Fürth/Neumarkt. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles versucht im CSU-Land, ihre Partei wieder über die 20-Prozent-Marke zu bringen. Ein Ortsbesuch.

Thomas Jung ist ein Exot in Bayern. Seit 17 Jahren gewinnt er in Fürth eine Oberbürgermeisterwahl nach der anderen, führt mit absoluter Mehrheit eine der sichersten Großstädte Deutschlands, hat mehr als 2000 Flüchtlinge lautlos integriert. Dabei ist er Sozialdemokrat im CSU-Land.

Es ist ein Phänomen, dass die SPD in den Großstädten sehr erfolgreich, auf Bundesebene aber ziemlich schwachbrüstig unterwegs ist. So einen Mann wie Jung muss sich Andrea Nahles deshalb mal genauer angucken. Gelegenheit dafür bietet eine zweitägige Sommerreise durch den Freistaat, wo Mitte Oktober gewählt wird.

SPD rangiert nur knapp vor der AfD

Nahles ist seit genau 100 Tagen eine Parteivorsitzende im Dauerkrisenmodus. Im von der CSU angezettelten Asylstreit blickte die Bundesregierung in den Abgrund. Nahles steuerte die SPD unfallfrei durch die Turbulenzen, bestand so ihre erste große Bewährungsprobe. Doch vom erbitterten Streit der Schwesterparteien CDU und CSU können die Sozialdemokraten nicht profitieren. In den Umfragen dümpelt die SPD beständig unter der 20-Prozent-Marke, der Status als Volkspartei steht mehr denn je infrage.

Söder und Nahles zeigen sich offen für Dürrehilfen

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    In Bayern liegt sie derzeit bei nur 13 Prozent, dabei ist die CSU nach dem Asyl-Machtkampf mit Kanzlerin Merkel so schwach wie nie, rüstet Ministerpräsident Markus Söder eilig rhetorisch ab, was Nahles genüsslich aufgreift („Söder hat Kreide gefressen“).

    Die Sozialdemokraten rangieren nur knapp vor der AfD, aber klar hinter den Grünen, die mit ihrer humanen Haltung in der Flüchtlingspolitik jene weltoffenen SPD-Wähler anziehen, die von Nahles’ härterem Kurs nicht überzeugt sind. In Hessen dürfte es im Oktober für die SPD auch im dritten Anlauf sehr schwer werden, die CDU von der Macht zu verdrängen. Es sind harte Zeiten für die 48 Jahre alte Nahles. Kann sie die Verzwergung der SPD stoppen?

    Nahles weiß, dass sie mit ihrer Wortwahl auch aneckt

    Jung führt Nahles im Rathaus an der Ahnengalerie berühmter Fürther Söhne vorbei. Henry Kissinger, Max Grundig, Ludwig Erhard. Beim Bild des einstigen CDU-Kanzlers und Vaters des Wirtschaftswunders verzieht sie das Gesicht. Jung lobt, wie Nahles und Scholz die SPD nach dem Absturz bei der Bundestagswahl und dem schmerzhaften Gang in die große Koalition zusammengehalten hätten: „Ihr macht das souverän.“ Nahles ist die Schmeichelei peinlich. „Das hab ich jetzt nicht bestellt gehabt.“ Jung ist noch nicht fertig.

    Probleme machten ihm Bulgaren und Rumänen in der Stadt, die mit vielen Kindern kämen, sich einen 400-Euro-Job suchten, um dann im großen Stil Kindergeld zu bekommen. Das müsse die SPD mit offenem Visier thematisieren. Die Ex-Arbeitsministerin hört aufmerksam zu. Dieses Aufregerthema, dass die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit teils ausgenutzt wird und die Sozialsysteme belastet, will sie auf EU-Ebene ansprechen.

    In die Fresse: Andrea Nahles ist die neue starke Frau an der SPD-Spitze

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      Noch mehr regt sich der Fürther OB über SPD-Außenminister Heiko Maas auf, der zu Amtsbeginn Russland mit härteren Bandagen als seine Vorgänger anfasste. „Wenn ich den Kollegen Maas höre, wird mir angst und bange“, schimpft Jung. Eine Fürther Firma dürfe wegen der Sanktionen die russische Biathlon-Nationalmannschaft nicht mehr mit Munition beliefern.

      Die SPD-Vorsitzende hält es mit Helmut Kohl

      „Das machen jetzt die Chinesen.“ Nahles nimmt Maas in Schutz, erklärt dem Parteifreund, dass das Auswärtige Amt unter anderem auch deswegen „angepisst“ gewesen sei, weil russische Hacker die Rechner deutscher Diplomaten angezapft hätten. Jetzt seien die Gesprächskanäle nach Moskau wieder offen, das sei gut für Deutschland.

