Berlin. Grundgesetzänderung verlangen, zurückrudern: Das ist schlechter Stil. Friedrich Merz hat damit vor allem seiner Konkurrentin geholfen.

Friedrich Merz erfüllt mit seiner Kandidatur gerade die Sehnsüchte vieler CDU-Mitglieder nach personeller Erneuerung und Rückkehr zu konservativen Positionen. Bei den ersten beiden Regionalkonferenzen für die Parteibasis versprach er unter großem Beifall, die CDU wieder an die 40 Prozent-Marke zu führen und der AfD-Wähler abzujagen, sie gar obsolet zu machen.

Dafür wählte er nun den ganz großen Aufschlag: Man müsse darüber reden, ob das individuelle Grundrecht auf Asyl in der deutschen Verfassung bleiben könne, wenn man eine europäische Einwanderungspolitik wolle. Zur Erinnerung: Das Grundrecht auf Asyl zu „überdenken“ bedarf einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Zahl derer, die Asyl bekommen, ist gering

Die politische und mediale Resonanz auf diesen Vorstoß war groß, die der Befürworter, aber auch die derjenigen, die fassungslos den Kopf schütteln. „Nun sind wir wieder in einer Asyldebatte. Hatten wir das nicht gerade hinter uns gelassen“, stöhnt ein Konservativer.

Denn die Zahl der Menschen, die sich auf das Grundrecht berufen und hierzulande Asyl bekommen, ist sehr gering. Letztes Jahr haben bundesweit gerade einmal rund 0,7 Prozent der Antragsteller Asyl nach dem Grundgesetz erhalten, 2018 waren es bislang 1,3 Prozent.

Auch gibt es viele Länder, die ein Recht auf Asyl in der Verfassung verankert haben. Außerdem räumt das in allen EU-Mitgliedstaaten geltende Europarecht abgelehnten Asylbewerbern das Recht zur individuellen Klage ein.

Merz ruderte dann doch schnell zurück

Kandidat Merz war ob der Auslegung seiner Worte offenbar erschrocken und ruderte zurück, versuchte, den Geist wieder in die Flasche zu treiben. Er stelle das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht infrage. Bei einer Anerkennungsquote von deutlich unter zehn Prozent ist es erforderlich, dass wir uns mit der Frage beschäftigen, wie das „Grundrecht auf Asyl und ein europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken können“, relativierte er in einer Mitteilung.

Wohlkalkulierte Provokation oder Überforderung mit der Klaviatur der politischen Kommunikation? Vielleicht hat Merz die Schnelligkeit der sozialen Medien und den Interpretationsspielraum unterschätzt. Denn die Methode „Tabubruch und dann Wieder-Einsammeln“ ist bislang nicht Merz’ Stil.

Er bemühte sich bei seiner Kandidatur bislang sichtlich um eine konziliante Linie, nahm die Schärfe aus seiner oft brillanten Rhetorik raus. Er betonte stets, dass er keine Rachegelüste gegen seine langjährige Widersacherin Angela Merkel hege, mit ihr auch als möglicher CDU-Chef pfleglich umgehen werde. Durch die Asyl-Debatte hat er das zunichte gemacht.

Kramp-Karrenbauer nutzt den Moment

 Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Generalsekretärin, durfte bei der Regionalkonferenz für Sachsen-Anhalt und Sachsen in Halle (Saale) als erste reden.
Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Generalsekretärin, durfte bei der Regionalkonferenz für Sachsen-Anhalt und Sachsen in Halle (Saale) als erste reden. © dpa | Hendrik Schmidt

Seine Konkurrentin, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, erkannte jedenfalls ihre Konterchance, verwies auf die Väter des Grundgesetzes, die das Asylrecht in die Verfassung schrieben, die schlimmen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs vor Augen, und grenzte sich damit sehr deutlich von ihrem parteiinternen Rivalen ab.

Auch dem Dritten im Bunde, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der seit Jahren für eine rigidere Flüchtlingspolitik wirbt, ging Merz’ Vorstoß zu weit. Für ihn wird es jetzt allerdings enger, denn sein Markenkern war vor allem eine harte Haltung in der Frage der Migrationspolitik. Klar ist jetzt jedenfalls: Der CDU-Parteitag wird auch eine Abstimmung über den Rechtskurs der Partei. Das ist schade, denn die Herausforderungen der Digitalisierung, der Bildungspolitik und der Wirtschaft gehen dadurch unter. Sie sind aber viel wichtiger.