Erfurt/Berlin. Österreichs Kanzler Kurz wird für viele in der Union zum Hoffnungsträger und Vorbild. Sein Besuch in Thüringen ist da kein Zufall.

Auch wenn er in Talkshows von Mitdiskutanten so richtig rangenommen wird, Sebastian Kurz lächelt. Österreichs Bundeskanzler redet freundlich, verbindlich, wirkt charmant. Seine scharfkantigen Botschaften klingen dann weniger harsch, als sie sich auf dem Papier lesen. Aber sie haben es in sich.

EU-Länder sollten Flüchtlinge aus Nordafrika nicht mehr anlegen lassen, fordert Kurz. Er wirbt für Auffanglager in Libyen. Und er lobt Australien dafür, dass es Migranten auf Inseln vor seinen Landesgrenzen festsetzt. Am besten solle die EU die Mittelmeer-Route ganz schließen, sagt der Regierungschef.

Das hört sich an wie der O-Ton der Dampfhammer-Politiker in Europa: Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega-Partei oder Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán. Aber wenn der nette Herr Kurz redet, ist zumindest die polemische Schärfe raus. „Ein Europa, das schützt“, lautet das Motto der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft.

Kurz war einer der vehementesten Kritiker der Willkommenspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Er ist davon überzeugt, dass Europa einen „Paradigmenwechsel“ beim Umgang mit Mi­granten braucht und dass es in der Gemeinschaft mittlerweile eine Mehrheit für seine Positionen gibt.

In wenigen Tagen wird der schlaksige Mann mit den tailliert geschnittenen Anzügen 32. Keiner in der EU kann eine derartige Blitzkarriere vorweisen. Von 2011 bis 2013 war er Staatssekretär für Integration, von 2013 bis 2017 Außenminister. Seit Dezember ist er Bundeskanzler und leitet eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ. Bei der Parlamentswahl im Oktober fuhr er mit der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“ einen fulminanten Sieg ein.

Der Traum vom Kurz-Effekt

Kurz verfolgte eine ähnliche Marschroute wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder dessen amerikanischer Amtskollege Donald Trump: Er trat eine Kampagne gegen den traditionellen Parteien-Betrieb los und empfahl sich als Politiker neuen Typs. Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, nennt Kurz bewundernd einen „Rockstar“.

Kein Wunder, dass konservative Parteien in Europa in dem Senkrechtstarter aus Wien einen Hoffnungsträger für die eigene Sache sehen. Sie träumen vom Kurz-Effekt. Am Donnerstagabend hält der Österreicher die Festrede beim Jahresempfang der CDU-Landtagsfraktion in Thüringens Hauptstadt Erfurt.

Eingeladen hatte ihn CDU-Landeschef Mike Mohring, der 2019 eine Landtagswahl zu stemmen hat und die Rot-Rot-Grün-Koalition unter Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken gern ablösen würde. Mohring profiliert sich als Konservativer. Er sucht gezielt die Nähe von Kurz. So wie alle anderen, die sich eher rechts in der Union verorten, von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bis Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Der fast 32-Jährige steht für einen Generationswechsel

Spahn, mit dem der Thüringer CDU-Chef befreundet ist, soll auch den Erfurter Termin mit vermittelt haben, ebenso wie der frühere Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU), der beim österreichisch-kanadischen Konzern Magna arbeitet und Kurz kennt. Wie eng Kurz und Spahn, der Protagonist der jungen Konservativen in Deutschland, verbunden sind, lässt sich an Bildern vom vergangenen Februar ablesen.

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Spahn twitterte kurz nach der Einigung mit der SPD auf eine große Koalition Bilder mit Kurz vom Wiener Opernball. An Spahns Seite posiert die spätere Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär von der CSU, für ein Foto mit dem Kanzler und seiner Gattin. Sie schrieb auf Twitter: „Dankbar, mit dem österreichischen Kanzler, unserem Freund Sebastian Kurz, den Ball der Bälle verleben zu dürfen.“

Kurz übt auf die Riege derer in der Union, die das konservative Profil ihrer Partei schärfen wollen, eine große Anziehung aus. Er steht für einen Generationswechsel im wichtigsten Amt. Seine kritische Einstellung gegenüber Flüchtlingen stärkt diejenigen, die den Kurs von Merkel in dieser Frage für einen Fehler halten.

Söder: „Du, Herr Bundeskanzler“

Neben Spahn und Mohring kann man zu diesem Kreis den JU-Vorsitzenden Paul Ziemiak, den Chef der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU(MIT), Carsten Linnemann, und den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zählen. Sie sind diejenigen, die zugreifen wollen, wenn Kanzlerin Merkel Geschichte ist. Interessant wird dabei, ob sie an CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer vorbeikommen, die zwar die Partei stärken und das Profil der CDU schärfen will – dabei aber den Kurs der Mitte nicht für obsolet erklärt.

In der CSU, die vor der Sommerpause einen erbitterten Streit mit der CDU über die Flüchtlingspolitik geführt hatte, ist Kurz ebenfalls sehr populär. Noch im Juni traf sich der bayerische Regierungschef Söder mit Kurz in Linz. Die Atmosphäre war herzlich, Söder sprach Kurz mit „Du, Herr Bundeskanzler“ an. Das Treffen Söder-Kurz auf dem Höhepunkt des Unions-Streits wurde im Kanzleramt sehr genau registriert.

Obwohl sich die Union mit einem Kompromiss noch einmal mühevoll zusammengerauft hatte, setzt der bayerische Wahlkämpfer Söder weiter auf Kurz: „Zu meiner Abschlusskundgebung kommt keine Bundeskanzlerin, sondern ein Bundeskanzler“, soll er vor Vertrauten gesagt haben. Der österreichische Kanzler hat, so heißt es intern, auch zugesagt. Die Botschaft von München: Der Österreicher steht uns mit seiner Politik näher als die eigene Kanzlerin.