Berlin. Der Innenminister will die Flughafenkontrollen privatisieren – und stößt auf Widerstand. Es geht um einen 700-Millionen-Euro-Markt.

Armin Schuster ist nicht wohl beim Gedanken, dass die Kontrollen an den Flughäfen privatisiert werden. Genau das hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) vor. Die Verantwortung ginge dann von der Bundespolizei auf die Airports über.

Der CDU-Abgeordnete Schuster, ehemals Bundespolizist, mahnt, „im Kern geht es um Terrorabwehr“. Davon handelt diese Geschichte, ferner von einem 700-Millionen-Euro-Markt, mithin eine Goldader, die neu parzelliert wird. Und von Lobbyismus.

Das Ministerialpapier, das den Etappenerfolg einer ganzen Branche dokumentiert, ist intern, acht Seiten lang und trägt den Titel „Eckpunkte zur Neuorganisation der Durchführung bestimmter Luftsicherheitsaufgaben“.

Bundespolizei unterstützt Auswahl der Sicherheitsleute

Schon die Vorbemerkung ist wie der Eröffnungszug in einem Schachspiel: „Die Luftverkehrswirtschaft kritisiert seit Langem zu hohe Kosten und zu geringe Effizienz der Luftsicherheitskontrollen (d. h. der Kontrollen der Passagiere und ihres Gepäcks) und fordert grundlegende Änderungen des Systems. Diese Funktionen haben auch ungeprüft Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden.“

Stefan Schulte ist Vorstandschef von Fraport, Betreiber des Frankfurter Flughafens, Nummer vier in Europa, Nummer 14 weltweit. Er sagt, die Betreiber seien bereit, „Verantwortung von der Bundespolizei unter Beteiligung der Airlines zu übernehmen“. Alle Beteiligten müssten „unverzüglich in eine Diskussion um eine konkrete Ausgestaltung eintreten“.

Um das Anliegen von Schulte und vom Branchenverband ADV zu verstehen, muss man das System aus halb staatlichen, teilprivatisierten Kontrollen kennen. Es gibt 37 Luftsicherheitsbehörden plus Zoll, die Kontrollen sind eine hoheitliche Aufgabe des Staates, der Länder, in den 13 größten Airports der Bundespolizei, die sie den Sicherheitsdiensten überträgt, „Beliehenen“ im Juristendeutsch, wie etwa Securitas in Berlin oder Kötter in Düsseldorf.

Die Bundespolizei unterstützt die Ausschreibung und die Auswahl der Sicherheitsdienste, beaufsichtigt, zertifiziert, plant und steuert die Kontrollen, entwickelt, kauft, wartet die Technik, berechnet individuell pro Flughafen die Kosten und stellt sie in Rechnung. Es ist die Sicherheitsgebühr, die am Ende der Kunde zahlt. Ein System ohne Anreize, Kosten zu sparen.

Flughafenbetreiber kriegen Ärger ab

Inzwischen liegt der Grundlohn für Kontrollkräfte bei 16,38 Euro die Stunde. Ein vergleichbar Beschäftigter im öffentlichen Dienst würde in der höchsten Tarifstufe nach 15 Jahren 15,51 Euro verdienen. 4,8 Millionen Frachtstücke, 224 Millionen Passagiere, 23.000 Bedienstete, 700 Millionen Euro an Umsatz im Jahr, Tendenz steigend – die Kennziffern der Sicherheitsbranche.

Die Flughafenbetreiber liefern die Daten, haben wenig Einfluss, kriegen den Ärger der Passagiere ab, wenn sich Kontrollen hinziehen, Warteschlangen länger werden, Abflüge sich verspäten. Da Billigflieger Gepäck zusätzlich berechnen, ist der Anreiz groß, nur mit Handgepäck zu reisen. Mehr Handgepäck heißt mehr Kontrollen, Verzögerungen, Ärger bei Kunden. Wobei die „Schlechtleistung“, so der Chef des Düsseldorfer Flughafens, Thomas Schnalke „in erster Linie auf uns zurückfällt“.

