Athen. Zum ersten Mal seit der Griechenlandkrise 2014 ist die Kanzlerin in Athen. Die Feindschaft von damals kann sich keiner mehr leisten.

Kurzer Blick zurück: Bei kaum einem Thema flogen in Europa vor Jahren derart die Fetzen wie bei der Debatte über den „Grexit“. Die EU stand im Falle Griechenlands erstmals vor der Frage, ob sie bei einem Mitgliedstaat den Stecker zieht und Hilfszahlungen verweigert. Also den Austritt eines Pleite-Staats aus der Gemeinschaft provoziert.

Vor allem in Deutschland erregte der astronomische Schuldenstand des südosteuropäischen Landes die Gemüter. Die Regierung in Athen stand mit mehr als 300 Milliarden Euro in der Kreide. Das sind rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Erlaubt sind laut EU-Vertrag nur 60 Prozent.

Schäuble wetterte gegen Varoufakis

Vor diesem Hintergrund entzündete sich ein deutsch-griechischer Grundsatz-Streit. Auf der einen Seite hielt Finanzminister Wolfgang Schäuble den Griechen eine Standpauke nach der anderen: Entweder radikaler Sparkurs oder „isch over“, drohte der Südbadener.

Auf der anderen Seite keilte sein griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis zurück. Die Bundesregierung trete als eine Art Kolonialmacht auf, die keine Rücksicht auf die sozialen Verwerfungen nehme. Ein Schuldenschnitt müsse her, so Varoufakis.

Ministerpräsident Alexis Tsipras zog bei dem Propaganda-Krieg die Fäden. Doch wenige Monate nach seiner Wahl im Januar 2015 machte der Premier eine wundersame Wandlung durch: Er erfuhr am eigenen Leib, dass sich die Rolle des linkspopulistischen Volkstribuns mit der des Regierungschefs wie Feuer und Wasser verträgt.

Vor allem die Banken profitierten von der Griechenland-Krise

Tsipras hielt sich mit polemischen Attacken gegen Berlin und Brüssel zurück. Er setzte etliche Punkte aus dem von EU, EZB und IWF verlangten Spar- und Reformkatalog um. Merkel revanchierte sich, indem sie drei Hilfspakete für Griechenland mit unterschrieb.

Athen bekam Kredite in Höhe von insgesamt rund 289 Milliarden Euro, von denen – das muss der Fairness halber gesagt werden – vor allem die Banken in Deutschland, Frankreich und Italien profitierten. Den Preis bezahlte die griechische Bevölkerung mit einer hoher Arbeitslosigkeit sowie gekürzten Löhnen und Renten.

In Brüssel sorgt man sich über den Einfluss von Russland und China

Heute pflegen Merkel und Tsipras einen vertrauensvollen Umgang. In Zeiten von Brexit und der Furcht vor einem weiteren Anstieg des Rechtspopulismus rückt man in Europa zusammen. Mehr noch: Die Kanzlerin und der griechische Premier brauchen einander.

Merkel unterstützt den Vorstoß von Tsipras, den Namensstreit mit dem Nachbarland Mazedonien beizulegen. Dies ist eine der Bedingungen für den EU- und Nato-Beitritt der ehemaligen Teilrepublik Jugoslawiens. In Berlin und Brüssel will man den Prozess forcieren, weil die Sorge umgeht, dass Russland, China und die Türkei auf dem Westbalkan zunehmend an Einfluss gewinnen.

Griechenland braucht deutsche Investitionen

Tsipras hingegen rechnet der Kanzlerin hoch an, dass sie sich für eine „europäische Lösung“ bei der Flüchtlingskrise starkmacht. Griechenland hat unter der Schließung der Balkanroute besonders gelitten. Darüber hinaus braucht der Ministerpräsident für sein wirtschaftlich gebeuteltes Land dringend Investitionen deutscher Firmen. Ein gutes Klima mit Merkel soll den Nährboden hierfür schaffen.

Die Bäume wachsen deshalb nicht in den Himmel. Bald wird sich das griechische Parlament mit der Forderung nach Reparationen aus Deutschland beschäftigen. Die erlittenen Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg werden auf knapp 300 Milliarden Euro beziffert.

Sollte Athen das Thema ernsthaft aufs Tapet bringen, wäre dies ein Rückfall in alte Reflexe: Schuld sind die anderen. Die Ursachen für Griechenlands Misere liegen woanders.