Ankara/Berlin. Der deutsche Staatsbürger Hüseyin M. kam im Türkei-Urlaub wegen „Präsidentenbeleidigung“ in U-Haft. Nun darf er endlich ausreisen.
Deniz M. weiß, was eine emotionale Achterbahnfahrt ist. Wochenlang bangte er um seinen Bruder Hüseyin, der 45 Tage lang in der Türkei in Untersuchungshaft saß. Grund: Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Hüseyin M., ein deutscher Staatsbürger aus Braunschweig, hatte im August Urlaub in der Westtürkei gemacht, als er festgenommen wurde.
Am Donnerstagnachmittag dann die erlösende Nachricht: Hüseyin M. wird aus der U-Haft entlassen und kann nach Deutschland reisen. „Wir sind glücklich und erleichtert, dass mein Bruder erst mal nach Hause darf“, sagt Deniz M. unserer Redaktion. „Wir werten das als positives Zeichen und gehen davon aus, dass er freigesprochen wird. Mein Bruder hat sich nichts vorzuwerfen.“ Der Prozess werde jedoch fortgeführt, erklärt M.s Anwalt Erdal Güngör in Ankara. Der nächste Termin sei für den 9. April 2019 angesetzt.
Türkische Sicherheitskräfte stürmen das Ferienhaus
Der Schrecken begann in der Nacht vom 24. auf den 25. August. Türkische Sicherheitskräfte stürmten ein Ferienhaus der Schwiegereltern in Kusadasi, etwa 100 Kilometer südlich von Izmir. Dort machte der türkischstämmige Hüseyin M. mit seiner Frau Familienurlaub. Die türkische Anklage warf Hüseyin M. Präsidentenbeleidigung vor. Er soll Erdogan 2014 und 2015 auf Facebook als „Diktator“ und „Kindermörder“ bezeichnet haben. Wäre er schuldig gesprochen worden, hätten ihm bis zu sechs Jahre Haft gedroht.
Diese Deutschen waren in türkischer Haft
Deniz M. streitet die Anschuldigungen gegen seinen Bruder ab. „Das hat er nie gemacht. Ich bin bei Facebook mit ihm befreundet. Ich sehe doch, was er postet.“ Auf die Frage unserer Redaktion, ob sein Bruder ein Erdogan-Kritiker sei, antwortet Deniz M.: „Wir denken liberal. Auch er hat sich mal kritisch geäußert – aber nie beleidigend.“
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei
Möglicherweise steht die Aufhebung der U-Haft für Hüseyin M. im Zusammenhang mit der politischen Großwetterlage. Angesichts der einschneidenden Währungskrise und der Wachstumsdelle in der Türkei ist Erdogan dringend auf ausländische Investitionen angewiesen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner.
Die Bundesregierung hatte mehrfach betont, dass die Freilassung der deutschen Staatsbürger in türkischen Gefängnissen eine zentrale Voraussetzung für die Verbesserung der angespannten Beziehungen sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte dies beim Staatsbesuch Erdogans Ende September in Berlin ebenso betont wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Außer Hüseyin M. sitzen derzeit noch vier deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen in Haft.
Auswärtiges Amt:Keine grundlegende Verbesserung
Nach dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 hatte Erdogan mehr als 140.000 Staatsdiener entlassen. Vor allem Anhänger der Gülen-Bewegung, die der Staatschef als Drahtzieher des Aufstandes anprangerte, gerieten ins Fadenkreuz. Aber auch Mitglieder oder Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der EU auf der Terrorliste steht, kamen ins Gefängnis. Mehr als 150 Journalisten landeten hinter Gittern, viele Medienhäuser wurden geschlossen. Standard-Vorwurf: Terror-Unterstützung. Auch der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, der im Februar nach einjähriger Haft freigelassen wurde, musste wegen derlei Anschuldigungen ins Gefängnis.
In der Bundesregierung ist man trotz der Entspannung im Fall Hüseyin M. besorgt über die Lage in der Türkei. „In den letzten beiden Jahren wurden vermehrt auch deutsche Staatsangehörige willkürlich inhaftiert, zum Teil aufgrund regierungskritischer Stellungnahmen in den sozialen Medien. Diese Gefahr besteht weiterhin, wir können da keine grundlegende Verbesserung erkennen“, heißt es im Auswärtigen Amt.
„Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen“
Zwar wurde für die Türkei keine förmliche Reisewarnung ausgesprochen. Diese verhängt das Außenministerium nur für Länder wie den Irak, Afghanistan, Libyen oder den Jemen – wenn „akute Gefahr für Leib und Leben“ droht. Aber in den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen heißt es: „Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen.“ Und: „Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten.“
Darunter fielen auch „regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien“. Deutsche Touristen in der Türkei sollten laut Auswärtigem Amt „Menschenansammlungen, auch auf öffentlichen Plätzen und vor touristischen Attraktionen“ sowie den „Aufenthalt nahe Regierungs- und Militäreinrichtungen“ meiden. Von Reisen in das Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und zum Irak wird dringend abgeraten. Erwähnt werden zum Beispiel die südostanatolischen Städte Diyarbakir, Cizre oder Silopi.
Auch Ex-Außenminister Sigmar Gabriel wurde eingeschaltet
Deniz M. sieht die glückliche Wendung im Fall seines Bruders auch als Ergebnis besonderer Anstrengungen. Die Familie habe Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen ebenso eingeschaltet wie das Außenministerium und das Deutsche Generalkonsulat in Izmir, sagt er. Auch Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, der einen direkten Draht zum türkischen Chefdiplomaten Mevlüt Cavusoglu hat, war unter den Adressaten.
Für Deniz M. heißt es jetzt jedoch nicht: „Ende gut, alles gut.“ Die Lage in der Türkei macht ihm große Sorgen. „Die politischen Zustände dort beunruhigen mich. Das Land ist komplett gespalten.“ In seine alte Heimat will er derzeit nicht reisen: „Das ist für mich jetzt ganz gefährlich.“