Berlin. Innenminister Horst Seehofer arbeitet an einem Zuwanderungsgesetz. Es soll den Fachkräftemangel lindern. Kann dieser Plan gelingen?

Neulich, am Rande der Kabinettssitzung, haben sie sich extra zusammengetan. Drei Minister, ein Plan: bessere Anwerbung von Facharbeiten aus dem Ausland. Das kann nur gelingen, wenn man Migranten besser anspricht, wenn sie heimisch werden und es nicht als belastend empfinden, letztlich Deutsche zu werden. Gerade der Fall des türkischstämmigen Fußballers Mesut Özil hat gezeigt, dass dies mehr als eine Gesetzesfrage ist. Es geht auch um einen Imagewechsel, darum, wie sich Deutschland selbst darstellt.

Wie viele und welche Zuwanderer braucht das Land? Die Antwort darauf ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dringlich. Kurz bevor sich die Regierungschefin in den Urlaub verabschiedete, sprach sie von einem „zentralen Projekt“ der großen Koalition.

Alle wollen es: die Parteien, die Kirchen, die Wirtschaft. Gefordert ist – Ironie des politischen Schicksals – Innenminister Horst Seehofer (CSU). Ein Mann, der doch angetreten war, der Zuwanderung eine Obergrenze zu setzen.

Hubertus Heil macht Druck

Im September soll der Innenminister sogenannte Eckpunkte vorlegen. „Wir werden im Herbst da zu Potte kommen“, versprach er. So lange wollte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht warten. In Interviews machte er in den vergangenen Tagen klar, dass er Menschen einreisen lassen würde, die noch kein Jobangebot haben, sofern sie in Deutschland ihren Berufsabschluss anerkennen lassen und eine Stelle suchen. Heil dachte etwa an Pflegekräfte.

Seehofer reagierte nicht, ebenso wenig der Dritte im Bunde: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Aber die Diskussion ist eröffnet. Der SPD-Minister ging in die Offensive. Er machte klar, dass seine Partei die treibende Kraft ist und die „ideologische Blockade“ der Unionsparteien durchbrochen habe; dass den Sozialdemokraten das Momentum gehört und die CDU-Kanzlerin in der Frage eine von ihnen ist.

Es geht nicht um Einwanderung in die Sozialsysteme, ebenso wenig von Ungelernten. „Wir müssen sehr sorgfältig arbeiten“, mahnt Heil. Die Forscher der Agentur für Arbeit rechnen dieses Jahr mit 760.000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, aber mit nur 260.000 zusätzlichen potenziellen Erwerbspersonen. Besonders groß ist die Not in der IT-Branche. Im Jahr 2016 machten 25.000 Studenten ihren Informatik-Abschluss, aber laut Branchenverband Bitkom gab es zugleich 55.000 offene Stellen für IT-Spezialisten.

Zahl der Erwerbstätigen dürfte sinken

Die geburtenstarken Jahrgänge drängen ab 2020 in den Ruhestand, in der Folge dürfte die Zahl der Erwerbstätigen sinken. Der Handlungsdruck ist groß. Spätestens 2020 soll das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz in Kraft treten. Zumal die deutsche Wirtschaft brummt. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Beschäftigten um 2,88 Millionen auf 32,16 Millionen gestiegen, ein Rekord. Von diesen 2,88 Millionen waren 1,28 Millionen Ausländer, meist aus der EU, nur 386.000 aus Drittstaaten.

Andere EU-Staaten haben zum Teil ähnliche Probleme, nämlich überalterte Gesellschaften und wenig Fachleute. Eine Hilfe könnten Einwanderer aus Staaten außerhalb der EU sein. Ein Klassiker: der indische Computerspezialist. Die Zahl der indischen Beschäftigten in Deutschland ist innerhalb von fünf Jahren tatsächlich von 20.000 auf 37.000 gestiegen, fast das Doppelte.

Seehofers Leute fangen nicht bei Null an. Längst werden mit der Blue Card Hochschulabsolventen ab einem Jahreseinkommen von 52.000 Euro (bei Mangelberufen 40.560 Euro) angelockt. Mehr als 21.000 Blue Cards wurden 2017 erteilt. Die Zahl täuscht aber, weil es in fast jedem zweiten Fall nicht um eine neue Arbeitserlaubnis ging, sondern um eine Verlängerung.

