Dresden/Berlin. Es begann mit einem Pegida-Demonstranten und einem ZDF-Film. Nun ist die Debatte politisch. Sogar die Kanzlerin schaltete sich ein.

Als der Mann auf dem Video auf den Kameramann zugeht, ihn als „Lügenpresse“ beschimpft und ihn zur Polizei bringen will, trägt er einen Schlapphut in Schwarz-Rot-Gold und eine Sonnenbrille, seine Augen sind abgeschirmt durch eine schwarze Sonnenbrille. Innerhalb weniger Tage klickten Millionen Internetnutzer auf das Video. Der Mann erlangte eine Bekanntheit, die er vermutlich nie wollte. Auch deshalb, weil er bei der Polizei arbeitet.

Der Name des Mannes ist nicht bekannt, manche nannten ihn deshalb wegen seines Deutschland-Huts nur den „Hutbürger“, weil das wie „Wutbürger“ klingt. Inzwischen gibt es ihn als gezeichnete Karikatur, es gibt Fotos mit lustigen Sprechblasen. Dabei ist die Lage ernst – für den Mann, für die Polizei, für die sächsische Regierung. Sogar die Kanzlerin schaltete sich ein.

Was war vorgefallen? Ein vom ZDF beauftragtes Kamerateam machte beim Dresden-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Bilder von Demonstranten, die sich auf dem Weg zum Pegida-Treffen befanden. Noch immer finden die Demonstrationen in Dresden regelmäßig statt. Die Veranstaltungen sind angemeldet, viele Mitglieder propagieren rechte und teilweise klar fremdenfeindliche Parolen auf die Straße.

Plötzlich, während der Dreharbeiten, ruft einer der Männer „Lügenpresse“, dann läuft er auf die Kamera zu und sagt: „Hören Sie auf zu filmen! Sie machen sich strafbar!“ Der Kameramann sagt: „Gehen Sie doch weiter!“. Hätte der Mann das getan, wäre es vorbei gewesen. Aber er beginnt einen Streit und wendet sich an die Polizei und erreichte so, dass die Journalisten für mindestens 45 Minuten an ihrer Arbeit gehindert werden, ihre Presseausweise wurden mehrfach durch Polizisten kontrolliert, sogar eine Anzeige eines weiteren Demonstrationsteilnehmers gegen den Journalisten wegen einer angeblichen Beleidigung nehmen die Beamten auf.

LKA hat Mitarbeiter gebeten, Urlaub zu unterbrechen

Mittlerweile ist mehr über den Mann mit dem Schlapphut bekannt: Er ist selbst Polizist, arbeitet nach Informationen dieser Redaktion in der Abteilung für Wirtschaftkriminalität im Landeskriminalamt, Dezernat 23. Der Mann ist „Tarifbeschäftigter“, also kein verbeamteter Ermittler. Er darf deshalb nicht selbst ermitteln, aber assistieren, Unterlagen auswerten und prüfen, Gutachten verfassen für Gerichtsprozesse.

Darf ein Mitarbeiter der Polizei auf umstrittene Demonstrationen von Rechten gehen? Und darf er so gegen Journalisten wettern? Es ist die Fragen, die nun diese Debatte befeuern. Und die Tatsache, dass schon wieder Beamte in Sachsen im Fokus stehen.

Zum Zeitpunkt des Treffens mit dem ZDF-Team war der Mann nicht im Dienst, sondern im Urlaub. Das LKA habe den Mann jetzt gebeten, seinen Urlaub zu unterbrechen – damit er mithelfen könne, den Sachverhalt zu klären.

Das zumindest hat der sächsische Innenminister Roland Wöllner am Donnerstag versprochen. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir ebenso zügig wie gewissenhaft den Fall aufklären“, sagte er nach einer Sitzung des Innenausschusses im sächsischen Landtag. Darüberhinaus erwarte Wöller, dass sich jeder Mitarbeiter in seinem Ressort jederzeit „äußerst korrekt“ verhalte. Ob der Mann für seine Äußerungen den Journalisten gegenüber mit Maßnahmen rechnen muss, halte man sich offen.

Dafür muss abgewogen werden, inwieweit der Mann dem Gebot der Mäßigung gefolgt ist, das für alle Beschäftigten bei der Polizei gilt. Jeder Mitarbeitende bei der Polizei ist Bürger, darf demonstrieren und sogar einer Partei angehören. Als Polizist kann man jedoch nicht wie jeder andere Bürger auf Demonstrationen aktiv sein und Parolen skandieren. Im Paragraf 60 des Beamtengesetzes heißt es: „Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei.“ Private Meinung und dienstliches Handeln müssen demnach immer getrennt bleiben – und darf einander nicht widersprechen.

