Berlin. In seiner „Nationalen Industriestrategie 2030“ schließt Wirtschaftsminister Altmaier staatliche Übernahmen von Firmen nicht mehr aus.

Der Fall Kuka hat dem Minister keine Ruhe gelassen. Vor zwei Jahren hatte ein chinesisches Unternehmen den führenden deutschen Roboterhersteller gekauft. Peter Altmaier (CDU) war damals im Kanzleramt die rechte Hand der Kanzlerin – und hatte ein schlechtes Gefühl bei dem Geschäft. „Doch es fühlte sich keiner zuständig, hier einzugreifen, weder die Industrie noch die Regierung“, bedauert er heute.

Daran will Altmaier nun etwas ändern. Inzwischen hätte er als Bundeswirtschaftsminister auch die Macht dazu. Am Dienstag hat er in Berlin den Entwurf für seine „Nationale Industriestrategie 2030“ vorgestellt.

Das 40-seitige Papier zeigt, wie Deutschland und die EU die Entwicklung von Hochtechnik-Branchen fördern und gegen Angriffe von außen verteidigen kann. Für Altmaier geht es dabei um die Zukunft des Standorts Deutschland: „Wenn Sie in Länder mit hoher Arbeitslosigkeit blicken, dann wissen Sie, was auf dem Spiel steht.“ Deutschland brauche international wettbewerbsfähige Champions, der Staat könne hier helfen.

Altmaier will Deutschland bei neuen Technologien vorne sehen

Das Wort Industriepolitik hat in Deutschland bisher einen schlechten Ruf. Der Staat soll den Rahmen setzen, aber nicht die Wirtschaft planen – so lautete der Glaubenssatz fast aller Bundesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten. Erfolge bei Privatisierungen in den 90er-Jahren schienen die These zu bestätigen, dass ein Rückzug der Bürokraten aus dem Wirtschaftsgeschehen zu mehr Dynamik führt.

Altmaier reagiert nun auf eine Reihe von konkreten Bedrohungen. Eine Mischung aus technischem Wandel und einer neuen Qualität der internationalen Konkurrenz sind das Motiv für seinen Vorstoß.

„Vor allem die künstliche Intelligenz ist nach Ansicht von Fachleuten die größte Neuerung seit der Dampfmaschine“, sagt der Minister. „Wer diese Techniken beherrscht, ist ganz vorne mit dabei, wer sie verpennt, wird zur Werkbank für andere.“

Deutschland hinkt in der Praxis mit KI hinterher

Deutschland wirkt bei der Praxisanwendung der KI abgeschlagen. Auch wenn zahlreiche Forschungsgruppen auf Weltklasseniveau arbeiten, sind Firmen aus den USA, China und Japan bei den Patentanmeldungen weiter.

Einen ähnlichen Trend sieht Altmaier bei Plattformen wie Amazon und Facebook, die aus den USA stammen. Deutsche Firmen sind hier von ausländischen Anbietern abhängig. Die Digitalverband Bitkom lobte daher auch die Ideen des Ministers: „Besonders positiv ist die Betonung der wichtigen Rolle von Plattformen und künstlicher Intelligenz für den Industriestandort Deutschland“, sagte Verbandspräsident Achim Berg.

Konkret schwebt Altmaier die Einrichtung eines Fonds vor, der die Finanzierung eines Unternehmens sicherstellen kann, damit diese nicht so leicht in ausländische Hände geraten. In sehr wichtigen Fällen soll der Staat für einen befristeten Zeitraum selbst als Erwerber von Unternehmensanteilen auftreten können.

Altmaier will Fusionen von europäischen Unternehmen vereinfachen

Altmaier plädiert außerdem dafür, das europäische Wettbewerbsrecht zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern – damit die Fusion zweier Unternehmen zu einem starken Champion möglich ist.

Für Altmaier ist klar, dass der Staat auch nach seinem Konzept nicht überall hineinreden soll. Die eigentliche Leistung komme von der Wirtschaft, der Staat könne nur helfen. Die gelegentliche Rettung eines Standorts mit Staatsmitteln soll aber nicht ausgeschlossen sein.

„Die Zahl der Industriearbeitsplätze wird in der Wirtschaft 4.0 größer werden, nicht kleiner“, sagt Altmaier. Als numerisches Ziel gibt er eine Steigerung des Industrieanteils an der Wirtschaftsleistung von derzeit 23 auf 25 Prozent vor.

Ökonomen können die Argumentation des Ministers nachvollziehen, bezweifeln jedoch, dass sich diese Indus­triesteuerung umsetzen lässt. Die Kritik betrifft vor allem die Balance zwischen Eingriff und Freiheit. Die Rettung einzelner Unternehmen gehe oft schief. Die Politik wisse eben auch nicht besser, was die Zukunft bringe – und könne schwer beurteilen, welche Firma nun Hilfe verdient, sagt etwa Wirtschaftswissenschaftler Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.