      Nahles weiß, dass sie mit derber Wortwahl ( „Bätschi“, „Ab morgen kriegen sie in die Fresse“) auch mal aneckt. Ihr Image in der Öffentlichkeit als linke Krawallschachtel aus Juso-Zeiten wirkt wie einbetoniert. Während der eher dröge Vizekanzler Olaf Scholz plötzlich beliebtester SPD-Politiker ist, kann Nahles nicht punkten. Wie der gescheiterte Bauchmensch Martin Schulz macht sie die bittere Erfahrung, dass öffentlich oft nach authentischen Politikern gerufen wird, diese aber nicht geschätzt werden, weil sie die Wähler letztlich zu stark an deren eigene Schwächen erinnern.

      So hält es Nahles notgedrungen eher mit dem großen Pfälzer Helmut Kohl. Der war auch nie beliebt, sicherte durch Netzwerke in den eigenen Reihen seine Macht. Platzt die fragile GroKo noch vor 2021, würde die Kanzlerkandidatur wohl an Scholz gehen. Nahles hat live miterlebt, wie die Umfragelieblinge Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Martin Schulz im Wahlkampf verglühten.

      Für die SPD hat die Germanistin seit der Bundestagswahl alles gegeben. Gerade war sie mit ihrer siebenjährigen Tochter knapp zwei Wochen auf Sardinien, um den leeren Akku aufzuladen. Politik war tabu. Nahles legte die Beine hoch, las Tanja Kinkels historischen Kriminal­roman „Grimms Morde“.

      Die Vorsitzenden der SPD seit 1946

      Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952.
      Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich die SPD neu organisieren. Der 1895 in Westpreußen geborene Kurt Ernst Carl Schumacher führte die Partei von 1946 bis 1952. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
      Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963.
      Nach dem Tod Kurt Schumachers 1952 übernahm der gebürtige Magdeburger Erich Ollenhauer das Amt des SPD-Vorsitzenden. Er war zugleich SPD-Fraktionschef im Bundestag. Beide Ämter hielt er bis zu seinem Tod 1963. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
      Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987.
      Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, übernahm den Parteivorsitz 1964 und hielt das Amt bis 1987. © BM | imago/ Sven Simon
      Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt.
      Der gebürtige Göttinger Hans-Jochen Vogel war SPD-Vorsitzender von 1987 bis 1991. Zuvor war er unter anderen Bürgermeister von München und Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen und hatte zwei Bundesministerien geführt. © imago stock&people | imago stock&people
      Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück.
      Björn Engholm führte die Sozialdemokraten von 1991 bis 1993. Er war der designierte Kanzlerkandidat seiner Partei, trat im Zuge der Barschel-Affäre aber von allen politischen Ämtern zurück. © imago/Rainer Unkel | imago stock&people
      Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch.
      Nach dem Rücktritt von Björn Engholm führte der spätere Bundespräsident Johannes Rau die SPD kommissarisch. © imago/photothek | Thomas Imo
      Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995.
      Bei einer Ur-Wahl 1993 sprach sich eine Mehrheit der SPD-Mitglieder für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping aus. Er führte die Partei bis 1995. © imago stock&people | imago stock&people
      Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging.
      Oskar Lafontaine war von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender. 2005 verließ er die Partei und wechselte zur neu gegründeten Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die später in der Partei Die Linke aufging. © BM | imago/ Jürgen Eis
      Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004.
      Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder übernahm den SPD-Vorsitz 1999 und hielt das Amt bis 2004. © imago stock&people | imago stock&people
      Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur.
      Franz Müntefering führte die SPD von 2004 bis 2005. Er verzichtete 2005 auf eine erneute Kandidatur. © BM | imago/ Rainer Unkel
      Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück.
      Nach Münteferings Rückzug wurde Matthias Platzeck im November 2005 zum Vorsitzenden gewählt. Nach zwei Hörstürzen in den Wochen darauf trat er im April 2006 aus gesundheitlichen Gründen zurück. © BM | imago/ Michael Schöne
      Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte.
      Kurt Beck übernahm zunächst kommissarisch und wurde dann auf einem Sonderparteitag bestätigt. 2008 erklärte er seinen Rücktritt, nachdem durch Indiskretionen bekannt geworden war, dass Frank-Walter Steinmeier die SPD als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2009 führen sollte. © imago stock&people | imago stock&people
      Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze.
      Franz Müntefering stand von Becks Rücktritt 2008 bis zum schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl 2009 zum zweiten Mal an der Parteispitze. © BM | imago/ Rainer Unkel
      Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an.
      Sigmar Gabriel wurde einer der langjährigsten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Er führte die Partei von 2009 bis 2017 an. © imago stock&people | imago stock&people
      Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt.
      Martin Schulz wurde am 19. März 2017 zum Vorsitzenden gewählt. Auf innerparteilichen Druck hin erklärte er nach seiner erfolglosen Kanzlerkandidatur am 9. Februar 2018 schriftlich seinen „Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregierung“. Am 13. Februar 2018 gab er seinen Rücktritt bekannt. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
      Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen.
      Andrea Nahles, die erste Frau an der Parteispitze, führte die SPD von April 2018 bis Juni 2019. Am 2. Juni 2019 kündigte Nahles ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende und Chefin der Bundestagsfraktion an. Die 48-Jährige legte auch ihr Bundestagsmandat nieder und kündigte an, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
      Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch.
      Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Vorsitzender in Hessen, Manuela Schwesig (Mitte), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, übernahmen den Parteivorsitz im Juni 2019 kommissarisch. © Adam Berry/Getty Images | Adam Berry
      Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021.
      Ende 2019 hatten sich sechs Bewerberteams der SPD-Basis in 23 Regionalkonferenzen vorgestellt. Nach der ersten Wahl der Mitglieder gab es kein klares Ergebnis, deshalb traten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken in einer Stichwahl gegen Vizekanzler Olaf Scholz und Klara Geywitz an. Walter-Borjans und Esken setzten sich durch. Sie führten die Partei von Dezember 2019 bis Dezember 2021. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
      Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze.
      Norbert Walter-Borjans schied dann auf eigenen Wunsch aus der Parteiführung aus. Saskia Esken machte weiter. Beim SPD-Parteitag im Dezember 2021 entschied sich die Partei erneut für eine Doppelspitze. © dpa
      Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die
      Neben Esken führt seither der bisherige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil (*1978) die "Alte Tante SPD". © Privat | Privat
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      Nahles: „Größtes Entfristungsprogramm“

