Berlin. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer spricht im Interview über die neuen Rentenpläne der SPD und über Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger.

Ingo Kramer ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Nur bei der von der SPD vorgeschlagenen Grundrente hebt es den Arbeitgeberpräsidenten aus dem Stuhl. Die Pläne der Sozialdemokraten hält er für zu teuer und zu ungerecht – trotz der großen Zustimmung, die die SPD in Umfragen dafür inzwischen bekommt. Kramer versucht, mit Argumenten dagegenzuhalten.

Herr Kramer, die SPD will einen „neuen Sozialstaat“ schaffen und verspricht den Bürgern mehr Anerkennung und Respekt. Hat es beides in den vergangenen Jahren zu wenig gegeben?

Ingo Kramer: Nein. Ich kann das nicht nachvollziehen. Mit Respekt für uns Menschen haben diese Pläne nichts zu tun. Was sich die SPD vorgenommen hat, ist eine Bewältigung ihrer parteipolitischen Vergangenheit. Wenn man mit seinen eigenen Erfolgen so im Streit lebt wie die SPD, bleibt einem vermeintlich nichts anderes übrig, als den Bruch mit dieser ungeliebten – aber erfolgreichen! – Vergangenheit zu begehen.

Ein höherer Mindestlohn, das Recht auf Homeoffice, ein längeres Arbeitslosengeld, eine Grundrente nach 35 Jahren Beitragszeiten – als Arbeitgeber sind Sie davon wahrscheinlich wenig begeistert. Mit welchem Vorschlag können Sie am ehesten leben?

Kramer: Ich habe wahrscheinlich noch nicht genau genug in alle Ecken hingeschaut, aber: Ich kann kaum Positives finden. Ein Beispiel: Die SPD will einen Mindestlohn von zwölf Euro. Das Ziel werden wir auch erreichen, wenn die Tariflohnentwicklung das auch widerspiegelt. Nur: Die SPD will den Mindestlohn politisch festlegen.

Ingo Kramer, Präsident des Bundes Deutscher Arbeitgeber, BDA, auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2018.
Ingo Kramer, Präsident des Bundes Deutscher Arbeitgeber, BDA, auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2018. © dpa | Wolfgang Kumm

Wir Arbeitgeber meinen dagegen, es soll weiter eine von der Politik unabhängige Kommission über die Entwicklung des Mindestlohns entscheiden. Diese Kommission wurde von der heutigen SPD-Chefin selbst eingerichtet, als sie Bundesarbeitsministerin war. Dabei muss es bleiben. Denn es war klug, den Mindestlohn aus dem parteipolitischen Überbietungswahlkampf herauszuhalten.

Welche politischen Folgen hat die aktuell geführte Diskussion um den Sozialstaat?

Kramer: Bis jetzt keine. Ich sehe keine Partei, die den Plänen der SPD zu einer parlamentarischen Mehrheit verhilft.

Die Grundrente aber ist ein Projekt, das auch CDU und CSU gut finden.

Kramer: Die Grundrente steht im Koalitionsvertrag. Dort steht aber auch, dass die Menschen, die sie bekommen sollen, diese wirklich brauchen müssen. Ohne eine Prüfung der Bedürftigkeit geht das nicht. Es kann nicht sein, dass jemand, der zum Beispiel eine Erbschaft gemacht hat oder dessen Ehepartner gut versorgt ist, diese Grundrente der Solidargemeinschaft bekommen soll.

Hinter den Plänen zur Grundrente steht der Wunsch, dass Menschen, die lange in die Rente eingezahlt haben, mehr haben sollen als die, die nicht gearbeitet haben. Können Sie den Wunsch nachvollziehen?

Kramer: Das ist eine sehr theoretische Diskussion. Ich weiß nicht, ob sie in der Gesellschaft wirklich so geführt wird oder nur innerhalb der SPD. Die Rente richtet sich danach, was jemand eingezahlt hat. Die Grundsicherung deckt dazu das Existenzminimum ab, falls die Rente nicht ausreicht. Beides kann man nicht vermischen. Die Koalition sollte Abstand von einer Grundrente nehmen, wenn die Bedürftigkeit gar nicht geprüft werden soll.

Die Arbeitgeber kündigen ihrerseits eine „Charta zur Erneuerung des Sozialstaats“ an – mit mehr Eigenverantwortung. In welchem Bereich soll die gelten?

Kramer: Wir wollen zusammentragen, was dieses Land braucht, um auch in Zukunft eine wettbewerbsfähige Wirtschaft in der sozialen Marktwirtschaft zu erhalten, die für unsere Kinder finanzierbar bleibt. Die Ergebnisse wird es in einigen Monaten geben. Generell gilt: Jeder, der Hilfe braucht, muss sie vom Staat erhalten. Die Empfänger dieser Hilfe sind aber gleichzeitig verpflichtet, für sich selbst zu sorgen, soweit es ihnen möglich ist. Unsere Gesellschaft ist extrem hilfsbereit, aber sie erwartet auch, dass die Hilfsbedürftigen ihre Kraft solidarisch einbringen.

Darum ist die Grundrente so umstritten – und das bringt sie

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    Was bedeutet das für die Diskussion um die Zukunft von Hartz IV? Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit die Zulässigkeit von Sanktionen im Hartz-IV-System.

    Kramer: Es gibt nur einen sehr kleinen Teil von Langzeitarbeitslosen, die selbst kaum dazu beitragen, wieder Arbeit zu finden – weniger als 3 Prozent. Sprechen Sie mit Mitarbeitern von Arbeitsagenturen und Jobcentern, sagen die ihnen: Wir brauchen Sanktionen, um genau diese Menschen auch drängen zu können, sich helfen zu lassen. Wenn sie nicht zu Terminen kommen, dann nützt auch viel Geld nichts. Sie werden keinen Job finden.

    Gibt es etwas, das bei Hartz IV geändert werden soll?

    Kramer: Menschen, die arbeitslos werden und sich um einen neuen Job bemühen, sollten nicht als ersten Schritt aus ihrer Wohnung ausziehen müssen. Das gilt für gemietete Wohnungen und für Eigentum. Die Menschen sollten nicht sofort aus ihrem sozialen Umfeld oder ihrer Nachbarschaft herausgeholt werden, wenn sie sich um eine neue Arbeit bemühen müssen.

    Und die Kinder sollten dadurch nicht die Schule wechseln müssen, wenn ihre Eltern längere Zeit arbeitslos sind. Wir müssen im Gegenteil alles daransetzen, dass deren Schulentwicklung nicht durch Entwurzelung zusätzlich behindert wird.

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    Sollte das Arbeitslosengeld I länger als heute gezahlt werden?

    Kramer: Wir sollten jeden Euro dafür einsetzen, um Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszubringen. Längere Zeit Arbeitslosigkeit zu finanzieren, ist falsch. Das würde keine Anreize setzen, um schnell eine neue Stelle zu finden. In den vergangenen Jahren ist die Langzeitarbeitslosigkeit stark gesunken. Daran sollten wir weiterarbeiten, auch durch Weiterbildung oder Umschulung statt durch Verlängerung.

    Wie kann man den Menschen sonst die Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen?

    Kramer: Wenn es uns gelingt, die Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen, dann nimmt das doch mehr die Angst als alles andere. Die Sorge wird ja nicht dadurch geringer, dass länger Unterstützung gezahlt wird. Tatsache ist doch: Wer ein Jahr arbeitslos ist, hat es schwerer, einen Job zu finden als jemand, der nur zwei Monate ohne Job war. Stellen Sie sich vor, wie das nach drei Jahren Arbeitslosigkeit aussieht.