Berlin. Angela Merkel wirkt nach ihrem Rückzug als CDU-Chefin befreit. In der Generaldebatte im Parlament kämpft sie um ihr politisches Erbe.

Ein Hauch von Geschichte weht durch das Parlament. Knapp einen Monat, nachdem sie den Rückzug von der CDU-Parteispitze ankündigte, erscheint Angela Merkel um kurz vor 9 Uhr im Plenarsaal.

FDP-Chef Christian Lindner wird später sagen, Merkels Auftritt in der Haushaltsdebatte sei eine Zäsur, weil die Betrachtung ihres politischen Lebenswerks bereits begonnen habe. Merkel schaut bei dieser Bemerkung kurz verdutzt auf. Dabei hat Lindner vollkommen recht.

Der Blick auf Angela Dorothea Merkel ist ein anderer geworden. Das Fundament der Macht verschiebt sich. Innenminister Horst Seehofer verfolgt ebenfalls zum letzten Mal als CSU-Vorsitzender eine Königsdebatte zum Haushalt.

Angela Merkel hält im Bundestag Rede – das Wichtigste in Kürze:

  • Angela Merkel hat am Mittwoch bei der Haushaltsdebatte gesprochen
  • Leidenschaftlich verteidigte sie den Migrationspaket
  • Und sorgte mit einem Konter in Richtung für AfD für Lacher
  • Christian Lindner bezeichnete ihren Auftritt als Zäsur

Merkel scheint befreit zu sein

In zwei Monaten werden alle drei Parteichefs der Koalition – Andrea Nahles verzichtete grundsätzlich auf ein Ministeramt, um sich auf die Rettung der SPD zu konzentrieren – nicht der Regierung angehören (es sei denn, Jens Spahn wird CDU-Chef).

Von Merkel jedenfalls scheint mit der nahenden Aufgabe des Parteivorsitzes eine Last abgefallen zu sein. Selten skizzierte die Dauerkanzlerin so klar wie an diesem Mittwochmorgen, was angesichts einer erodierenden Weltordnung für Deutschland und Europa auf dem Spiel steht.

Angela Merkel wirke bei ihrer Rede im Parlament gelöst.
Angela Merkel wirke bei ihrer Rede im Parlament gelöst. © Getty Images | Sean Gallup

Dabei schrieb die 64-Jährige kräftig an ihrem eigenen Kapitel im Geschichtsbuch. Merkel führte ihre Entscheidung vom September 2015, in Ungarn und Österreich gestrandete Flüchtlinge aufzunehmen, als Lehrstück dafür an, dass Deutschland sich nicht von Krieg und Leid und daraus resultierenden Migrationsbewegungen abkoppeln könne.

Angela Merkel: „Das ist Nationalismus in reinster Form“

Leidenschaftlich verteidigte Merkel den UN-Migrationspakt. Der seit 2016 verhandelte UN-Pakt soll weltweit Standards im Umgang mit Arbeitsmigranten festschreiben und Mitte Dezember in Marrakesch verabschiedet werden.

­Verschwörungstheoretikern in AfD und CSU stellen den Pakt als vermeintliches Einfallstor für Flüchtlinge hin. Er soll auch auf dem CDU-Parteitag in Hamburg diskutiert werden.

„Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken“, sagte Merkel. „Das ist Nationalismus in reinster Form. Das ist kein Pa­triotismus.

Merkel konterte gekonnt auf eine Rede von Alice Weidel
Merkel konterte gekonnt auf eine Rede von Alice Weidel © dpa | Michael Kappeler

Denn Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-win-Situationen akzeptiert.“ Der UN-Mi­grationspakt sei der richtige Versuch, globale Probleme miteinander zu lösen.

Den Kritikern erklärte die Kanzlerin noch, das angestrebte Abkommen sei rechtlich nicht bindend und werde nicht einmal unterschrieben: „Die Souveränität wird nicht berührt.“ Merkel erinnerte daran, dass es aktuell 222 gewaltsame Konflikte gebe, von denen eine Milliarde Kinder betroffen seien.

Merkel erteilt Weidel kühle Lektion

Nebenbei fertigte Merkel die AfD, die sie sonst im Bundestag stoisch ignoriert, in Person von Fraktionschefin Alice Weidel in nur einem Satz ab. Weidel hatte in ihrer Rolle als Oppositionsführerin kurz zum Haushalt gesprochen, um dann Fehler im Umgang mit mutmaßlich illegalen Wahlkampfspenden an die AfD aus dem Ausland einzuräumen.

Gleichzeitig listete Weidel minutenlang frühere Spendenaffären von CDU und SPD auf. Mit ihrem eingerollten Manuskript haute die Ex-Unternehmensberaterin zum Schluss trotzig aufs Pult.

Von ihrem Co-Fraktionschef Alexander Gauland gab es für die Flucht-nach-vorn-Rede ein Küsschen auf die Wange, von der Kanzlerin eine kühle Lektion: „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für wichtig hält.“

Lindner erklärt 2018 zum verlorenen Jahr

An manchen Stellen von Weidels Rede muss sogar die Kanzlerin lachen.
An manchen Stellen von Weidels Rede muss sogar die Kanzlerin lachen. © dpa | Michael Kappeler

FDP-Chef Christian Lindner warnte in seiner Rede davor, den UN-Migrationspakt einzustampfen. Das beinah fertige Handelsabkommen TTIP zwischen den USA und Europa sei von der politischen Linken zerstört worden; dies dürfe sich beim Migrationspakt nicht von rechts wiederholen, so Lindner.

Ansonsten erklärte Lindner das Jahr 2018 vier Wochen vor Heiligabend politisch schon zu einem verlorenen Jahr – unterschlagend, dass sein Nein zu einer Jamaika-Koalition die Regierungsbildung um Monate zurückgeworfen hatte.

2019 könne ein Jahr der Erneuerung werden, so der Liberale. Er spielte dabei an auf Spekulationen, dass die Kanzlerin sowie Innenminister Seehofer bald nicht nur die Partei-, sondern auch ihre Staatsämter abgeben könnten.