Berlin. Die ehemalige AfD-Vorsitzende kämpft mit neuer Partei ums politische Überleben. Kann ihr in ihrer Heimat Sachsen ein Erfolg gelingen?

Die Rechnung, die Frauke Petry aufmacht, geht so: Die meisten Menschen geben ihre Stimme nur einer Partei, von der sie glauben, dass sie ins Parlament kommt. Wenn also genug Leute daran glauben, dass die Blaue Partei – Petrys politisches Projekt, post-AfD – bei der Landtagswahl in Sachsen im Herbst über die Fünf-Prozent-Hürde kommt, dann wählen sie sie auch. Und dann ist das Potenzial der Partei groß genug für ein zweistelliges Ergebnis, sagt Petry.

Und wenn man also zweistellig im Landtag ist, dann ist man ja auch ein möglicher Koalitionspartner. Als Koalitionspartner kann man die Politik des Freistaates Sachsen entscheidend prägen.

Und ein Signal aus Sachsen kann dazu führen, dass sich in anderen Ostländern etwas ändert. „Und wenn das ein Schwung ist, der auf den Westen übergreift, dann gibt es Chancen, auch in Deutschland insgesamt etwas zu ändern.“ Frauke Petry – wieder einmal auf dem Weg, die deutsche Politik zu ändern?

Petry scheiterte daran, den Rechtsruck der AfD aufzuhalten

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie schon am ersten „wenn“ in dieser Kette scheitern wird. Doch falls Frauke Petry selbst auch nur den geringsten Zweifel hat, dass ihre Rechnung aufgehen wird: Sie lässt es sich nicht anmerken.

Freundlich lächelnd sitzt sie in ihrem Büro im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags, zugewandt, den Arm über die Lehne drapiert, wie um zu sagen: Seht her, ich bin vollkommen entspannt. Der Gesichtsausdruck der Chemikerin ist der einer Wissenschaftlerin, die gerade eine Beweiskette überzeugend zu Ende gebracht hat.

Des Ende eines starken Aufstiegs

Es ist ein Experiment, das zwischen den Wänden ihres Bundestagsbüros – quasi unter Laborbedingungen – möglich scheint. Doch vor der Tür stellt sich die Situation etwas anders dar. Das geht schon los bei der Lage: Umgeben ist das Büro der 43-Jährigen von Räumen der Grünen.

Hier sind Petry und ihr Mitstreiter Mario Mieruch untergebracht, seit die beiden direkt nach der Bundestagswahl bekannt gaben, nicht Teil der AfD-Fraktion zu werden und die Partei zu verlassen.

Es war das Ende eines rasanten Aufstiegs: Seit sie 2015 auf einem Parteitag den Machtkampf gegen Gründer Bernd Lucke gewann, war Petry eines der prägenden Gesichter der AfD. Doch dann scheiterte sie mit dem Versuch, die Bewegung der Partei nach rechts aufzuhalten, von der sie selbst an die Spitze getragen worden war.

Petry sitzt in der letzten Reihe des Bundestages

Die neuen Nachbarn grüßen nicht, sagt Petry. Die alten Parteifreunde auch nicht, zumindest nicht offiziell. Im persönlichen Gespräch bekomme sie immer wieder Zustimmung, sagt Petry, von Abgeordneten der CDU, FDP und auch der AfD. Doch wenn sie sich von ihrem Platz in der letzten Reihe des Bundestags erhebt und eine Rede hält – nie länger als drei Minuten, mehr Redezeit gesteht der Bundestag fraktionslosen Abgeordneten nicht zu –, dann folgt darauf unweigerlich Stille.

Bei der AfD wollen sie nicht klatschen, weil Petry nicht mehr zu ihnen gehört. Bei den anderen wollen sie nicht klatschen, weil Petry trotzdem noch die von der AfD ist. Mieruch klatscht, wenn er da ist.

Auch außerhalb des Parlaments läuft es nicht so gut für die fünffache Mutter. Schlagzeilen gemacht hatte sie zuletzt weniger mit politischen Erfolgen und mehr mit Rechtsstreitigkeiten:

Wegen Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug muss sie sich vor einem Gericht in Leipzig verantworten, wegen Meineids in Dresden. Und währenddessen bemüht sich ihre Ex-Partei, Petry und ihren Mitstreitern das Copyright für die Blaue Partei aberkennen zu lassen. Ein Urteil in dieser Sache wird Ende Januar erwartet.