Wenn Schulte ab Amsterdam fliegt, wird er neidisch. Im europäischen Ausland werden Waren, Gepäck, Personal und Passagiere von den Flughafenbetreibern unter staatlicher Aufsicht durchgeführt. Verantwortung in einer Hand, weniger Schnittstellen, und „Einbußen an Sicherheit sind insoweit nicht bekannt geworden“, so das Innenministerium.

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    „Sicherheitskontrollen müssen effektiver werden“

    Schulte fordert, „die Sicherheitskontrollen an unseren Flughäfen müssen effektiver, wirtschaftlich effizienter und passagierfreundlicher werden“. Die Betreiber können sie vermutlich nicht billiger machen, wohl aber flexibler sein. Für sie sind Modernisierungen Investitionen, die sie abschreiben können – für die Bundespolizei Beschaffungen, an haushaltsrechtliche Vorgaben gebunden.

    Ihr Präsident, Dieter Romann, will die Verwaltungsaufgaben loswerden, nur noch für Fachaufsicht und Qualitätskontrollen zuständig sein. Selbstverständlich würde die Bundespolizei weiter Streife fahren und eingreifen und zum Beispiel Festnahmen vornehmen.

    Die Sicherheitsdienste gründeten im Sommer 2017 einen eigenen Verband und setzten an die Spitze einen früheren Kollegen und Duzfreund Romanns: Ex- Bundespolizist Udo Hansen. Bei den Potsdamer Sicherheitstagen Anfang März, einer Art Familientreffen der Branche, brach Romann im Beisein vom „lieben Udo“ eine Lanze für die Privatisierung.

    Als Behördenleiter habe er zumindest einen Wunsch, so Romann, die Entlastung von „vollzugsfremden“ Ausgaben. Das Eckpunktepapier des Ministeriums listet zwar vier verschiedene Modelle auf, darunter auch eine Verstaatlichung, aber der „Lösungsvorschlag des BMI“ lautet: „Aufgabenübertragung auf Flughafenbetreiber“. Das Romann-Hansen-Schulte-Modell.

    Gewerkschaften und die SPD leisten massiv Gegenwehr

    CDU-Innenpolitiker Schuster versteht, „dass der Innenminister die Bundespolizei von polizeifremden Aufgaben entlasten möchte“. Er ist aber „kein Freund einer radikalen Privatisierung“. Erst müsse man die unterschiedlichen Wege „hinsichtlich Sicherheit und Effizienz gegeneinander abwägen“.

    Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, teilt die Bedenken: „Ich bezweifle, dass wir ein Mehr an Sicherheit bekommen.“ Die Gewerkschaften sind für staatliche Kontrollen, sei es durch die Bundespolizei, sei es wie in Bayern durch eine private Firma, die mehrheitlich dem Staat gehören würde. Die Arbeit müssten keine Beamten erledigen, so Radek, „das können Angestellte sein“.

    Für SPD-Vizechef Ralf Stegner sind die Sicherheitskontrollen „keine Dienstleistung“, sondern Terrorabwehr. Diese hoheitliche Aufgabe müsse durch die Bundespolizei wahrgenommen werden. Von Seehofer komme „einmal mehr ein absurder Vorschlag“. Ob der Widerstände entschied sich der Minister, erst mal ein Gutachten in Auftrag zu geben. Das sieht der Koalitionsvertrag vor. Seehofer favorisiert den Bundesrechnungshof. Die Bonner Behörde weiß noch nichts davon. Und um ihr eine Ablehnung unmöglich zu machen, soll der Auftrag – so der Plan – nicht von der Regierung ergehen, sondern vom Parlament, vom Innenausschuss, der von Seehofers Parteifreundin Andrea Lindholz geleitet wird.

    Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Staat „mehr strukturelle Verantwortung“ und Anteile an den Kosten übernimmt. Seehofer macht das Gegenteil. Er betreibt den Rückzug des Staates, die Kosten wälzt er auf die Airports ab. Seine Beamten schrieben ihm auf, „hier muss gelten: Keine Aufgabenwahrnehmung ohne Ausgabenwahrnehmung“.