Berlin/Karlsruhe. Das Verfassungsgericht hat sein Urteil zum Zensus 2011 gesprochen. Berlin und Hamburg hatten Klage gegen die Volkszählung eingereicht.

Die aktuellen Einwohnerzahlen der Städte und Gemeinden sind mit verfassungsgemäßen Methoden bestimmt worden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg hatten gegen den Zensus 2011 geklagt, dessen Ergebnisse eine wichtige Größe für den Finanzausgleich sind.

Die Einwohnerzahl von Städten und Gemeinden spielt eine entscheidende Rolle für die Finanzkraft – deshalb ist die Volkszählung, der Zensus, so wichtig. Schrumpft eine Stadt, büßt sie auch an finanzieller Kraft ein.

Das zeigt sich beispielsweise an Hamburg und Berlin. Seit der zuletzt durchgeführten Zählung im Jahr 2011 müssen die beiden Großstädten mit sehr viel weniger Geld auskommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun ein Urteil gefällt (Az. 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15). Doch worum geht es ganz genau bei der Debatte um den Zensus? Und wie könnte es nach dem Urteil weitergehen? Wir beantworten sechs wichtige Fragen.

1. Worum geht es?

Die erste EU-weite Volkszählung fand 2011 statt. In Deutschland hat es nach der Wiedervereinigung keinen Zensus gegeben. Die Erhebung der Zahlen für den Zensus 2011 war aufwendig: Bei der letzten Volkszählung in der Bundesrepublik 1987 schwärmten noch an die 600.000 Interviewer aus, um jeden Bürger persönlich zu befragen.

Das Verfahren wurde nun vereinfacht: Die Statistiker arbeiten „registergestützt“, nutzen also Daten, die es schon gibt, zum Beispiel bei den Meldeämtern oder der Bundesagentur für Arbeit. Neu befragt wird nur jeder Zehnte – um Lücken zu schließen und Unstimmigkeiten auf den Grund zu gehen. Der Zensus soll nun alle zehn Jahre stattfinden, das nächste Mal damit im Jahr 2021.

2. Weshalb stößt das auf Widerstand?

Mit einem Schlag 180.000 Einwohner weniger: Berlin verlor durch den letzten Zensus 470 bis 490 Millionen Euro jährlich.
Mit einem Schlag 180.000 Einwohner weniger: Berlin verlor durch den letzten Zensus 470 bis 490 Millionen Euro jährlich. © dpa | Kay Nietfeld

Kritik kam erst im Jahr 2013, als die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Denn zum Stichtag, dem 9. Mai 2011, lebten in Deutschland deutlich weniger Menschen als angenommen, rund 80,2 statt knapp 81,8 Millionen. Von einem Tag auf den anderen schrumpften damit viele Städte und Gemeinden – mit schmerzlichen Konsequenzen, denn die Einwohnerzahl ist eine zentrale Größe im Finanzausgleich.

Berlin verliert rund 180.000 Einwohner und damit 470 bis 490 Millionen Euro jährlich. Hamburg wird um knapp 83.000 Menschen kleiner und büßt im Jahr über 100 Millionen Euro ein.

3. Warum sollte das Verfassungsgericht einschreiten?

Die Millionenstädte sehen sich als Opfer der Methode. Tatsächlich haben die Statistiker die Daten der Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern mit anderen Verfahren bereinigt. Liegt es daran, dass vor allem größere Städte Einwohner eingebüßt haben? Oder gab es dort nur besonders viele Karteileichen in den Melderegistern?

Als Stadtstaaten, die ihre Verluste nicht in der Fläche kompensieren können, fühlen sich Berlin und Hamburg doppelt hart getroffen. Ihre Kritik am Zensus fällt harsch aus: nicht ausreichend vorbereitet, zu wenig erprobt, die Ergebnisse für die Betroffenen kaum nachprüfbar.

4. Welche Anpassungen wären realistisch?

Die Kläger waren von Anfang an mit Maximalforderungen zurückhaltend. Sein erster Wunsch seien sorgfältigere Regelungen für die Zukunft, sagte etwa der damalige Hamburger Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) in der Karlsruher Verhandlung im Oktober 2017. An zweiter Stelle gehe es darum, den Schaden nicht noch größer werden zu lassen, an dritter Stelle stehe die Bereinigung der Vergangenheit.

Ein Zensus findet nun alle zehn Jahre statt, die Vorbereitungen für 2021 sind in vollem Gange. Hier könnte Karlsruhe Verbesserungen einfordern. Laut Ministerium hat die Bundesregierung „Vorkehrungen getroffen, um etwaigen Vorgaben ... vollständig Rechnung tragen zu können“.

5. Wie geht es nach dem Urteil weiter?

Ursprünglich hatten mehr als 1000 Städte und Gemeinden gegen ihre neue Einwohnerzahl Widerspruch eingelegt. Anders als die Stadtstaaten, die über ihre Landesregierungen das Zensus-Gesetz direkt in Karlsruhe zur Prüfung vorlegen konnten, müssen sie sich durch die Instanzen klagen. Laut Statistischem Bundesamt ruhen bei den Verwaltungsgerichten rund 340 Klagen. Jede Kommune wird nun entscheiden müssen, ob sie weiterkämpft. (dpa/les)