Barley zu Vorfall in Dresden: zuständige Stellen in Sachsen müssen schnell und genau aufklären

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    Michael Kretschmer warnte vor Vorurteilen gegenüber Polizei

    „Das ist eine Gratwanderung“, sagt Jörg Radek, Vize-Vorsitzender GdP und führt aus: „Diese Grenze ist dann klar überschritten, wenn sich ein Polizist bei Pegida aktiv engagiert, etwa als Organisator von Demonstrationen oder als Redenschreiber.“ Aber das sehe er in dem Fall bisher nicht. Er fordert aber eine bessere Weiterbildung für Polizisten. Polizisten erlebten in ihrem Alltag die Polarisierung häufiger als andere Berufsgruppen – gerade in einem Bundesland wie Sachsen.

    Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warnte vor Vorurteilen gegenüber der Polizei. „Mir ist sehr daran gelegen, die Situation zu versachlichen und mit Ruhe zu bewerten“ sagte er. „Hier werden viele Dinge vermengt, die so nicht zusammengehören.“ Am Tag zuvor hatte Kretschmer noch getwittert: „Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten.“

    Mehrere Medienrechtler hingegen hielten das Vorgehen der Polizei für unangemessen. Vor allem die mehrfache Prüfung der Presseausweise ist aus Sicht von Experten eine klare Einschränkung der Pressefreiheit, die Polizisten als Staatsgewalt eigentlich auch durchsetzen müssen.

    Auch die Anzeige eines zweiten Pegida-Anhängers, René S., der zufällig vorbeilief, wirkte sich verzögernd auf die Arbeit des Fernsehteams aus. Der Vorwurf der Beleidigung, so die Reporter, hätte sich entkräften lassen, wenn die Beamten die Videos der Journalisten angeschaut hätten. Eine dritte Person hatte beleidigt. Aber das schien die Beamten nicht zu interessieren.

    Der Rechtsextremismus-Blogger Henrik Merker erkennt darin ein System. „Das fängt meistens damit an“, sagt er im Deutschlandfunk, „dass eine Gruppe von Personen einen ausgewählten Journalisten umringt und die Behauptung in den Raum stellt, es wären Porträtaufnahmen angefertigt worden.“ Anschließend sorgen die Demonstranten für Tumult. „Kommt die Polizei dazu, geht die dann eher gegen die Journalisten vor.“ Der Rechtsextremismus-Experte unterstellt den Einsatzkräften weniger Vorsatz, als vielmehr, dass sie überfordert seien von der Situation.

    Image der sächsischen Polizei beschädigt

    Allerdings berichten andere Journalisten, dass viele Polizeibeamten aus ihrer Pro-Pegida-Gesinnung keinen Hehl machen. So habe bereits ein Polizist über Lautsprecher Pegida „viel Erfolg“ gewünscht. Im Jahr 2016 griff ein Polizist in Clausnitz hart bei der Evakuierung eines Flüchtlingsjungen zu – was als Video millionenfach geklickt wurde.

    In Bautzen nennt ein Polizist eine Gruppe von gewaltbereiten Rechtsextremen „eventbetonte Jugendliche“ – und im Dezember 2017 wurde bekannt, dass das neu bestellte gepanzerte Polizeifahrzeug „Survivor“ eine Stickerei auf der Lehne haben, die in Schrift und Form an Kennzeichen der Nazis erinnerte.

    Peter Guld, Landesvorsitzender beim Bundes Deutscher Kriminalbeamter in Sachsen, sieht durch den Vorfall das Image der sächsischen Polizei weiter beschädigt. „Als Polizist kann ich eben nicht wie jeder andere Bürger auf Demonstrationen aktiv sein und sogar hetzerische Parolen skandieren.“ Hier müsse sich ein Polizist mäßigen. Guld hebt jedoch auch hervor: „Das ist nicht verdient, denn sehr viele Beamte und Angestellte machen in einer politisch angespannten Lage gute Arbeit.“

    Jörg Radek, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sieht ein Defizit bei der politischen Bildung der Beamten: Diese Polarisierung der politischen Debatten in den vergangenen Jahren würden die Beamten bei ihren Einsätzen auf der Straße täglich erleben. „Deshalb muss der Staat mehr in die politische Bildung investieren, um Beamte immun gegen Manipulationen zu machen“, sagte Radek.

    So ist die Debatte, die mit einem Video am Rande der Demonstration von Pegida begann, längst politisch. Und doch sorgt sie neben ernsten Diskussionen auch für Schadenfreude im Netz. Auf Twitter kursiert eine Zeichnung, in dem eine Frau ihren Mann am Strand anschreit, er solle den Deutschland-Hut abnehmen – „sonst denken die Leute noch, du bist beim LKA!“.