Kosten von Minderheiten – guter Stil für eine mögliche Kanzlerin?

Das kam bei vielen nicht gut an. Darf eine CDU-Chefin das, ziemt es sich für die vielleicht nächste Kanzlerin, Witze auf Kosten einer Minderheit zu reißen? Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Justizministerin Katarina Barley, warf AKK am Aschermittwoch in Vilshofen vor, die CDU-Chefin habe „billige Punkte“ sammeln wollen mit „Flachwitzen über Menschen mit intersexueller Identität“.

Kritik wegen Karnevals-Witz: Barley attackiert Kramp-Karrenbauer

Wollte AKK tatsächlich ihr konservatives Profil mit einem Gag schärfen? Der Karnevalsspruch fiel bei vielen deshalb auf so fruchtbaren Boden, weil AKK eine vehemente Gegnerin der Ehe für alle ist. Sie sah diese als Einfallstor für Sex unter Verwandten und Vielehen.

Wütende AKK – „Zeit für deutliche Worte“

Kramp-Karrenbauer hat die heftige Kritik getroffen. Sie ist wütend, das ist in Demmin zu spüren. Kaum steht sie um 18.11 Uhr am Pult, da setzt sie das lokale Festzelt-Motto „Zeit für deutliche Worte“ in die Tat um. Sie wolle nicht um den heißen Brei herumreden.

Alle, die sich die Köpfe heiß reden würden, hätten sich wohl nicht die Mühe gemacht, ihre Stockacher Büttenrede komplett anzuschauen. Dort war AKK spaßeshalber wegen der „Entmannung der CDU“ angeklagt. Der Kontext sei wichtig. Es sei um Emanzen, Machos und das Verhältnis von Mann und Frau gegangen. Manchmal müsse man richtig hinhören, „bevor man sich künstlich aufregt“, ruft sie.

Zuvor hatte sich in Demmin bereits Vincent Kokert, der CDU-Landeschef, der 2021 Ministerpräsident werden will, vor seine Bundesvorsitzende geworfen. Die CDU lasse sich von einer „Sprachpolizei“ nicht den Karnevalsspaß verderben. Gleichberechtigung sei doch, sich über alles und jeden lustig zu machen, über Männer mit dicken Bäuchen, dünne Frauen und eben das dritte Geschlecht.

„Wir brauchen keine Belehrung, was Gleichstellung heißt.“ Die CDU habe mit Merkel die erste Frau zur Kanzlerin gemacht: „Die zweite Kanzlerin wird genauso von der Union sein“, glaubt Kokert.

AKK spricht von Tradition des Karnevals und empört sich über die, die sich empören

Zurück zu Kramp-Karrenbauer. Die dreht nun richtig auf. Nach dem gewaltigen Shitstorm liefen Politik und Gesellschaft Gefahr, „etwas Wunderbares kaputtzumachen“. Sie meint die Tradition des Karnevals, der Fastnacht und der Kleinkunst, „wo man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legt“. Die CDU-Vorsitzende könnte es dabei belassen. Aber sie ist noch nicht fertig, holt zum großen Gegenschlag aus.

Im Wende-Sommer 1989, als die Mauer fiel, seien die Deutschen das glücklichste Volk gewesen. „Heute habe ich den Eindruck, wir sind das verkrampfteste Volk, was auf der Welt rumläuft.“ Die Demminer Christdemokraten toben. AKK greift den Fall aus Hamburg auf, wo Kinder wegen politischer Korrektheit nicht als Indianer zum Karneval in einer Kita kommen sollten.

„Ich wünsche mir ein Deutschland, in dem Kinder einfach Kinder sein können.“ Dreijährige sollten Cowboy und Indianer sein dürfen, mit Puppe oder Lego: „Das ist doch alles ein Wahnsinn, was hier läuft.“ Das sagt Söder zur Debatte um Indianerkostüme in der Kita.

Feinstaub, Indianer, Vegetarier – alles dabei

Die CDU diskriminiere niemanden, jeder solle nach seiner Fasson glücklich werden, sagt AKK. Fleischesser seien keine Verbrecher, bei Silvester müsse man nicht immer gleich an Feinstaub denken. Statt also tagelang über ein „AKK gate“ zu diskutieren, sollten die gewählten Politiker sich um die wirklichen Probleme kümmern.

Sehr ruppig springt AKK mit der SPD um. Finanzminister Olaf Scholz wolle nur die schwarzen CDU-Ministerien beim Haushalt 2020 „bluten“ lassen, für SPD-Häuser sei Geld da. Unverantwortlich sei es, dass die Genossen zu wenig für Bundeswehr und Nato ausgeben und Rüstungsexporte stoppen wollten. Auch Scholz’ Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) habe auf die schwarze Null geachtet, ohne aber den Koalitionspartner zu gängeln wie Scholz dies tue: „Dann ist man kein guter Koalitionspartner und kein guter Finanzminister.“ Aschermittwoch: Katarina Barley greift CSU scharf an.

Schaut man in die Gesichter in der Tennishalle, hat AKK in Demmin den Nerv getroffen. Dauerhaft schaden dürfte ihr die „Affäre“ ohnehin kaum. So nachvollziehbar ihre Wut über den Ausnahmezustand auch sein mag - wendet sie mit ihrer Wutrede nicht gewissermaßen die gleiche Methode an, die sie ihren Kritikern vorwirft?

Kein Wort des Bedauerns gegenüber jener, die nicht lachen konnten

Deutschland, das verkrampfteste Land auf dem Globus? Das ist ein Satz, der neue Debatten auslösen und die Aufregung verlängern könnte. Millionen waren stolz, dass die Bundesrepublik bei der Fußball-WM 2006 und (zumindest zu Beginn) des Flüchtlingssommers 2015 der Welt bewies, dass viele Klischees überholt und die Deutschen entspannter sind, als viele glauben.

Und noch etwas fällt in Demmin auf. Warum sprach die CDU-Chefin nicht wenigstens in einem Nebensatz ein Wort des Bedauern an Intersexuelle aus, die über einen Witz, wie auch immer er gemeint gewesen war, eben nicht lachen konnten.