Brüssel. Nach Ansicht der Nato-Außenminister hat Russland einen atomaren Abrüstungsvertrag verletzt. Deshalb gibt es für Russland ein Ultimatum.

Die Nato verschärft im Atomwaffen-Streit mit Russland den Ton, verzichtet aber auf konkrete Drohungen oder ein Ultimatum an Moskau. Die Nato-Außenminister beschlossen am Dienstag in Brüssel eine Erklärung, in der Russland ausdrücklich eine Verletzung des INF-Abrüstungsvertrags vorgeworfen wird.

Das von Russland entwickelte und eingesetzte Raketensystem 9M729 verstoße gegen den INF-Vertrag und stelle ein „erhebliches Risiko für die euroatlantische Sicherheit dar“. Moskau müsse dringend zur vollständigen und überprüfbaren Einhaltung des Vertrags zurückkehren, forderten die Außenminister.

Die USA werfen Russland seit Jahren vor, mit der Entwicklung eines neuen, atomwaffenfähigen Mittelstrecken-Marschflugkörpers gegen das Abrüstungsabkommen von 1987 zu verstoßen; in dem INF-Vertrag hatten sich Russland und die USA zum Verzicht auf alle atomaren, landgestützten Mittelstreckenwaffen (mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern) verpflichtet.

Außenminister waren bislang vorsichtig in der Bewertung der Situation

US-Präsident Donald Trump hat deshalb im Oktober angekündigt, das Abkommen aufzukündigen. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wirft Russland bereits seit längerem und mit ausdrücklicher Billigung der Mitgliedstaaten in scharfer Form eine Vertragsverletzung vor.

Die Nato-Außenminister waren bislang aber vorsichtiger und hatten das Verhalten zwar kritisiert, den ausdrücklichen Vorwurf eines Vertragsbruchs durch Russland aber vermieden und stattdessen von Moskau Aufklärung verlangt. Dies hat sich nun geändert: Es gebe keinen Zweifel am vertragswidrigen Verhalten Moskaus, erklärten Nato-Diplomaten. Dazu hatten auch umfassende amerikanische Geheimdiensterkenntnisse beigetragen, die die USA den Nato-Partnern übermittelt hatten.

Auf Drängen europäischer Nato-Partner droht das Bündnis jetzt aber noch keine Konsequenzen an, sondern betont den Willen zum Dialog mit Russland. In einigen Medienberichten war zuvor davon die Rede gewesen, die Nato gebe Moskau „eine letzte Chance“ oder setze ein „Ultimatum“. Genau diese Dramatik vermeiden die Nato-Minister jetzt aber.

Die USA planen eine Kündigung in zwei Monaten

In der Erklärung heißt es nur sehr allgemein, die Nato werde sich weiter für die Erhaltung der strategischen Stabilität und der euro-atlantischen Sicherheit einsetzen und für die Glaubwürdigkeit der Abschreckung sorgen. „Wir werden uns weiterhin regelmäßig beraten, um unsere kollektive Sicherheit zu gewährleisten.“ Zugleich erklären die Außenminister ihr Interesse an einem „konstruktiven Verhältnis zu Russland“ und zeigen sich „offen für den Dialog“.

Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte wiederholt vor einem neuen Wettrüsten in Europa gewarnt und neue Bemühungen für eine Abrüstungsinitiative angekündigt. Allerdings ist die Hoffnung auf ein Einlenken Moskaus nach Angaben von Nato-Diplomaten eher gering. Am Ende müsste Russland das neue Mittelstrecken-System „verschrotten“, womit nicht zu rechnen sei.

Die USA planen nach Angaben von Außenminister Mike Pompeo, das Abkommen in zwei Monaten zu kündigen, sollte Moskau nicht bis dahin seinen Kurs korrigieren. In der Nato wird damit gerechnet, dass der Beschluss zum Treffen der Nato-Verteidigungsminister Anfang Februar verkündet werden könnte – also in zwei Monaten. Auch danach gäbe es für Russland aber noch die Möglichkeit des Einlenkens, um das Abkommen zu erhalten, heißt es bei Nato-Diplomaten.

Zugleich bereitet sich die Nato intern auf mögliche Reaktionen vor. Nach Informationen unserer Redaktion wird vor allem ein Ausbau der konventionellen Raketenabwehrsysteme in Europa erwogen. Eine Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen durch die Nato gilt bislang als sehr unwahrscheinlich, auch wegen des zu erwartenden politischen Widerstands in vielen europäischen Nato-Staaten. Stoltenberg hatte am Montag klargestellt, eine mögliche Reaktion der Nato werde nicht „eins zu eins“ oder „Rakete um Rakete“ erfolgen.