      Neben Fürth macht der schwarze Tourbus der SPD-Chefin in Bamberg und Erlangen Station. Kein Zufall, dass diese Städte ebenfalls SPD-Hochburgen im (noch) schwarzen CSU-Reich sind. Ein bisschen macht das den Eindruck, Nahles wolle nach den Stresswochen in Berlin den Vorwahlkampf in Bayern ohne Kontroversen angehen lassen.

      Im Ausbildungszentrum der Bundespolizei in Bamberg, wo bis 2014 die US-Armee untergebracht war, werden 2500 angehende Polizisten auf ihren Job an den Grenzen, auf Flughäfen und Bahnhöfen vorbereitet. Beim Gespräch in der Kantine hört Nahles zu, zählt auf, dass es das Verdienst ihrer Partei sei, dass seit 2015 die Schaffung von 10.000 neuen Polizeistellen auf Bundesebene auf den Weg gebracht worden sei.

      SPD-Finanzminister Olaf Scholz mache viel Geld locker, damit in Bundesbehörden massiv Stellen entfristet würden. „Das ist das größte Entfristungsprogramm, das es jemals im öffentlichen Dienst in Deutschland gegeben hat“, lobt sie die eigene Agenda. Aus Bamberg nimmt sie noch die Erkenntnis mit, dass die Stellenoffensive bei der Bundespolizei – die meisten Anwärter sind Männer – ungeahnte Folgen mit sich bringt: „Das hat den ganzen Heiratsmarkt von Bamberg durcheinandergebracht.“

      Sehnsucht nach Schweigen

      In Erlangen baut der weltgrößte Elektrokonzern Siemens für eine halbe Milliarde seinen Standort für Hightech-Maschinen zu einem Stadtteil-Campus um. Die frühere Arbeitsministerin hat ein Faible dafür, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert. Hier sieht sie neue Chancen für die SPD, sich als Arbeiterpartei 4.0 neu zu erfinden.

      Nahles will die Partei an gesellschaftliche Gruppen andocken, die sich von der Politik vernachlässigt fühlen und Angst vor der Globalisierung haben. Kürzlich traf sie sich mit Truckern. Bulgarische und rumänische Lkw-Fahrer werden mit Tagespauschalen von 60 Euro ausgebeutet. Demnächst will sie mit Paketzustellern reden. Der Weg zurück über die 20-Prozent-Marke ist ein mühsames Geschäft.

      Eher entschleunigt spielt das Leben in der 6000-Seelen-Stadt Dietfurt in der Oberpfalz. Auch die ist „natürlich in SPD-Hand“, wie Bürgermeisterin Carolin Braun verkündet. „Obwohl ich drei Handicaps habe: Oberbayerin, Frau, in der SPD.“ Die Arbeitslosenquote liegt unter zwei Prozent, viele Touristen kommen zum Chinesen-Karneval, was Fasching-Fan Nahles begeistert: „Geil, geil, geil.“ Viele Gäste buchen bei den Franziskanern in Dietfurt gern Schweigeseminare. Nach den Chaostagen in Berlin hätte Nahles Lust: „Es gibt manchmal so eine Sehnsucht danach. Muss ich auch mal machen.“ Genossin Braun rät ihrer Parteichefin dringend ab: „Ich denke, es wäre nicht gut, wenn ausgerechnet du schweigen würdest.“