Berlin. Es sind nur wenige Missbrauchsfälle, aber die haben Sprengkraft. Olaf Scholz’ Durchgreifen beim Kindergeldmissbrauch ist überfällig.

Manchmal gibt es bittere Wahrheiten, die ungeschminkt auf den Tisch müssen. „Ich muss mich hier mit Menschen beschäftigen, die ganze Straßenzüge vermüllen und das Rattenproblem verschärfen. Das regt die Bürger auf“, schimpfte der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link unlängst.

Es regte sich über die bandenmäßige Abzocke bei Kindergeld und anderen Sozialleistungen in Brennpunktvierteln auf, wo Menschen teils nur zu einem Zweck in abgerockten Häusern und Wohnungen eingepfercht werden: Sozialleistungsbetrug.

Gefälschte Geburtsurkunden und Arbeitsbescheinigungen

Harte Worte, von Political Correctness keine Spur. In mancher akademischer Wohlfühloase, wo dieser Tage leidenschaftlicher über Ferkelkastration als über Straftaten gestritten wird, gibt es dafür sicher keinen Beifall.

Aber was, bitte schön, soll man dazu sagen, wenn daheim in Rumänien oder Bulgarien in Wahrheit nur zwei Kinder zur Schule gehen und nicht sieben? Mit gefälschten Geburtsurkunden und Arbeitsbescheinigungen (auch um „Aufstocker“-Leistungen im Jobcenter zu erschleichen) werden zuständige Behörden ausgetrickst, das beweisen Stichproben immer wieder.

Es geht nur um einen Bruchteil der Kindergeldempfänger

Wird der Dauerbrenner Kindergeldbetrug thematisiert, kommt stets der Einwand, es werde eine Skandalisierung auf dem Rücken ohnehin ausgegrenzter Menschen betrieben, die Opfer armutsbedingter Migration in Europa seien.

Außerdem gehe es nur um einen Bruchteil der Kindergeldempfänger aus dem EU-Ausland, da könne man die Kirche im Dorf lassen.

Ja, in 95 oder 97 Prozent der mehr als 260.000 Fälle, in denen deutsches Kindergeld Monat für Monat an EU-Bürger überwiesen wird, läuft alles nach Recht und Gesetz.

Große Sprengkraft – auch bei wenigen Missbrauchsfällen

Der Europäische Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit jeder EU-Bürger überall seine Dienste dauerhaft anbieten darf – und natürlich am neuen Wohnsitz in den Genuss von Sozialleistungen kommt. Das gilt ohne Ansehen der Person und des Passes, egal, ob Schwede, Grieche, Bulgare oder Rumäne.

Aber selbst wenige Tausend Missbrauchsfälle haben genug Sprengkraft, um auf lokaler Ebene das Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat zu erschüttern.

Es sind nämlich Rechtspopulisten wie die von der AfD, die von zum Himmel stinkenden Zuständen in bestimmten Straßenzügen Deutschlands profitieren, die auf der Wut der Bürger über die Kindergeld-Abzocke prima ihr antidemokratisches Süppchen kochen können.

Olaf Scholz muss in Brüssel eine große Lösung erreichen

Insofern ist es eine überfällige und wichtige Reaktion, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Auszahlungsregeln für das EU-Kindergeld nun verschärfen will. Der Zoll soll gemeinsam mit Jobcentern, Polizei und Ausländerbehörden Informationen teilen und organisierte Betrügereien zulasten der Sozialkassen aufdecken.

Dass der Sozialdemokrat damit betroffenen Parteifreunden in SPD-Rathausstuben wie in Duisburg oder Fürth hilft, ist ein schöner Nebeneffekt für ihn.

Ob chronisch überlastete Zöllner, die bei Mindestlohnkontrollen quasi als Beifang Kindergeld-Sünder enttarnen sollen, das in der Praxis schaffen, sei dahingestellt. Läuft es gut und die Fälle, in denen Missbrauch unterbunden wird, steigen, kann das den sozialen Frieden in den Kommunen vielleicht ein Stück weit befördern.

Scholz darf nach dem ersten Schritt aber nicht stehen bleiben. Er muss in Brüssel eine große Lösung erreichen. Seit Jahren blockieren andere EU-Staaten Deutschlands Bestreben, die Höhe des Kindergeldes, das an EU-Ausländer gezahlt wird, daran zu koppeln, wie teuer der Lebensunterhalt für die Kinder in der Heimat tatsächlich ist. Das würde Fehlanreize dauerhaft korrigieren.