Kerpen/Düren. Mit mehreren Hundertschaften begann die Polizei im Hambacher Forst im rheinischen Braunkohlerevier mit der Räumung von Protestcamps.

Mehrere Dutzend Braunkohlegegner sind am Donnerstagabend aus einer Demonstration am Hambacher Forst ausgeschert und zu den in Baumhäusern lebenden Aktivisten gerannt. Die Polizei schätzte ihre Zahl auf 40 bis 50.

Die in den Wald gestürmten Braunkohlegegner wurden lautstark von den in Baumhäusern lebenden Aktivisten begrüßt, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Für den Polizeieinsatz habe dies aber keine Relevanz, sagte ein Sprecher der Aachener Polizei am Abend.

Schon am Tag war die angespannt. Um 8.20 Uhr schallt eine Lautsprecherdurchsage durch den Hambacher Forst: Per Megafon geben Beamte der Bauaufsichtsbehörde am Donnerstagmorgen durch, was das nordrhein-westfälische Bauministerium am Abend zuvor veranlasst hat: „Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen das Bauordnungsrecht vor“, schallt es in Richtung der Baumhäuser.

„Die Baumhäuser wurden entgegen der einschlägigen brandschutzrechtlichen Vorschriften errichtet.“ Dreißig Minuten haben die Besetzer Zeit, dann sollen sie die Behausungen verlassen – oder es kommt zur Zwangsräumung durch die Polizei. „Bitte nehmen Sie Ihre persönlichen Gegenstände mit.“

Seit sechs Jahren protestieren rund 80 Umweltaktivisten im Hambacher Forst gegen die Abholzung des Waldes. Sie haben Barrikaden und Baumhäuser gebaut, teilweise mit Solaranlage, Heizung und Einbauküche. Sie wollen verhindern, dass der Eigentümer des Waldes, der Energiekonzern RWE, Europas größtes Braunkohlerevier, 20 Kilometer westlich von Köln, erweitert. Die unternehmerische Entscheidung ist von Gerichten und Landesparlament bestätigt. Im Oktober soll die Rodung beginnen.

Grüne und Linke wittern einen juristischen Trick

Nach Ablauf der 30 Minuten beginnen mehrere Hundertschaften der Polizei, die Baumhäuser der Umweltaktivisten zu räumen, die Einsatzkräfte stellen sich auf einen tagelangen und schwierigen Einsatz ein. Aus dem gesamten ­Bundesgebiet sind Polizisten zur Verstärkung in den Hambacher Forst gekommen – dazu Höhenkletterer, Wasserwerfer und schweres Räumgerät. Nach und nach müssen die Beamten mehr als 50 Baumhäuser abbauen, die Aktivisten kündigen als Reaktion „zivilen Ungehorsam“ und eine „bundesweite Massenmobilisierung“ an.

