Berlin. Am Jahresende wirkten die Linken in Teilen zerstritten. Nun werden sie von der Angst vor dem ostdeutschen Wähler zusammengehalten.

Es scheint so, als wären sogar die Abgeordneten der Linken über Weihnachten und Neujahr ein bisschen zur Ruhe gekommen. Der Aufstand gegen die umstrittene Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, der sich Ende 2018 anbahnte, ist zumindest vertagt. Keine Revolution, die „Friedenspartei“ rüstet ab, passend zum Motto der Fraktionsklausur: „Für einen starken Sozialstaat und konsequente Abrüstung.“

Die Bundestagsabgeordneten treffen sich Donnerstag und Freitag im edlen Hotel Steigenberger im Westen Berlins. Es geht um Sozialpolitik, Europa, den Gelbwesten-Protest in Frankreich – und vor allem um das Wahljahr 2019. Die Linke war im Osten Volkspartei. Bei der Bundestagswahl 2017 wechselten aber viele Wähler zur AfD.

Bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hat die Linke viel zu verlieren: In Sachsen ist sie stärkste Oppositionsfraktion, in Brandenburg regiert sie mit der SPD, und in Thüringen stellt sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. In den Umfragen sieht es allerdings nicht gut aus, in Thüringen liegt man bei 22 Prozent.

Stand jetzt reicht es für die rot-rot-grüne Koalition des ersten Ministerpräsidenten der Linken nicht mehr. Der Kitt, der die zerstrittene Partei zusammenhält, ist die Angst vor dem ostdeutschen Wähler.

Sahra Wagenknecht hatte immer wieder für Unruhe gesorgt

Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht bei der Klausurtagung der Linken am Donnerstag in Berlin.
Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht bei der Klausurtagung der Linken am Donnerstag in Berlin. © dpa | Jörg Carstensen

Wagenknecht fordert vor der Klausur die Fraktion zur Geschlossenheit auf: Die Linke dürfe nicht streiten, müsse sich im Wahljahr auf Themen konzentrieren. „Da haben wir uns im letzten Jahr einiges geleistet, was überflüssig war.“

Während Wagenknecht in die Mi­krofone spricht, betritt Thomas Nord den Tagungssaal. Der Abgeordnete hatte im November wegen Wagenknechts Verhalten mit seinem Abschied aus der Fraktion gedroht. In den vergangenen Tagen hieß es bei der Linken, Nord werde nicht gehen. Auf Anfrage lässt er ausrichten, dass er seine Entscheidung zum Ende der Klausur bekannt geben wird.

Wagenknecht hatte in den vergangenen Jahren immer wieder mit Wortmeldungen zur Flüchtlingsfrage, Machtkämpfen mit Parteichefin Katja Kipping und 2018 vor allem mit der Gründung ihrer linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ für Unruhe in der Partei gesorgt.

Manche Linke begriffen „Aufstehen“ als Konkurrenzprodukt und Werkzeug der populärsten Linke-Politikerin, um die Partei zu erpressen. Zuletzt war es allerdings ruhiger geworden um das Projekt.

Spaltung der Partei ist kein großes Thema mehr

Der Auftritt Wagenknechts mit Gelbweste über einem Mantel mit Pelzkragen vor dem Kanzleramt kurz vor Weihnachten wird von einigen Linken belächelt. Manche Wagenknecht-Kritiker glauben, dass „Aufstehen“ so gut wie tot ist, weil die Sammlungsbewegung keine Massen auf die Straße bringt. Von einer bevorstehenden Spaltung ist deutlich seltener die Rede.

Trotz aller Ruhe – eine Kuschelklausur ist das Fraktionstreffen natürlich nicht. Die Stimmung ist nach Teilnehmerangaben zunächst friedlich, später dann zunehmend genervt. Wagenknecht soll mit einem Antrag in die Defensive gebracht werden.

Es geht um „Unteilbar“, die große Demonstration gegen rechts in Berlin Ende 2018 unter dem Motto: „Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung“. Wagenknecht hatte nicht daran teilgenommen – und sich von „offenen Grenzen“ distanziert.

Ost-Wahlen haben große Bedeutung für die Parteispitze

Nun bekennt sich die Fraktion noch einmal zu „Unteilbar“. Im Antrag, der unserer Redaktion vorliegt und der am Donnerstagnachmittag einstimmig verabschiedet wird, wird Wagenknecht nicht namentlich erwähnt. Eher allgemein heißt es, es sei „unser ureigenes politisches Interesse“, dass immer wieder Hunderttausende „in die Öffentlichkeit gehen“. Ein Papier zu „Aufstehen“, über das nicht abgestimmt wurde, sieht vor: Anhänger der Bewegung dürfen nicht für diese bei Wahlen antreten.

Vielleicht kehrt in diesem für die Linke so wichtigen Jahr wirklich ein bisschen Frieden ein. Viele Abgeordnete wünschen sich, dass der Streit endlich ein Ende hat. „Die haben da schlicht keine Lust mehr drauf“, sagt ein Linker.

Knackpunkt sind die Ost-Wahlen im September und Oktober. Schmiert die Partei ab, dürfte es für mehrere Spitzengenossen ungemütlich werden – nicht nur für Sahra Wagenknecht.