Potsdam. Vor allem Angestellte staatlicher Kliniken profitieren von der Einigung im Tarifstreit. Verdi erzielte acht Prozent mehr Gehalt.

Sie sind da, wenn es um Menschen geht. Pflegekräfte betreuen Kranke nach einer Operation. Angestellte in Kindergärten bereiten Jungen und Mädchen auf ihr noch bevorstehendes Leben vor. Feuerwehrleute rücken aus, wenn es brennt. Doch immer wieder entfachen in Deutschland Debatten darüber, ob diese Menschen genug Geld für ihre Arbeit bekommen. Gewerkschafter kritisieren dann lautstark: Je sozialer der Beruf, desto geringer das Gehalt.

Jetzt aber ist den Vertretern der Angestellten im öffentlichen Dienst nach eigenen Angaben ein Durchbruch gelungen. Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Pflegerinnen bekommen mehr Geld – zumindest wenn sie in staatlichen Einrichtungen der Bundesländer arbeiten, also vom Staat und nicht von privaten Trägern bezahlt werden. Nach drei Verhandlungsrunden und intensiven Warnstreiks einigten sich Gewerkschaften und Vertreter der Länder auf mehr Geld für die Angestellten. Doch wie viel ist dieser Kompromiss wert?

Worauf haben sich die Verhandlungsseiten geeinigt?

Als nach 37 Stunden alles vorbei war, soll es hinter verschlossenen Türen Applaus für Frank Bsirske gegeben haben. Mitglieder der Bundestarifkommission der Gewerkschaft Verdi feierten ihn. Es waren seine letzten Verhandlungen, im Herbst geht Verdi-Chef Bsirske in Rente. Jetzt holten er und sein Team für eine Million Angestellte der Bundesländer ein achtprozentiges Lohnplus heraus.

Das ist viel – allerdings erstreckt sich die Erhöhung auf einen Zeitraum von 33 Monaten. Rückwirkend zum 1. Januar steigen die Gehälter zunächst um 3,2 Prozent. Zum Jahreswechsel folgen weitere 3,2 Prozent. Und ab Januar 2021 gibt es noch einmal 1,4 Prozent mehr Geld.

Und: Die soziale Komponente sei beachtlich, betonte Bsirske. Das bedeutet, dass jeder Angestellte mindestens 240 Euro zusätzlich bekommen wird – ein Minimum von 100 Euro 2019, 90 Euro 2020 und 50 Euro 2021. Der Abschluss soll nach dem Willen des Deutschen Beamtenbundes (dbb) auf rund 2,3 Millionen Beamte und Versorgungsempfänger übertragen werden, also etwa Lehrer, Soldaten, Richterinnen oder Geistliche, die in ihrem Beruf nicht sozialversichert waren und statt einer Rente eine staatliche Pension, ein Ruhegehalt oder eine ähnliche staatliche Versorgung beziehen. Nur für ein Bundesland gilt der jetzt erzielte Tarifabschluss nicht: Hessen gehört seit Anfang der 2000er-Jahre der Tarifgemeinschaft deutscher Länder nicht mehr an.

Das Tarifergebnis im Überblick:

• LAUFZEIT: 33 Monate.

• LOHNSTEIGERUNG: Anhebung der Einkommen in drei Schritten um 3,2 Prozent (1.1.2019), 3,2 Prozent (1.1.2020) und 1,4 Prozent (1.1.2021).

• MINDESTBETRAG: Mindestens 100 Euro mehr 2019, 90 Euro 2020 und 50 Euro 2021 - unterm Strich 240 Euro.

• AZUBIS: Erhöhung der Ausbildungs- und Praktikantenentgelte in zwei Schritten jeweils um 50 Euro (2019 und 2020).

• KRANKENPFLEGE: Pflegekräfte erhalten über die Lohnerhöhung hinaus zusätzlich 120 Euro monatlich mehr. LEHRER: Erhöhung der Angleichungszulage für Lehrkräfte um 75 auf 105 Euro zum Anfang 2019.

• NEUEINSTEIGER: Eine Aufwertung der Einstiegsgehälter in allen 15 Entgeltgruppen um insgesamt rund 11 Prozent soll den Start im öffentlichen Dienst der Länder attraktiver machen.

Wer profitiert besonders?

