Linke

Bewegung Aufstehen – Die Pläne der Sahra Wagenknecht

| Lesedauer: 7 Minuten
Alexander Kohnen
Sahra Wagenknecht ist Vorsitzende der Linken. Ihre Sammlungsbewegung Aufstehen sorgt für Unruhe in der Partei.

Sahra Wagenknecht ist Vorsitzende der Linken. Ihre Sammlungsbewegung Aufstehen sorgt für Unruhe in der Partei.

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Die Fraktionschefin Wagenknecht bringt mit ihrer Sammlungsbewegung viel Unruhe in die Linke. Will sie ihre eigene Partei gründen?

Berlin.  Sahra Wagenknecht sitzt in einem kleinen Konferenzraum ihrer Fraktion, gerader Rücken, die Haare streng zurückgebunden, Blazer und Rock hellblau, auch Ohrringe und Kette schimmern hellblau.

Alles passt. In den Händen hält sie eine rosa Tasse mit Schneemännern und Weihnachtspäckchen, darauf steht „Merry Christmas“. Wagenknecht trinkt Tee, hinterlässt Lippenstift am Rand. Die Tasse passt nicht ins Bild.

Bei der Linken haben manche Genossen allerdings den Eindruck, dass mit ihrer Fraktionschefin vieles nicht mehr passt. Sahra Wagenknecht, 49 Jahre, Bestsellerautorin, charismatische Rednerin, Stammgast in Talkshows, populärste Politikerin ihrer Partei, Frau von Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine, hat im Sommer die linke Sammlungsbewegung Aufstehen gegründet.

Viele Linke begreifen Aufstehen als Konkurrenz. Und als Machtinstrument Wagenknechts, um die eigene Partei zu erpressen. Manche arbeiten an ihrem Sturz. Nur: Was plant Sahra Wagenknecht?

Mit Sehnsucht blickt Wagenknecht nach Frankreich

Ihre Bilanz fällt, nicht überraschend, positiv aus. „Aufstehen hat ein wichtiges Ziel erreicht, weil wir viele Menschen wieder zum politischen Engagement motivieren, die sich von den Parteien nicht mehr angesprochen fühlen“, sagt Wagenknecht. „Jetzt muss es uns allerdings auch noch gelingen, echten Druck zur Veränderung der Politik in diesem Land zu machen.“

Bisher hat Aufstehen knapp 170.000 Unterstützer – im Internet. Es gibt 180 Ortsgruppen. Ziel ist unter anderem, Druck auf die anderen linken Parteien auszuüben – und so deren Politik zu verändern. Doch prominente Sozialdemokraten und Grüne haben sich Wagenknecht bisher nicht angeschlossen. Es ist eher eine One-Woman-Show.

Vorbild ist die Sammlungsbewegung von Jean-Luc Mélenchon, der Franzose holte bei der Präsidentenwahl fast 20 Prozent. Im nächsten Jahr soll irgendwann ein Aufstehen-Bundeskongress stattfinden. „Wir brauchen in Zukunft bei Aufstehen mehr neue, junge Gesichter an der Spitze“, sagt Wagenknecht. „Aufstehen hat da viel Potenzial.“

Gegner glaube, dass Aufstehen tot ist

Die Bilanz ihrer Gegner fällt, auch nicht überraschend, negativ aus. Sie glauben, dass Aufstehen tot ist. Sie verweisen auf eine Protestkundgebung am 9. November vor dem Brandenburger Tor, zu der etwa 1000 Menschen kamen. Das sei in einer Stadt wie Berlin so gut wie nichts. Wagenknecht wehrt ab: „Das war ja nicht als große Kundgebung geplant.“ Sie sei positiv überrascht gewesen, dass 1000 Menschen gekommen sind. „Im nächsten Jahr sind größere Protestkundgebungen geplant.“

Mit Sehnsucht blickt Wagenknecht nach Frankreich, wo die Gelbwesten demonstrieren. Gut möglich, dass sie selbst bald eine gelbe Weste überziehen wird. „Die Gelbwesten sind jetzt das Symbol einer starken Protestbewegung gegen den Präsidenten der Reichen“, sagt sie. „Deshalb hätte ich kein Pro­blem damit, eine gelbe Weste zu tragen.“ Die Gelbwesten hätten den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu Korrekturen gezwungen. „Die Gewalt zeigt auch, wie viel Wut sich aufgestaut hat.“

