Kiel. Kanzlerin Merkel geht beim Deutschlandtag der Jungen Union in die Offensive – und übt Selbstkritik. Die JU ist nicht ihr größter Fan.

Am Ende hatte Angela Merkel die Lacher auf ihrer Seite. Ein Paar Socken und eine gelbe Regenjacke hatte Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, ihr eben auf der Bühne überreicht, als Dankeschön der Nachwuchsorganisation für Merkels Rede auf dem Deutschlandtag. „Aus diesem Geschenk schlussfolgere ich“, witzelte die Kanzlerin, „dass Sie mich nicht im Regen stehen lassen wollen.“

Es war im Scherz gesagt, fasst das Verhältnis zwischen Kanzlerin und Parteinachwuchs aber gut zusammen: Die Junge Union, oft konservativer als die Mutterparteien, ist nicht die Heimat der größten Merkel-Fans. Im vergangenen Jahr war der Unmut über die Kanzlerin groß gewesen. Und doch ist die Nachwuchsorganisation auch Teil der Union – und hat genug Disziplin, die CDU-Parteichefin und Kanzlerin wenige Tage vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen nicht zu desavouieren.

Die Landtagswahlen als Bewährungsprobe

Dabei gibt es durchaus Unmut unter den 14- bis 35-Jährigen. JU-Chef Zie­miak­ hatte dem schon am Abend vor Merkels Rede mit einem scharfen Angriff auf die Regierung Luft gemacht: Die GroKo taumele „von Krisensitzung zu Krisensitzung“, so der 33-Jährige.

„Darauf haben weder wir noch die Menschen in diesem Land Bock, deshalb muss das abgestellt werden.“ So, wie es in den letzten Monaten gelaufen sei, könne es „schlicht und ergreifend nicht weitergehen“, erklärte er auch am Sonnabend noch einmal.

Merkel macht vor 300 Delegierten ihren Standpunkt klar

Der Deutschlandtag, der rund 300 Delegierte versammelt, ist auch ein Barometer dafür, wie die Partei zu ihrer Chefin steht – zwei Monate vor dem Wahlparteitag in Hamburg. Merkel hatte nach dem Debakel um die Zukunft von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und der überraschenden Wahl von Ralph Brinkhaus zum Unions-Fraktionschef nicht lange gezögert und klargemacht, dass sie beim Parteitag als Vorsitzende wieder antritt – und dass CDU-Vorsitz und Kanzlerschaft in eine Hand gehören.

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    Als „quicklebendig“ hatte sie sich zuletzt bezeichnet, dennoch am Abend der Brinkhaus-Wahl eine demokratische Niederlage eingeräumt. Ministerpräsidenten wie Daniel Günther aus Kiel und Armin Laschet aus NRW, dem selbst Ambitionen auf den Parteivorsitz nachgesagt werden, unterstützten sie danach.

    Frieden könnte nur kurzfristig sein

    Doch der Frieden in der Partei könnte nur ein kurzfristiger sein. Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sind die Bewährungsprobe für die Vorsitzende. Gehen diese glimpflich aus, wird sich Merkel einer Wiederwahl relativ sicher sein können. Doch wenn es in München und Wiesbaden ein Debakel für die Union gibt?

    In Kiel bemühte sich die Kanzlerin nicht, die Situation zu beschönigen. Der Streit in der Koalition, aber auch zwischen den Schwesterparteien nach der Regierungsbildung sei „aus meiner Sicht enttäuschend“, sagte Merkel. „Wir können, nachdem wir das etliche Monate gemacht haben, genau ablesen, wohin das führt.“ Nämlich ins Umfrageloch: Eine Woche vor der Wahl in Bayern und drei Wochen vor der Abstimmung in Hessen streben sowohl CSU als auch CDU neuen Tiefständen entgegen.

    Viele in Junger Union geben Kanzlerin die Schuld

    Merkel weiß, dass gerade bei der Jungen Union viele die Schuld dafür vor allem bei ihr suchen – und vor allem in ihrer Migrationspolitik. In Kiel gab sich die Kanzlerin kämpferisch. Das Thema werde häufig diskutiert, „als lebten wir noch im Sommer 2015“. „Wenn Sie mich fragen: Wird schon deutlich genug, was wir gelernt haben aus dieser Flüchtlingsfrage? Dann sag ich nein“, so Merkel.

    Wenn man eine Wiederholung der Situation von 2015 vermeiden wolle, dann müsse man mehr für Entwicklungspolitik tun: „Das wird Ihre Aufgabe sein“, sagte die Kanzlerin, an den Parteinachwuchs gewandt. Es war keine Botschaft, die ihr Begeisterungsstürme eintrug: Der Applaus für die Kanzlerin war freundlich, aber nicht überschwänglich. Ein Delegierter aus München, der Merkel unumwunden erklärte, dass er sie nicht mehr für geeignet hält, stand allein.

    JU spricht sich für drei Legislaturperioden pro Amtszeit aus

    Wie groß aber – bei aller Disziplin – die Sehnsucht nach Veränderung ist, zeigte ein Beschluss, den die Versammlung kurz nach Merkels Rede traf: Die JU spricht sich nun offiziell für eine Amtszeitbegrenzung für Mandatsträger auf drei Legislaturperioden aus. Merkel hatte das in der Fragerunde zuvor mit Verweis auf das freie Mandat abgelehnt.

    Die Abrechnung mit der Kanzlerin, mit der manche gerechnet hatten – sie blieb an diesem Tag aus. Noch mehr öffentlichen Streit wollte man den Wahlkämpfern in Hessen und Bayern offenbar nicht zumuten. Doch für die Zeit danach gibt es keine Garantien.

    Spahn trifft verbal indirekt Merkel

    Dass der Streit um ihre Person nur vertagt ist, wird deutlich, als Merkel schon wieder abgereist ist und Jens Spahn mit Verve eine Art Bewerbungsrede für höhere Posten in der Partei hält. Fast so lange wie die Kanzlerin arbeitet der Gesundheitsminister und Liebling der Jungen Union alle erdenklichen Themen ab.

    In Deutschland müssten nicht Sitzungen, sondern ein Land geführt werden, sagt er und trifft damit indirekt die Kanzlerin, der mangelnde Führungskraft vorgeworfen wird. „Das war noch nicht alles. The best is yet to come“, ruft Spahn den Delegierten zu - und erhält doppelt solange Applaus wie die Parteichefin.