Berlin. Der ehemalige Bürgermeister Hamburgs spricht in Berlin über die Finanzkrise, Cum-Ex-Geschäfte und Italien.

Die Bücherhalle in Billstedt, das Frauenhaus in Farmsen, ein Kreisel in Kirchwerder – das waren früher seine Themen als Bürgermeister in Hamburg. Für Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist die Welt gewachsen: ­G20-Gipfel in Buenos Aires, EU-Ministertreffen in Wien, Handelsreise nach Washington. Das ist Politik nach seinem Geschmack – auch wenn der 60-Jährige das niemals so sagen würde.

Am Montagabend diskutierte der Sozialdemokrat in seinem Berliner Ministerium in der neuen Veranstaltungsreihe „BMF im Dialog“ mit dem britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze über Lehren aus der Finanzkrise. Im Matthias-Erzberger-Saal des einstigen Reichsluft­fahrt­ministeriums der Nazis, in dem Walter Ulbricht 1961 versprach, „Niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten!“, holte Scholz schon bei der Begrüßung weit aus: Nach zwei Diktaturen, betonte der Hamburger, sei dies nun ein demokratischer Ort.

Und ein Platz, an dem munter und mutig diskutiert wird. Scholz gefällt seine neue Rolle: Er ist ohne Krawatte gekommen, allen Krisen zu Trotz bester Laune, er plaudert ohne Stanzen und Floskeln. Da sitzt kein Scholzomat auf dem Podium, sondern ein politischer Denker, der Philosophen zitiert. Klug, kompetent, etwas selbstverliebt.

Weltwirtschaft am Abgrund

Vor zehn Jahren schubste die Leh­man-Pleite die Weltwirtschaft an den Abgrund. Olaf Scholz war damals Bundesarbeitsminister und half mittels Kurzarbeitergeld, die deutsche Wirtschaft zu stabilisieren. „Bei mir hält die Verwunderung bis heute an, dass viele Probleme, die vorher schon diskutiert waren, so eskalierten.“ Das Problem des amerikanischen Subprime-Marktes sei in seiner Dimension verkannt worden.

„Es fehlte lange Zeit das Gefühl für die Krise“, erinnerte sich Scholz. Adam Tooze, Autor des viel diskutierten Buches „Crashed – Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben“ schilderte eindrücklich die Zuspitzung der Lage Ende 2008 in den USA: „Damals gab es ein Massaker auf dem Arbeitsmarkt.“ Anders als die Europäer hätten die Amerikaner eines aber richtig gemacht: Die Regierung, lobte Tooze, habe die US-Banken gezwungen, staatliches Geld zu nehmen. Während die Bankenrettung für die Amerikaner unter dem Strich zu einem guten Geschäft wurde, haben die deutschen Steuerzahler Milliarden verloren.

Weniger einig waren sich Tooze, der in perfektem Deutsch diskutierte, und Scholz über die Schuldenbremse. Der britische Historiker gestand, „Probleme mit dieser volkswirtschaftlichen Idee“ zu haben. Die künstliche Verknappung von Staatsanleihen würde die Renditen weiter senken. „Wohin sollen denn die Ersparnisse fließen?“, fragte Tooze. Schon in den vergangenen Jahren seien riesige Summen ins Ausland abgeflossen. Scholz hingegen verwies auf die Wichtigkeit dieses Politikwechsels. „Zu lange haben wir ein zu großes Schuldenwachstum zugelassen.“ Nun sei die Schuldenquote rückläufig. Dies gebe der Politik Möglichkeiten, im Ernstfall zu handeln: „In einer kräftigen Krise können wir wieder voll investieren.“

Kritik an Europapolitik der Bundesregierung

Kritik übte Tooze an der Europapolitik der Bundesregierung. Macrons Europa-Vorstoß sei unbeantwortet geblieben, „eine historische Gelegenheit wurde vertan“. Verständnis zeigte der Brite für die Situation in Italien: „Wir müssen die Krise ernst nehmen.“ Der Unmut der Italiener über die wirtschaftliche Stagnation seit zwölf Jahren sei berechtigt, eine Eskalation des Streites würde nur der rechtspopulistischen Lega in die Hände spielen.

Tooze beklagte, dass die „vernünftige Regierung unter Matteo Renzi“ einst zu wenig Hilfe der EU bei der Flüchtlingskrise und der Wirtschaftsflaute bekommen habe. Nun könne der Streit eine Finanzkrise auslösen. Auch Scholz gab zu, Europa habe sich in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert: „Als deutscher Finanzminister sollte man sich einfach mal vorstellen, man wache auf und sei plötzlich italienischer Finanzminister. Umgekehrt wäre es aber auch nicht schlecht.“

Deutliche Worte fanden Tooze und Scholz zu den Steuerbetrügereien rund um Cum-Ex und Cum-Cum. „Das ist doch furchtbar. Wir stellen uns den Kapitalismus zu niedlich vor“, kritisierte Scholz. Es gebe Menschen, die jeden Tag neue Tricks erfinden. „Wir müssen wachsam sein“, sagte er. Und versprach: „Wir werden jedem Hinweis nachgehen, den wir bekommen.“ Warum, so fragte eine Journalistin, sollten die Bürger den Politikern vertrauen, die einst die Finanzkrise ausgelöst haben? „Weil ich jetzt da bin“, antwortete Scholz. Er erntete die Lacher. Aber auf so eine Antwort muss man erst einmal kommen.