Natürlich sei das nicht gut. Aber die Protestkultur in Frankreich sei eben auch eine andere als in Deutschland. „Und es ist in keinem Fall legitim, die Gelbwesten auf Gewalt zu reduzieren. Wir haben es mit einer breiten Bewegung zu tun, mit der sich Tausende Schüler und sogar die Polizeigewerkschaft solidarisch erklärt haben.“ Der Forderungskatalog – höhere Löhne, bessere Renten, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur – sei ein absolut vernünftiges Programm, sagt Wagenknecht.

Wagenknecht: „Wollen linkes Lager zusammenführen“

„Hier haben sich Menschen eine Stimme verschafft, die von der Politik nie gehört wurden.“ In einer ähnlichen Lage sei auch in Deutschland ein nicht geringer Teil der Bevölkerung. Doch wird Aufstehen jemals auch nur annähernd so viel Durchschlagskraft haben wie die Gelbwesten? Das glauben nur wenige. Der Berliner Soziologe Dieter Rucht sieht Aufstehen eher von „professioneller PR statt Dialog“ geprägt. Das Projekt dürfte „mittelfristig ins Stocken geraten“, analysiert er in einer Studie für das Institut für Protest- und Bewegungsforschung.

Und Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, sieht bei der Sammlungsbewegung nur wenig Durchschlagskraft. „Aufstehen ist in der breiten Bevölkerung bisher nicht wahrgenommen worden“, sagt Güllner unserer Redaktion. Er erinnert daran, dass es in der Geschichte öfter Abspaltungen bei linken Parteien gegeben hat, etwa in der Weimarer Republik. „Auch Aufstehen könnte zu einer Spaltung der Linken führen.“

Das glauben auch manche Wagenknecht-Gegner. Doch sie lässt keine Ambitionen erkennen. „Wir wollen das linke Lager nicht zersplittern. Wir wollen es zusammenführen“, sagt Wagenknecht. Und: „Die Linke ist meine Partei. Ich bin Fraktionsvorsitzende, und diese Funktion schließt es aus, nebenbei eine konkurrierende Partei an den Start zu bringen.“ Doch ihre Gegner glauben, dass sie auf jeden Fall gehen wird – am liebsten als Märtyrerin, um dann mit ihrer neuen Partei möglichst viele Stimmen einzufahren.

Zum Bruch könnte es nächstes Jahr kommen

Und hinter dem Streit mit den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger über die Arbeitsmigration steckt laut Wagenknecht mehr: „Es geht um die Frage: Welche Schichten wollen wir als linke Partei vor allem erreichen und vertreten?“ Es reiche nicht, akademische Milieus in Großstädten anzusprechen. „Wir sind als linke Partei verpflichtet, vor allem die Menschen zu erreichen, denen es nicht gut geht. Wenn diese Menschen keine Partei im linken Spektrum mehr haben, von der sie sich ernst genommen und repräsentiert fühlen, dann ist die Gefahr groß, dass sie zu einer rechten Partei gehen.“

Und wenn Wagenknecht doch ihre eigene Partei gründet? Wahlforscher Güllner sieht das so: „Bei einer Bundestagswahl würde eine Wagenknecht-Partei nur das linke Potenzial spalten und vielleicht sechs bis sieben Prozent einfahren.“ Die Linke bekäme dann auch nur noch sechs bis sieben Prozent.

Zum Bruch könnte es nächstes Jahr im Oktober kommen, nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Osten war das Stammland der Vorgängerpartei PDS, sie war hier Volkspartei. Der Status bröckelt aber, spätestens seitdem die AfD viele unzufriedene Wähler einsammelt. Manche Linke rechnen im Osten mit hohen Verlusten wie bei der Bundestagswahl – und mit anschließenden Chaostagen in der Partei. Einer sagt: „Danach bleibt hier kein Stein auf dem anderen.“

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