Hambacher Forst: Kampf um die Rodung

Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Ein Journalist war am 19. September im Hambacher Forst abgestürzt und gestorben. Seither ruhte die Räumung, jetzt soll sie weitergehen. Auch die Gegendemonstranten sind trotz Regen und Sturm wieder oder noch da.
Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Ein Journalist war am 19. September im Hambacher Forst abgestürzt und gestorben. Seither ruhte die Räumung, jetzt soll sie weitergehen. Auch die Gegendemonstranten sind trotz Regen und Sturm wieder oder noch da. © dpa | Christophe Gateau
Sturmtief „Fabienne“ setzt auch den Demonstranten zu, sie versuchen Barrikaden gegen Räumungsfahrzeuge zu errichten.
Sturmtief „Fabienne“ setzt auch den Demonstranten zu, sie versuchen Barrikaden gegen Räumungsfahrzeuge zu errichten. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
Seit Montag, 24. September steht fest: Die Räumung geht weiter. Sie war zuvor aufgrund des tödlichen Unfalles ausgesetzt worden.
Seit Montag, 24. September steht fest: Die Räumung geht weiter. Sie war zuvor aufgrund des tödlichen Unfalles ausgesetzt worden. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
„Fabienne“ setzt den Demonstranten zu.
„Fabienne“ setzt den Demonstranten zu. © dpa | Christophe Gateau
Ein Teilnehmer spielt im Regen Klavier und protestiert friedlich sowohl gegen Rodung als auch Räumung des Forstes.
Ein Teilnehmer spielt im Regen Klavier und protestiert friedlich sowohl gegen Rodung als auch Räumung des Forstes. © dpa | Christophe Gateau
Blumen am Gedenkort für den abgestürzten und verstorbenen Journalisten. Er war am Mittwoch, 19. September von einer Baumbrücke mehrere Meter tief gestürzt und kurze Zeit später gestorben. Der Unfall war nicht während einer Räumung passiert.
Blumen am Gedenkort für den abgestürzten und verstorbenen Journalisten. Er war am Mittwoch, 19. September von einer Baumbrücke mehrere Meter tief gestürzt und kurze Zeit später gestorben. Der Unfall war nicht während einer Räumung passiert. © dpa | Henning Kaiser
Zwei Wochen zuvor: Mehrere tausend Demonstranten hatten gegen die geplante Rodung demonstriert, nachdem angekündigt worden war, dass die Baumhäuser geräumt werden sollen.
Zwei Wochen zuvor: Mehrere tausend Demonstranten hatten gegen die geplante Rodung demonstriert, nachdem angekündigt worden war, dass die Baumhäuser geräumt werden sollen. © dpa | Christophe Gateau
Bei sommerlichen Temperaturen blockierten Teilnehmer eine Landstraße.
Bei sommerlichen Temperaturen blockierten Teilnehmer eine Landstraße. © dpa | Henning Kaiser
Begleitet wurde der Demonstrationszug von Blasmusik. Die Demonstranten konnten nur über Äcker und Wege am Rande des Waldes laufen.
Begleitet wurde der Demonstrationszug von Blasmusik. Die Demonstranten konnten nur über Äcker und Wege am Rande des Waldes laufen. © dpa | Henning Kaiser
Auf einem gerodeten Teil des Forstes wollten sie neue Baumsetzlinge anpflanzen.
Auf einem gerodeten Teil des Forstes wollten sie neue Baumsetzlinge anpflanzen. © dpa | Henning Kaiser
Der Wald selbst, in dem Baumhäuser geräumt werden sollten, wurde von der Polizei abgesperrt. Einsatzkräfte seilen sich ab.
Der Wald selbst, in dem Baumhäuser geräumt werden sollten, wurde von der Polizei abgesperrt. Einsatzkräfte seilen sich ab. © dpa | Henning Kaiser
39 von den rund 50 Baumhäuser wurden inzwischen geräumt.
39 von den rund 50 Baumhäuser wurden inzwischen geräumt. © REUTERS | WOLFGANG RATTAY
In der Nacht zu Sonntag war es der Feuerwehr gelungen, zwei Aktivisten aus einem Tunnelsystem zu holen. Sie verließen die unterirdischen Gänge schließlich freiwillig.
In der Nacht zu Sonntag war es der Feuerwehr gelungen, zwei Aktivisten aus einem Tunnelsystem zu holen. Sie verließen die unterirdischen Gänge schließlich freiwillig. © dpa | Christophe Gateau
Die Polizei bewachte den Einsatzort.
Die Polizei bewachte den Einsatzort. © dpa | Christophe Gateau
Andere Aktivisten wurden in Gewahrsam genommen.
Andere Aktivisten wurden in Gewahrsam genommen. © dpa | Christophe Gateau
Am Samstag verhinderten Polizisten auf Pferden das Eindringen von Demonstranten in das „Gefahrengebiet Hambacher Forst“.
Am Samstag verhinderten Polizisten auf Pferden das Eindringen von Demonstranten in das „Gefahrengebiet Hambacher Forst“. © dpa | Henning Kaiser
Die Demonstranten versuchten immer wieder auf das Gelände zu kommen.
Die Demonstranten versuchten immer wieder auf das Gelände zu kommen. © dpa | Henning Kaiser
Rund 500 Menschen folgten am Samstag einem Demonstrationsaufruf der Aktion Unterholz und wollten gegen die Rodung protestieren.
Rund 500 Menschen folgten am Samstag einem Demonstrationsaufruf der Aktion Unterholz und wollten gegen die Rodung protestieren. © dpa | Henning Kaiser
Aktivisten hingen aus Protest an einer Anlage auf dem Gelände des Braunkohlekraftwerks Niederaußem.
Aktivisten hingen aus Protest an einer Anlage auf dem Gelände des Braunkohlekraftwerks Niederaußem. © dpa | Henning Kaiser
Zwei Spezialeinsatzkräfte der Polizei versuchen das Dach eines Baumhauses zu entfernen.
Zwei Spezialeinsatzkräfte der Polizei versuchen das Dach eines Baumhauses zu entfernen. © dpa | Christophe Gateau
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Für das Land ist die Räumung ein harter juristischer Kurswechsel. Noch 2014 weigerte sich die rot-grüne Landesregierung, von genehmigungspflichtigen „baulichen Anlagen“ zu sprechen. Sie folgte damals einer liberalen Duldung des Kreises Düren, der für einen Teil des Waldes zuständig ist. Die neue schwarz-gelbe Landesregierung sieht das nun völlig anders: Das Baurecht – und damit vor allem die Brandschutzbestimmungen – müssten eingehalten werden. Bei einem Feuer würden die Aktivisten „zu lebendigen Fackeln“, heißt es im Bauministerium.

