Brüssel. Die EU will am Sonntag bei einem Sondergipfel den Brexit-Deal verabschieden. Kann sich die britische Premierministerin so lange halten?

Das Drama um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union geht weiter. Obwohl die britische Premierministerin Theresa May ihre Kritiker eindringlich vor den Folgen eines Putschversuchs warnt, wird ein Misstrauensvotum gegen May immer wahrscheinlicher.

Ihre Gegner bei den konservativen Tories haben offenbar die notwendige Zahl von 48 Unterstützern für einen Misstrauensantrag fast zusammen. Am Montag war in London von 42 Abgeordneten die Rede, die schon erklärt hätten, mit weiteren Meldungen sei in Kürze zu rechnen.

Abstimmung könnte May stärken

Doch es ist nicht gesagt, dass May eine solche Abstimmung auf jeden Fall verlieren würde. Bliebe sie nach überstandenem Misstrauensvotum im Amt, wäre ihre Stellung sogar gefestigt, denn die Wiederholung einer solchen Aktion ist frühestens nach einem Jahr möglich.

Kommentar: Brexit – Theresa May muss jetzt volles Risiko gehen

Doch auch in diesem Fall ist völlig unklar, wie May den Austrittsvertrag anschließend durchs Parlament bekommen will. Dort fehlen ihr nicht nur Stimmen aus ihrer Tory-Partei, sondern voraussichtlich auch der Rückhalt der nordirischen DUP, auf die Mays Regierung angewiesen ist.

EU will auf keinen Fall nachverhandeln

Die Forderung ihrer Kritiker nach Nachverhandlungen des Brexit-Deals lehnt May vehement ab. Dafür gäbe es auch auf EU-Seite keinerlei Bereitschaft. Die zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten bekräftigten bei Beratungen am Montag, dass Nachbesserungen an dem 500-Seiten-Dokument nicht infrage kommen: Der Vertrag soll bei einem EU-Sondergipfel am Sonntag ohne Änderungen abgesegnet werden.

Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Es handelt sich um einen echten Kompromiss, bei dem beide Seiten etwas gegeben haben.“ Niemand könne den Bürgern erklären, dass man eine solche Chance ungenutzt verstreichen lasse. Die Folgen eines ungeregelten Brexits seien unkalkulierbar, warnte Maas.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier sprach von einem „fairen und ausgewogenen Deal“. Die Europa-Minister hatten den Vertragsentwurf auch formell abgesegnet.

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    Unzufriedenheit auch auf EU-Seite

    Das Beharren auf einem unveränderten Text hat auch mit innereuropä­ischen Spannungen zu tun: Die EU fürchtet nicht nur britische Nachforderungen, wenn jetzt Gesprächsbereitschaft signalisiert würde. Auch auf EU-Seite gibt es Unzufriedenheit mit Details.

    Spanien etwa fürchtet dauerhafte Privilegien für das britische Gibraltar am Südzipfel der Iberischen Halbinsel, Frankreich und andere Länder wollen Zusicherungen für Fischereirechte in der Nordsee. Ein Veto einzelner Regierungen wird es am Sonntag aber nicht geben, die strittigen Fragen sollen erst in späteren Verträgen geklärt werden.

    May will Migration selbstständig regeln

    Zugleich versucht man jetzt in Brüssel, als Entgegenkommen an May eine positive Stimmung zu erzeugen: Ein künftiger Handelsvertrag werde es Großbritannien erlauben, die Kontrolle über seine Gesetze wiederzugewinnen, erklärte Chefunterhändler Barnier. Ziel sei es, dass die EU und Großbritannien souveräne Kontrolle über ihre Regeln hätten.

    Ähnliche Formulierungen verwendete May am Montag bei einem Auftritt vor britischen Unternehmern, die ihren Kurs demonstrativ stützen. May verwies unter anderem auf die Möglichkeit, die Migration wieder selbstständig zu regeln.

    Wie lange soll die Übergangsperiode dauern?

    „EU-Bürger werden sich nicht mehr einfach in der Warteschlange nach vorne drängeln können, vorbei an Ingenieuren aus Sydney oder Software-Entwicklern aus Neu Delhi“, sagte die Premierministerin. „Es wird nicht mehr darauf ankommen, aus welchem Land jemand kommt, sondern auf seine Talente und Fähigkeiten.“

    Zu einem brisanten Streitpunkt entwickelt sich die Frage, wie lange die Übergangsperiode dauern könnte, in der Großbritannien sich noch an alle EU-Regeln halten muss und dafür Zugang zum EU-Binnenmarkt hat, während London und Brüssel parallel ein dauerhaftes Handelsabkommen abzuschließen versuchen.

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      Brexiteers drängen auf baldigen EU-Austritt

      May versicherte, die Übergangsperiode müsse auf jeden Fall im Vorfeld der nächsten turnusmäßigen Parlamentswahl im Mai 2022 auslaufen. Barnier hat dagegen Ende 2022 ins Gespräch gebracht. Unter Fachleuten in Brüssel gilt es als sicher, dass auch diese Frist nicht ausreicht – einen umfangreichen Handelsvertrag fertigzustellen, wäre in nur drei Jahren kaum zu schaffen.

      Doch drängen Befürworter des britischen EU-Austritts auf ein rasches Ende der Übergangsfrist. In Berlin fordern unterdessen Grüne und Linke eine Brexit-Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie dürfte in ihrer Rede bei der Haushaltsdebatte des Bundestags am Mittwoch auf das Thema eingehen.