Moskau. Mit dem Rückzug der USA aus Syrien scheint ein Machtvakuum zu entstehen. Auch deshalb fordern deutsche Politiker dort mehr Engagement.

Zehn Tage, nachdem US-Präsident Donald Trump den Rückzug amerikanischer Truppen aus Syrien angekündigt hat, werden die Folgen dieses Schritts deutlich: Russland und die Türkei nutzen die machtpolitische Lücke aus, um enger zusammenzuarbeiten.

In Moskau trafen sich die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder am Sonnabend, um über ihre Syrien-Politik zu sprechen. In der Folge könnten sich die Kräfte in der Region spürbar verschieben. Deutsche Außenpolitiker reagierten besorgt.

Man wolle „an Land verstärkt zusammenarbeiten und so endgültig die terroristische Bedrohung bekämpfen“, zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass Außenminister Sergej Lawrow am Sonnabend. Man habe sich auf Schritte geeinigt, um alle Regionen Syriens „von terroristischen Gruppen zu befreien“, betonte auch der türkische Chefdiplomat Mevlut Cavusoglu. Was das konkret bedeutet, blieb unklar. 90 Minuten soll das Treffen nach Angaben der türkischen Agentur Anadolu gedauert haben.

Anwesend waren auch der türkische Verteidigungsminister und dessen russischer Kollege. Angeblich haben beide Seiten auch über ein mögliches Treffen des russischen Staatschefs Wladimir Putin mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gesprochen.

Mehrere Parteien kämpfen um Vormachtstellung in Syrien

Die Machtverhältnisse in der Region sind unübersichtlich. Die Türkei geht seit rund einem Jahr auch auf syrischem Territorium gegen die Kurdenmiliz YPG vor, die im Norden und Osten Syriens große Gebiete kontrolliert. Ankara sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und stuft sie als Terrororganisation ein. Die USA sehen das grundsätzlich genauso, haben aber bisher gemeinsam mit der YPG gegen die Terrororganisation IS gekämpft. Nach Ansicht von Trump ist der IS inzwischen aber besiegt.

Syrische Kurden bitten Assad um Hilfe, aus Angst vor Erdogan. Die syrische Armee von Machthaber Baschar al-Assad verlegte daraufhin Truppen in die Gegend der Stadt Manbidsch. Unklar ist, ob sich aus der ganzen Situation ein Konflikt zwischen der Türkei und Russland ergeben könnte.

Merkel und Putin telefonieren

Um die Lage nicht eskalieren zu lassen, telefonierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitagabend mit Putin. Beide seien sich einig gewesen, dass der seit sieben Jahren dauernde Konflikt in Syrien politisch beigelegt werden solle, sagte eine Regierungssprecherin. Es sei auch um die Bildung eines Verfassungskomitees in Syrien sowie um den US-Abzug gegangen.

Deutsche Außenpolitiker sprachen sich für mehr deutsches Engagement aus: Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Union, forderte finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau Syriens.

Unter der Herrschaft Assads sei ein dauerhafter Frieden in Syrien „undenkbar“. Die Türkei und Russland seien in der Pflicht, die Ergebnisse einer Konferenz in Istanbul im Oktober umzusetzen: Damals wollten Russland, die Türkei, Deutschland und Frankreich den Friedensprozess wieder anschieben – unter anderem mit einem Komitee, das eine Verfassung für Syrien erarbeiten soll. „Deutschland und Frankreich sollten bereitstehen, eine Friedenslösung für Syrien im UN-Sicherheitsrat, in dem Deutschland ab Januar Mitglied ist, zu begleiten“, sagte Hardt unserer Redaktion.

SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich forderte eine klare Positionierung der Bundesregierung gegen das Handeln der Türkei im Nachbarland: „Das völkerrechtswidrige Vorgehen des türkischen Präsidenten in Nordsyrien“ könne „weiteres Eskalationspotenzial“ und „neue Flüchtlingsbewegungen schaffen“, so Mützenich. Die Bundesregierung müsse klarstellen, dass die Besetzung syrischen Territoriums durch die Türkei nicht akzeptabel sei.

Omid Nouripour, Außenpolitiker der Grünen, meint, mehr finanzielles Engagement sei der „einzige Hebel“, den die EU habe. „Alle wollen, dass Europa sich finanziell am Wiederaufbau beteiligt“, sagte Nouripour unserer Redaktion. Dies müsse an Bedingungen geknüpft sein, etwa die Aufarbeitung aller Kriegsverbrechen. Sonst sei keine Aussöhnung und kein Frieden möglich. Auch ein Ende des Krieges der Türkei gegen die Kurden müsse eine Bedingung sein. (mit dpa)