Schon in Vergangenheit immer wieder zusammenstöße

Umweltschützer, Linke und Grüne reagierten empört: Sie sehen in der Kehrtwende einen juristischen Trick, um den Wald für die Rodung zu räumen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete die Räumungen als unverantwortliche Eskalation. Das Argument des Brandschutzes sei vorgeschoben. Vielmehr müsse die Devise sein: „Reden statt Räumen und Roden“, forderte er. Am Verwaltungsgericht Köln gingen bis zum Nachmittag sieben Eilanträge ein, die die Räumung in letzter Minute noch juristisch stoppen wollten.

Der Hambacher Forst ist mehr als ein Waldstück im äußersten Westen Deutschlands. Er ist ein Symbol für den Kampf gegen die Kohleverstromung, ein Schauplatz für das Duell der Klimaschützer gegen die Energiewirtschaft: Der Forst liegt am Rande des Braunkohle-Tagebaugebietes Hambach.

Unter dem 85 Quadratkilometer großen Abbaufeld lagern 2,5 Milliarden Tonnen Braunkohle, die bis zu 450 Meter tief liegen. Vor Beginn der Kohleförderung war der Wald 4100 Hektar groß. Laut RWE wurden bislang 3900 Hektar für den Tagebau gerodet.

Unbekannte lösten Radmuttern von RWE-Fahrzeug

Bereits in der Vergangenheit kam es hier zu Zusammenstößen zwischen Aktivisten, dem Energieunternehmen RWE und den Behörden: Allein in diesem Jahr registrierte die zuständige Aachener Polizeibehörde bisher 88 Straftaten im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst, wie ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte.

Demnach geht es um unterschiedliche Vorfälle, von der „Störung öffentlicher Betriebe“ über einen besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs bis hin zur versuchten gefährlichen Körperverletzung. Unter anderem lösten Unbekannte die Radmuttern eines abgestellten RWE-Fahrzeuges oder warfen Wurfanker auf die Oberleitung der Hambachbahn. Zudem seien Mitarbeiter von RWE und Polizeibeamte mit Steingeschossen oder Feuerwerkskörpern angegriffen worden. Im Vorjahr gab es laut einem Bericht des Innenministeriums 164 Straftaten.

Auch an diesem Donnerstag geht keiner der Besetzer freiwillig. Viele Stunden dauert allein der Abbau der besetzten Barrikaden. Erst danach kommen die eigentlichen Baumhäuser, die tiefer im Wald liegen – teilweise bis zu 25 Meter hoch. Es geht auch deshalb nur langsam voran, weil die Polizei behutsam vorgeht, auf keinen Fall sollen Bilder von verletzten Aktivisten um die Welt gehen, die einen Wald beschützen.

Doch gänzlich friedlich bleibt es nicht: Die Polizei spricht von drei Festnahmen und einem leicht verletzten Beamten. Polizisten und Einsatzfahrzeuge seien mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen worden. Clumsy ist der wohl bekannteste Aktivist im Hambacher Forst, weil er auch sein Gesicht zeigt. Seit vier Jahren lebt der Mann mit dem Tarnnamen auf einer Stieleiche, die er Mona nennt. „Ich habe auch einen Betonblock mit einem Rohr darin oben im Baum“, sagt Clumsy. Rücken die Polizisten an, will er das Rohr mit Kunstharz füllen und seine Hand darin einschließen.