Berlin/München. Die Volksparteien erleben in Bayern ein Desaster. Die CSU hat das Gespür für ihre Wähler verloren. Die SPD wird fast bedeutungslos.

Die Bayern haben gewählt und der etablierten Politik einen ordentlichen Denkzettel verpasst. Mit dem Ergebnis aus München erleben wir einmal mehr einen Abschied von alten Gewissheiten, bei dem die großen Volksparteien auf der Strecke bleiben. Die Sozialdemokraten, die noch mit Gerhard Schröder über 40 Prozent holten? Sind heute ein Schatten ihrer selbst und dümpeln hinter Grünen und AfD am Rande der Bedeutungslosigkeit. Und die Union, die mit Angela Merkel vor fünf Jahren noch über 41 Prozent schaffte? Hat Stand heute fast ein Drittel ihrer Wähler verloren.

Und jetzt sogar die CSU. Die Partei, für die Niederlagen bislang so wahrscheinlich waren wie ein Alkoholverbot im Hofbräuhaus, erlebt für ihre Maßstäbe ein echtes Desaster. Es war ein Absturz mit Ansage. Und alle Beteiligten tragen Schuld daran. Vor Ort natürlich Ministerpräsident Söder, der viel zu spät erkannt hat, dass von übertriebener Scharfmacherei in der Flüchtlingspolitik besonders die Grünen und die Rechten profitieren.

Dann ganz besonders Parteichef Horst Seehofer, der mit seinem erzwungenen Hauptstadt-Exil immer noch fremdelt und, statt mit eindrucksvollen Erfolgen zu glänzen, Angela Merkels große Koalition von einem Krisentreffen ins nächste treibt. Er hat die Politikverdrossenheit auch bei den CSU-Wählern erhöht, da lag Markus Söder mit seinen Schuldzuweisungen Richtung Berlin sicher richtig.

Und auch die machthungrige zweite Reihe der CSU hat das Debakel mitverbockt. Selbst der schlichteste Wähler durchschaut eben Symbolpolitik und weiß, dass es viel leichter ist, Kruzifixe in Amtsstuben zu nageln, als bezahlbaren Wohnraum für junge Familien und Normalverdiener zu schaffen. Und dass die Partei mehr Leidenschaft in eine überflüssige Autobahnmaut steckte als in die Bekämpfung des millionenfachen Diesel-Betrugs, wird ihr bei den Autofahrern auch nicht geholfen haben.

Die CSU, die das Land über Jahrzehnte quasi im Alleingang regierte und dabei unbestritten sehr erfolgreich war, hat offenbar das Gespür für die wahren Bedürfnisse ihrer Wähler verloren und ist endgültig in der harten Realität angekommen. Dabei ist offen, ob die alte Größe je wieder erreicht werden kann. Denn der Wähler erstarrt nicht mehr in Ehrfurcht und Dankbarkeit für Regierungshandeln, sondern genießt seine neue Rolle als wählerischer Kunde, der heute hier und morgen dort mit dem Stimmzettel der Politik Beine macht.