Blaue Partei verkauft sich als CSU außerhalb Bayerns

Die Blaue Partei ist Petrys neues politisches Projekt. Im sächsischen Landtag in Dresden, wo Petry ebenfalls noch ein Mandat hat, sitzen sie insgesamt zu fünft, immerhin, in Nordrhein-Westfalen vertreten Petrys Ehemann Marcus Pretzell und zwei weitere Abgeordnete die Partei.

Die Blaue Partei verkauft sich unter den Schlagworten „frei“ und „konservativ“, eine Art CSU außerhalb Bayerns soll sie sein. In den Positionen sieht das so aus, dass Petry im Bundestag über den UN-Migrationspakt spricht (dagegen), die dritte Geschlechtsoption im Personenstandsregister (ebenfalls dagegen) und Hartz IV (reformbedürftig, aber dafür).

Ein Bürgerforum soll Kandidaten an die Partei heranführen

Zur Partei gehört auch das Bürgerforum Blaue Wende, eine Vorfeldorganisation, mit der Petry diejenigen in die Politik holen will, die vor der Mitgliedschaft in einer Partei als zu verbindlich zurückschrecken, aber trotzdem mitreden wollen. Über sie sollen auch die Kandidaten für die Landtagswahl rekrutiert werden. „Ganz bewusst“, sagt Petry, habe man sich für externe Kandidaten entschieden, „die nicht unter dem Druck stehen, in der Partei wieder in eine Funktion gewählt werden zu müssen.“

Mit diesem Konzept touren Petry und ihre Mitstreiter durch Thüringen und Sachsen, treten auf in Eisenach, Meißen und Pirna. Mit mäßigem Erfolg: Eine Umfrage aus dem Sommer sieht die Blauen bei 0,4 Prozent – das einzige Mal, dass sie überhaupt auftauchen. Kaum Mandate, keine Fraktion, kaum Strukturen: Was die Partei hat, ist Petry selbst, die immerhin bei der Bundestagswahl noch mit 37,4 Prozent das Direktmandat in ihrem sächsischen Wahlkreis holte.

Frauke Petry als Namen ist vielen ein Begriff

Petry weiß das. „Natürlich profitiert die Blaue Partei von meiner Bekanntheit aus AfD-Zeiten“, sagt sie. Das sei auch der Grund, dass sich die Blaue Partei nun einen Namenszusatz gegeben hat. #TeamPetry, „ein bisschen angelehnt an Team Kurz in Österreich“. „Ich habe mich eine ganze Zeit lang dagegen gewehrt“, erklärt die Parteichefin, „aber es ist einfach praktisch.“

Es stimmt: Bekannt ist Frauke Petry immer noch. In einer Umfrage von Infratest Dimap aus dem vergangenen August sagten 78 Prozent der Befragten, dass sie nicht nur wissen, wer sie ist, sondern sich auch zutrauen, ihre Arbeit einzuschätzen.

Allerdings: Rund zwei Drittel der Teilnehmer gaben auch an, mit Petrys Arbeit „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden zu sein. Der Wert ist mehr als doppelt so hoch wie bei allen anderen Politikern, nach denen gefragt wurde.

AfD reagiert öffentlich gelassen auf die Petry-Partei

Entsprechend macht man sich bei der AfD, der Petry den Saum konservativ-bürgerlicher Wähler abnehmen will, wenig Sorgen: Jörg Urban, der Petry als Landeschef der Partei nachgefolgt ist, prophezeit „vielleicht ein Prozent der Stimmen“ für die Blaue Partei. Und auch bei Petrys Wunschkoalitionspartner winkt man ab. „Die Partei spielt keine Rolle, weder in der Öffentlichkeit noch im Landtag“, heißt es aus der sächsischen CDU.

Petry selbst sei kaum da, von den anderen Abgeordneten ihrer Gruppe sehe man selten mehr als die Hälfte. Und selbst wenn der Wiedereinzug in den Landtag klappen sollte, habe Petry noch nicht erklärt, was ihre neue Partei von der alten unterscheidet, und mit der stünden Koalitionen ja auch nicht zur Diskussion. Die Konstante ist sie, als Person.

Und: „Die Person Frauke Petry“, heißt es aus der sächsischen CDU-Fraktion, „hat bisher alle, die mit ihr zusammengearbeitet haben, ins politische Unglück gestürzt.“