Berlin. Nach der Eskalation vor der Krim fordert der ukrainische Präsident Poroschenko massive Unterstützung des Westens – auch militärisch.

Im exklusiven Interview mit unserer Redaktion spricht der ukrainische Präsident Petro Poroschenko über den Konflikt mit Russland und über die Frage, welche Unterstützung er aus Deutschland erwartet.

Präsident Poroschenko, wie nah sind wir einem neuen Krieg gekommen?

Das hängt vollkommen von Russland ab – einem Land, das bereits einen nicht erklärten Krieg gegen die Ukraine führt. Unser Land hat niemals irgendeine militärische Eskalation provoziert. Es waren nicht wir, die ungebeten mit Panzern und Maschinengewehren kamen, sondern die Russen. Es war nicht die Ukraine, die einen Teil des souveränen Territoriums eines anderen Staates annektiert hat, sondern Russland.

Man sollte niemals vergessen, dass sich bereits heute reguläre russische Truppen auf ukrainischem Boden befinden. Sie haben durch die Besetzung der Krim und des Donbass unsere territoriale Integrität verletzt. Sie töten fortlaufend Ukrainer.

Welche Absicht unterstellen Sie Moskau?

Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine.
Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine. © dpa | Kay Nietfeld

Mit dem neuesten Zwischenfall in der Straße von Kertschhat Russland bewiesen, dass es seine Besetzung der Ukraine ausweiten will. Moskau strebt einen Landkorridor vom besetzten Donbass bis zur besetzten Krim an, indem es die Städte Mariupol und Berdjansk an sich reißt. Wenn einige Politiker nicht aufhören, mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu kuscheln, sollte niemand ausschließen, dass das Ausmaß der russischen Aggression weiter zunimmt.

Kurz gesagt: Die Zukunft der freien Welt wird in diesen Tagen in der Ukraine entschieden. Im Gegensatz zu Russlands provokativem Verhalten und zu seiner Anstiftung zu noch dramatischeren Entwicklungen hat sich die Ukraine immer für politisch-diplomatische Mittel zur Beilegung von Konflikten stark gemacht.

Was verlangen Sie jetzt von Russland und seinem Präsidenten Putin?

Die Forderungen der Ukraine liegen seit langer Zeit auf dem Tisch. Seit Jahren bestehen wir – zusammen mit Deutschland und Frankreich – darauf, dass Russland in Sicherheitsfragen liefert. Es soll die Vereinbarungen des Friedensabkommens von Minsk einhalten.

Es soll einen stabilen Waffenstillstand ermöglichen. Es soll seine Truppen und sein Militärgerät von ukrainischem Gebiet abziehen. Russland muss UN-Blauhelmsoldaten erlauben, das besetzte Gebiet zu betreten und die Grenze nach Russland zu kontrollieren.

Es muss auch Fortschritte bei der Freilassung von illegal inhaftierten Ukrainern in den besetzten Gebieten sicherstellen. Das gilt auch für Ukrainer, die in Russland als politische Gefangene gehalten werden. Anstatt die legitimen Forderungen zu erfüllen, hat Russland sich entschieden, die Spannungen zu verschärfen.

Der Angriff russischer Kriegsschiffe auf ukrainische Marineboote in der Straße von Kertsch sowie deren Kaperung waren provokativ und zynisch.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Was bedeutet das für die gefangenen Seeleute?

Da es sich bei dem aktuellen Angriff um eine Aggression gegen die Ukraine gehandelt hat, fallen die Seeleute unter das Kriegsrecht. In Wirklichkeit sind es Kriegsgefangene. Die Russische Föderation muss daher alle Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts einhalten.

Es versteht sich von selbst, dass Russland alle Festgenommen freilassen und die ukrainischen Schiffe unverzüglich zurückgeben muss. Andernfalls muss Russland mit einer neuen Welle internationaler Verurteilung sowie mit Sanktionen rechnen.

Was erwarten Sie von Deutschland, von Europa?

Russlands aggressive Handlungen sind inakzeptabel. Die internationale Gemeinschaft und das vereinte Europa müssen den Druck auf Russland erhöhen. Wir brauchen eine starke, geschlossene und unmissverständliche Reaktion auf Russlands aggressives Verhalten. Dazu gehört auch, das Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu stoppen. Wir müssen jetzt über neue Sanktionen nachdenken.

Hoffen Sie auch auf militärische Hilfe?

Wir brauchen eine erhöhte Präsenz von Kriegsschiffen aus Deutschland und verbündeten Ländern im Schwarzen Meer als Botschaft der Abschreckung gegen Russland. Es ist höchste Zeit, eine geschlossene internationale Reaktion zu zeigen wie beim russischen Giftgasangriff im britischen Salisbury....

... Sie sprechen von dem Anschlag auf den früheren russischen Spion Sergei Skripal in der südenglischen Stadt.

Ich glaube, dass der EU-Gipfel im Dezember in Brüssel eine Gelegenheit sein wird, die Lage auf der Grundlage von Solidarität mit der Ukraine zu bewerten.