Zu den Angestellten im öffentlichen Dienst der Länder gehören sowohl nicht-verbeamtete Lehrer, aber zum Beispiel auch Feuerwehrleute, Mitarbeiter der Polizei und der Justiz, Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiterinnen, Pfleger sowie etwa IT-Fachleute in den Behörden. Besonders wichtig waren den Gewerkschaften jedoch die Pflegekräfte. Sie erhalten über die acht Prozent Lohnsteigerung bis 2021 hinaus zusätzlich 120 Euro im Monat.

Eine examinierte Krankenpflegekraft wird laut Verdi am Ende der Erhöhungen 2021 dann zwischen 420 Euro und 750 Euro mehr verdienen. In Deutschland fehlen in den kommenden Jahren mehrere Zehntausend Pflegerinnen und Pfleger. Jetzt sollen mit dem neuen Tarif auch neue Anreize geschaffen werden für Menschen, die in diesen Beruf einsteigen möchten.

Zudem bekommen Auszubildende in diesem und im kommenden Jahr jeweils 50 Euro mehr. Von den Anhebungen profitieren nach den Worten von Verdi-Chef Frank Bsirske vor allem jene mit unteren und mittleren Einkommen. Für Lehrkräfte hat Verdi ihr Ziel dagegen nicht erreicht – noch immer sind Angestellte etwa in Schulen ihren verbeamteten Kolleginnen und Kollegen gegenüber schlechter gestellt.

Hier gibt es laut Verdi-Chef Bsirske eine Zusage der Arbeitgeber, noch einmal zu verhandeln. Der ganz große Durchbruch gelang den Gewerkschaften nicht – etwa die vollständige Neuordnung von Tarifentgelten. So gibt es etwa für IT-Spezialisten erst 2021 eine deutliche Besserstellung. Bis dahin wollen die Länder im Wettbewerb um diese gesuchten Fachkräfte weiterhin vor allem mit Zulagen punkten.

Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, am Samstag nach der Einigung in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder in Potsdam.
Frank Bsirske, Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, am Samstag nach der Einigung in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder in Potsdam. © dpa | Britta Pedersen

Wie bewerten Gewerkschaften und Länder den Abschluss?

Die Gewerkschaften waren mit einer Forderung von sechs Prozent mehr Lohn innerhalb eines Jahres in die Verhandlungen gegangen. Dieses Ziel erreichten sie nicht. Und doch sagte Verdi-Chef Bsirske: „Das ist das beste Ergebnis im Länderbereich für einen Lohnabschluss seit vielen Jahren.“ Dazu gebe es „spektakuläre Attraktivitätsverbesserungen“ für einzelne Berufsgruppen.

Die Gewerkschaften argumentierten mit den hohen Haushaltsüberschüssen der Länder – rund elf Milliarden Euro allein 2018. Die Länder wird der neue Tarif insgesamt rund sieben Milliarden Euro in den kommenden Jahren kosten.

Der Verhandlungsführer der Länder, der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), betonte, die lange Laufzeit des Tarifbeschlusses bis 2021 gebe den Regierungen Planungssicherheit für ihre Wachen, Kitas und Krankenhäuser.

Wie haben sich die Gehälter für Staatsbedienstete zuletzt entwickelt?

Vor allem in den Jahren vor der Finanzkrise 2008 waren die Lohnsteigerungen für Angestellte des Staates gering. Die deutsche Wirtschaft schwächelte, die Arbeitslosenzahlen waren hoch, die Zeichen standen auf: Einsparungen. Doch seit 2007 wächst der Lohnzuwachs – allerdings nimmt der Staat auch deutlich mehr Geld ein. Und stellt auch wieder mehr Angestellte in Dienststellen, Schulen und Kindergärten ein.

Hintergrund: Einigung im Tarifstreit - Ein fairer Abschluss, aber ...

Die Gewerkschaften hielten sich in den Krisenjahren mit überzogenen Forderungen zurück, riefen aber in den vergangenen Jahren lauter nach mehr Geld für Angestellte. Gerade im Gesundheitswesen hat der deutsche Staat stark privatisiert und Krankenhäuser an Unternehmen verkauft.

Im EU-Vergleich kommen auf 1000 Einwohner in Deutschland heute sehr viel weniger staatliche Angestellte als etwa in den skandinavischen Ländern, aber auch in Frankreich, Spanien oder Österreich. Auch im Vergleich zur Wirtschaftskraft zahlt Deutschland laut Beamtenbund seinen Angestellten deutlich weniger als die meisten EU-Länder.

Sind schon neue Streiks in Sicht?​

Nein. Neue Ausstände in Kitas, Schulen und Verwaltungen bleiben angesichts der Einigung aus.