Jubel und Schrecken: Gesichter des Wahlabends in Bayern

Überglückliche bayerische Spitzenkandidaten der Grünen: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze. Eingerahmt Anton Hofreiter (links) und Robert Habeck (rechts). Die Grünen werden zweitstärkste Kraft in Bayern.
Überglückliche bayerische Spitzenkandidaten der Grünen: Ludwig Hartmann und Katharina Schulze. Eingerahmt Anton Hofreiter (links) und Robert Habeck (rechts). Die Grünen werden zweitstärkste Kraft in Bayern. © dpa | Sven Hoppe
Der Grünen Bundesvorsitzende Robert Habeck (links) und der bayerische Spitzenkandidat Ludwig Hartmann beim Stage Diving auf der Wahlparty.
Der Grünen Bundesvorsitzende Robert Habeck (links) und der bayerische Spitzenkandidat Ludwig Hartmann beim Stage Diving auf der Wahlparty. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Klarer Verlierer: Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern. Seine Partei CSU verliert die absolute Mehrheit im Parlament.
Klarer Verlierer: Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern. Seine Partei CSU verliert die absolute Mehrheit im Parlament. © dpa | Michel Kappeler
Dementsprechend ist auch die Stimmung der CSU-Anhänger.
Dementsprechend ist auch die Stimmung der CSU-Anhänger. © dpa | Michel Kappeler
Ernste Gesichter auch in Berlin: Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der CDU nach den ersten Hochrechnungen der Landtagswahl in Bayern. Das Ergebnis in Bayern könnte auch Auswirkungen auf die Bundespolitik haben.
Ernste Gesichter auch in Berlin: Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der CDU nach den ersten Hochrechnungen der Landtagswahl in Bayern. Das Ergebnis in Bayern könnte auch Auswirkungen auf die Bundespolitik haben. © dpa | Gregor Fischer
Abgestraft wurde auch die SPD. Die Partei von Spitzenkandidatin Natascha Kohnen rutschte in den einstelligen Bereich, laut Hochrechnungen weniger als 10 Prozent.
Abgestraft wurde auch die SPD. Die Partei von Spitzenkandidatin Natascha Kohnen rutschte in den einstelligen Bereich, laut Hochrechnungen weniger als 10 Prozent. © dpa | Daniel Karmann
Da hilft nur Alkohol. Ein SPD-Mitglied schaut sich die Prognose an.
Da hilft nur Alkohol. Ein SPD-Mitglied schaut sich die Prognose an. © dpa | Daniel Karmann
Fassungslosigkeit bei SPD-Anhängern.
Fassungslosigkeit bei SPD-Anhängern. © dpa | Angelika Warmuth
Die AfD kommt wohl auf über 10 Prozent, hatte sich jedoch mehr erhofft. Alice Weidel (links), Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Katrin Ebner-Steiner, stellvertretende AfD-Landesvorsitzende (Mitte), und Stephan Protschka (rechts), Bundestagsabgeordneter und niederbayrischer Bezirksvorsitzender der AfD.
Die AfD kommt wohl auf über 10 Prozent, hatte sich jedoch mehr erhofft. Alice Weidel (links), Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Katrin Ebner-Steiner, stellvertretende AfD-Landesvorsitzende (Mitte), und Stephan Protschka (rechts), Bundestagsabgeordneter und niederbayrischer Bezirksvorsitzender der AfD. © dpa | Armin Weigel
Zufrieden dagegen können die Freien Wähler sein. Sie erreichten wohl um die 11 Prozent. Möglicherweise werden sie Koalitionspartner der CSU in Bayern.
Zufrieden dagegen können die Freien Wähler sein. Sie erreichten wohl um die 11 Prozent. Möglicherweise werden sie Koalitionspartner der CSU in Bayern. © dpa | Lino Mirgeler
Die FDP muss um ihren Einzug zittern.
Die FDP muss um ihren Einzug zittern. © dpa | Tobias Hase
Klar verpasst hat Die Linke den Einzug. Hier sind die Spitzenkandidaten Eva Bulling-Schröter (links) und Ates Gürpinar zu sehen, nachdem sie um 18 Uhr die Prognose von 3,2 Prozent erhalten haben.
Klar verpasst hat Die Linke den Einzug. Hier sind die Spitzenkandidaten Eva Bulling-Schröter (links) und Ates Gürpinar zu sehen, nachdem sie um 18 Uhr die Prognose von 3,2 Prozent erhalten haben. © dpa | Stefan Puchner
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Für die große Koalition, die schon schlecht gestartet ist, wird es jetzt mit einer gerupften CSU und gedemütigten Sozialdemokraten noch schwerer. Große Teile der Sozialdemokraten sind mit der Faust in der Tasche in die Regierung eingezogen. Jetzt wird die Faust wohl rausgeholt. Die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles kann sich auf unruhige Wochen einstellen. Der Druck wird riesig, möglichst schnell den Ausstieg aus dem verhängnisvollen Bündnis zu suchen.

Und dann ist da noch die Bundeskanzlerin, die schon wieder eine schlechte Nachricht verkraften muss. Ja, es wäre menschlich, wenn sie beim Anblick der langen CSU-Gesichter einen kurzen Moment der Schadenfreude verspürt hätte. Aber er wird nicht von Dauer gewesen sein. Angela Merkel weiß zu gut, dass eine starke Union immer auch eine starke CSU braucht. Ganz egal, wie anstrengend ihr Spitzenpersonal für die CDU-Führung auch sein mag. Das Beben in Bayern sendet Schockwellen in ihre Partei. Mit dem schlechten Abschneiden der Schwesterpartei ist auch das politische Ende von Angela Merkel ein Stück näher gerückt.