Washington. Seit dem 22. Dezember kriegen Hunderttausende Staatsbedienstete in den USA kein Gehalt mehr. Hilfe kommt nun von ungewöhnlicher Stelle.

US-Präsident Donald Trump könnte sie jeden Tag sehen, wenn er aus einem Fenster seines Nobelhotels an der Pennsylvania Avenue nach rechts schauen würde: die Menschenschlange vor dem Ladenlokal mit der Hausnummer 701.

José Andrés, Star-Koch und Restaurant-Mogul mit spanischen Wurzeln, bügelt hier seit Mittwoch partiell aus, was Amerikas Staatsoberhaupt mit seinem Teilstillstand der Bundesverwaltung angerichtet hat.

Wer zu den rund 800.000 Staatsbediensteten gehört, die seit 22. Dezember entweder in den Zwangsurlaub geschickt wurden oder ohne Entlohnung arbeiten müssen, kann sich im Herzen Washingtons bei Andrés künftig sieben Tage die Woche eine warme Mahlzeit abholen.

Essensaktion für Shutdown-Betroffene gut angenommen

Zum Auftakt gingen über 2000 Portionen mit Käse-Schinken-Broten, Quinoa-Salaten mit gerösteten Kirschtomaten sowie Tomatensuppen mit Fenchel und Pinienkernen weg. Keine tausend Meter vom Weißen Haus entfernt.

Einer, der in der Eiseskälte auf Einlass wartete, war Roy Blumenfeld. Der 26 Jahre alte Angestellte des Justizministeriums ist seit Weihnachten arbeitslos. Und prototypisch bei der Beschreibung seines aktuellen Lebensgefühls.

Betroffener: Trump nimmt Leute wie mich als Geiseln

„Ich habe mit meiner Verlobten etwas Geld an die Seite gelegt, aber es wird wirklich langsam eng“, sagte der junge Mann, den es vor drei Jahren aus North Carolina nach Washington verschlagen hat, unserer Redaktion. „In einer so teuren Stadt kann man unmöglich von einem Einkommen leben. Ich bewerbe mich bereits weg. Schließlich muss ich nächstes Jahr meine Hochzeit finanzieren.“

Blumenfeld empfindet sich als „Verhandlungschip“ in einem „Machtpoker“. An den Präsidenten richtet er nur eine Forderung: „Er soll den Regierungsapparat nicht länger blockieren und damit aufhören, Leute wie mich als Geiseln zu nehmen.“

Mauer-Streit Auslöser Shutdown

Weil die Demokraten im Kongress nicht willens sind, Donald Trump rund sechs Milliarden Dollar Anschubfinanzierung für seine von einer Bevölkerungsmehrheit abgelehnte Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bewilligen, verweigert der Präsident mit Unterstützung der Republikaner im Senat dem Staatshaushalt hartnäckig die Unterschrift.

Ohne Haushalt kein Geld für die Belegschaften in rund einem Viertel aller Ministerien und Behörden. Und für Hunderttausende Vertragsfirmen, die dem Staat zuarbeiten.

Washington von Trumps Polit-Poker besonders betroffen

Seit 28 Tagen geht dieses Spiel nun schon so. Und während in Zeitungskolumnen darüber räsoniert wird, wer bei dem Polit-Mikado zuerst zuckt und nachgeben wird (bisher machen weder Trump noch die Demokraten die geringsten Anstalten), frisst sich der längste Shutdown in der jüngeren amerikanischen Geschichte immer tiefer in die Seele einer Stadt, die betroffen ist wie keine andere.

145.000 Staatsbedienstete und etwa 100.000 Auftragsangestellte im Großraum Washington, so hat gerade die örtliche George Mason University ausgerechnet, sind ohne Lohn. Mit Familienmitgliedern seien das eine halbe Million Shutdown-Opfer, so ein Wissenschaftler.

Weil an jedem Regierungsmitarbeiter etliche andere Jobs hingen – in Restaurants oder im Taxigewerbe etwa – sei die Zahl der insgesamt Betroffenen noch wesentlich höher. Diese Folgen hat der Stillstand für die USA.

US-Banker befürchten Nullwachstum für erstes Quartal

So hoch, dass Trumps eigene Wirtschaftsberater gerade ihre Schadenskalkulation für ganz Amerika nach oben korrigiert haben. Mit jeder Woche des Regierungsstillstands gingen der Wirtschaftsleistung 0,13 Prozentpunkte verloren, konstatieren sie.

US-Banker malen bereits das Horrorszenario eines Nullwachstums für das erste Quartal 2019 an die Wand; wenn sich die Streitparteien nicht bald zusammenraufen. Ein Minus im dreistelligen Milliardenbereich wird nicht ausgeschlossen.

Finanzen vieler Amerikaner auf Kante genäht

Was das im Kleinen heißt, weiß Chris McDonnell. Auch der Mitarbeiter im Bundesgericht ist ein Kunde der Gratisküche. McDonnell passt in das Raster, das nach Untersuchungen der Notenbank auf vier von zehn Amerikanern zutrifft.

Bei ihnen ist das Finanzenkorsett bereits auf Kante genäht. Schon Sonderausgaben von 500 Dollar im Monat, etwa für eine Arztrechnung, können die Dinge ins Rutschen bringen.

Einen anderen Job zu finden, ist schwierig

„Wir leben von Lohnscheck zu Lohnscheck“, sagt McDonnell. „Bleibt einer aus, wie jetzt, fallen ganz schnell die Dominosteine: Hypothekenzahlungen, die Rechnungen für Gas, Strom und Wasser, das Schulgeld für die Kinder.“ Noch schlimmer: „Die Kreditwürdigkeit leidet, die Banken wollen beim nächsten Darlehen mehr Geld.“

Mit Washington Gas und DC Water, den lokalen Energieversorgern, ist McDonnell in Verhandlungen, um die Zahlungen zu strecken. Einen Monat noch kann er „improvisieren“, sagt der 41-Jährige. Danach? „Anderen Job suchen. Was schwierig ist in einer Stadt, in der sich fast alles um die Regierung dreht.“

Amerikaner sehen Schuld am Shutdown bei Trump

Roy Blumenfeld und Chris McDonnell hoffen auf den „Druck des Faktischen“. Quer durchs Land wird das Murren über die laut Umfragen eindeutig Präsident Trump angelastete Selbstknebelung des öffentlichen Lebens immer lauter. Auf eine schnelle Einigung setzt Blumenfeld aber nicht.

„Trump ist stur, das kann Monate dauern. Die Demokraten sitzen aber an den längeren Hebeln.“ Heute wird sich Blumenfeld wieder in die Schlange vor dem Haus mit der Nr. 701 einreihen, um ein warmes Essen zu bekommen. Schaut er nach links, sieht er Trumps Nobelhotel im alten Postamt.