Einwanderungsgesetz fehlt bisher

Auch Handwerker und sogar Geringqualifizierte bekommen unter Umständen ein Visum, sofern sie einen Arbeitsvertrag in Deutschland vorweisen können. Für rund 70 Mangelberufe hat die Bundesrepublik auf eine „Vorrangprüfung“ verzichtet. In diesen Fällen prüft die Agentur für Arbeit nicht erst, ob es für die Stelle einen einheimischen Bewerber gibt. Außerdem dürfen die 300.000 ausländischen Studenten an den deutschen Universitäten nach Abschluss noch bis zu 18 Monate lang bleiben – zur Jobsuche.

Ein eigenes Einwanderungsrecht aber fehlt. Die Zuwanderung wird über verschiedene Gesetze, Verordnungen und Vorschriften geregelt. Allein die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz enthält rund 400 Seiten. Deswegen wollte schon Seehofers Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) das Gesetz vereinheitlichen, vereinfachen, offener, einladender formulieren.

Mehr als die Hälfte der Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten – gemeint sind ausdrücklich nicht Asylbewerber und Flüchtlinge – verbleibt nach aller Erfahrung weniger als ein Jahr in Deutschland. Offensichtlich haben sie es in anderen Staaten leichter. Manchmal ist es eine Frage der Bezahlung, häufiger der Sprache. Wer aus einem englischsprachigen Staat kommt, wird eher in ein Land auswandern wollen, wo er keine Sprache neu lernen muss. Umso wichtiger wäre es, Zuwanderern mehr anzubieten: eine Perspektive zu dauerhaftem Aufenthalt und Einbürgerung, Erleichterungen beim Familiennachzug oder auch, um sich selbstständig zu machen. Willkommensstruktur? Fehlanzeige.

CSU fürchtet mehr Zuwanderung

Die SPD hat Ende 2017 ein Einwanderungsgesetz vorgelegt, um mit Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas Migranten ins Land zu locken. Würden die Parteien im Bundestag ohne Fraktionszwang darüber abstimmen, wäre eine Mehrheit dafür: SPD, Grüne, FDP, Linke, sogar die AfD, obwohl der Fokus der Rechtspopulisten eigentlich woanders liegt: weniger Asylbewerber.

Die Union war oft zögerlich. Die CDU musste dauernd Rücksicht auf ihre bayerische „Schwester“ nehmen. Die CSU hatte sich ein Zuwanderungs-Begrenzungs-Gesetz auf die Fahnen geschrieben. Sie ließ sich bei den Koalitionsverhandlungen aber auf ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz ein und tröstete sich damit, dass man gleichzeitig eine jährliche Obergrenze im Korridor von rund 200.000 Zuwanderern durchgesetzt hatte.

Die Sorge der CSU ist, dass der Zuzug von Fachkräften nicht den Druck vom Asylrecht nehmen wird; es im Ergebnis nicht zu weniger, sondern zu mehr Zuwanderung führt.

Seehofer muss sich erst mit Heil und Altmaier verständigen

Im Innenministerium liegt ein fast zehnseitiges Papier vor, das streng vertraulich ist und kein großer Wurf sein soll. Wie viel will Seehofer gestalten und worauf kann er sich mit seinen Kabinettskollegen Heil und Altmaier verständigen? Muss man die Fachkräfte auf die 200.000-Quote anrechnen? Wohl kaum. Schließlich soll sich die Anwerbung von Fachkräften nach dem Bedarf richten. Brauchen die Bewerber einen Arbeitsvertrag oder nur einen Berufsabschluss? Im Regelfall werden sie eine Stellenzusage vorweisen müssen.

Für einzelne Berufszweige – Beispiel Pflege – sind ganz in Heils Sinn unkonventionelle Ausnahmen denkbar. Müssen die Menschen bereits vor der Einreise Deutsch- und Integrationskurse erfolgreich absolviert haben? Und: Wirbt man gezielt um Flüchtlinge?

Seehofer ist in den Gesprächen im Nachteil. Altmaier vertritt die Anliegen der Unternehmen und gehört dem linken Flügel der CDU an. In der Sache steht er Heil näher als dem CSU-Mann.