Berlin. Die Wehrpflicht ist freiwillig, sie ist eine Option. Ministerin Ursula von der Leyen muss die Arbeit bei der Truppe verlockender machen.

Die Debatte läuft bereits an. Die Wehrpflicht wird wieder zum großen Thema. Immerhin will die Bundeswehr bis 2024 ihr Personal auf 198.000 Soldaten aufstocken. 20.000 mehr als heute. Ein Kraftakt. Denn die Jahrgänge gehen zahlenmäßig zurück, und die Industrie sucht händeringend Leute. Die Folge ist ein Mangel an Fachkräften, der alle beschwert; auch die Truppe, wiewohl sie nach einer Umfrage unter Schülern nach der Polizei und Adidas zu den beliebtesten Arbeitgebern gehört.

Seit die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, ist die Debatte regelmäßig aufgeflammt, nicht zum ersten Mal auf Initiative des CDU-Abgeordneten Pa­trick Sensburg, der gegen die Aussetzung gestimmt hatte und ein „Überzeugungstäter“ ist. Die neue Qualität der Diskussion macht CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer aus.

Deutschland muss Ausrüstungsdefizite abbauen

Es ist eine Sache, wenn Einzelne der Wehrpflicht nachtrauern; eine andere, wenn die Partei der Kanzlerin sich eine allgemeine Dienstpflicht als Leitfaden für ihr Grundsatzprogramm vornimmt. Für die Christdemokraten wäre es eine Selbstverpflichtung. Umso bemerkenswerter, als Kanzlerin Angela Merkel noch im Mai 2017 die Debatte abgewürgt hat, damals mit dem Argument, dass die Grundsatzentscheidung getroffen sei und die Bundeswehr Kontinuität und Berechenbarkeit brauche.

Allein, seither hat der Druck zugenommen, mehr für die Verteidigung zu tun. Die russische Bedrohung – mehr gefühlt als tatsächlich? – ist gestiegen. Vor allem hat US-Präsident Donald Trump rüde mit unverhüllten Drohungen klargemacht, dass mit der militärischen „Trittbrettfahrerei“ Schluss sein und Deutschland seine Ausrüstungs- und Rekrutierungsdefizite abbauen muss. Die Lösung der Rüstungsprobleme verlangt gutes Management und Geld, am Letzterem fehlt es eher nicht.

Die Erfolgsrezepte der Wirtschaft kann man nicht auf das Militär übertragen. Man kann das Gros der Soldaten nicht Jahre länger dienen lassen – eine Frage der körperlichen Leitungsfähigkeit –, im Ausland anwerben oder durch Maschinen (Kampfroboter sind Science-Fiction) ersetzen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bleiben unterhalb der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht zwei Szenarien: die Rekrutierung von EU-Bürgern und attraktivere Bedingungen. Der erste Punkt wird ins Auge gefasst, am zweiten arbeitet von der Leyen.

Vieles könnte besser, großzügiger, verlockender sein: Sold, Arbeitszeiten, Aufstiegschancen. Da hat von der Leyen längst nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Insbesondere bei Frauen scheint es Potenziale zu geben. Mehr Soldaten freiwillig zu verpflichten, wäre schon deswegen der Wehrpflicht vorzuziehen, weil man die Rekruten langfristig an sich binden sollte. Eine moderne Armee braucht mehr denn je Spezialisten, die man lange anlernen muss und die nicht schon nach einem Jahr gehen sollten.

Aussetzung der Wehrpflicht war Amateurstreich

Die Wehrpflicht ist nicht die, aber eine Option. Insofern ist die Debatte vom Wochenende nicht falsch, allenfalls verfrüht. Wenn die CDU einen Versuchsballon gestartet hat, sind die Reaktionen zumindest nicht entmutigend. Eine Mehrheit der Bürger würde es begrüßen, im politischen Raum sieht man Lockerungsübungen. Motto: Über eine Wehrpflicht lässt sich reden.

Ihre Aussetzung war ein ministerieller Amateurstreich Karl-Theodor zu Guttenbergs. Eine solide Debatte ist nun unerlässlich. Mit Grundsatzentscheidungen darf man nicht nach der Devise „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ verfahren. Delikat wäre ein allgemeines Dienstjahr. Das fordert sich leicht. Hundertausende zwangsweise zur Arbeit heranzuziehen wirft aber Fragen auf – nicht zuletzt verfassungsrechtliche.