Luxemburg. Die Forschung und der Einsatz von Gentechnik in Europa bleiben beschränkt. Viele Unternehmen sind bereits ins Ausland abgewandert.

Eine Revolution erhofften sich Industrie, Landwirtschaft und Po­litik. Nach fast 20 Jahren, in denen Gentechnik in den Laboren und auf den Feldern Europas kaum eine Rolle spielen durfte, hatte sich ein mögliches Schlupfloch aufgetan. Die EU hatte es versäumt, ihre strenge Gentechnik-Richtlinie von 2001 auf den neusten Stand zu bringen. Techniken wie die Gen-Schere Crispr werden dort nicht explizit erwähnt.

Damit seien mittlerweile Eingriffe in die DNA von Pflanzen möglich, die sich von natürlichen Vorgängen in der Natur nicht mehr unterscheiden ließen, argumentierten Saatguthersteller und Pflanzenzüchter. Sie dürften daher rechtlich nicht als Gentechnik behandelt werden. Damit wären umfassende Risikoprüfungen und eine Kennzeichnung auf Lebensmitteln entfallen.

Dieser Hoffnung bereitete der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch ein Ende. Auch neue Methoden wie Crispr würden von der EU-Richtlinie erfasst, entschieden die Richter (Rechtssache C-528/16) – und sorgten damit für eine Überraschung.

Forschung ins Ausland abgewandert

Denn Experten erwarteten eine völlig andere Entscheidung. Im Januar hatte der zuständige Generalanwalt Michal Bobek, eine Art Gutachter des EuGH, eine Ausnahmeregelung für Crispr in Aussicht gestellt. „In der Mehrheit der Fälle folgt das Gericht diesen Empfehlungen. Aber hier war die Einschätzung sehr politisch geprägt. Der EuGH hat hingegen juristisch einwandfrei gearbeitet und die Politik außen vor gelassen“, sagt Tade Matthias Spranger, Experte für die Regulierung der Gentechnologie an der Universität Bonn.

Hintergrund: Aufgrund der strengen Regulierung in Europa sind Unternehmen, die an Pflanzen und Saatgut forschen, über die Jahre ins Ausland abgewandert, wo gentechnisch veränderte Organismen (GVO) weniger streng reguliert sind – etwa die USA oder China. Wäre Crispr, zumindest in den Fällen, in denen naturähnliche Veränderungen vorgenommen werden, von der EU-Richtlinie ausgenommen worden, hätten sich für viele Wirtschaftszweige neue Möglichkeiten aufgetan.

„Europa läuft Gefahr, den Anschluss an andere Weltregionen zu verpassen“, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, „dieses Urteil verbaut uns die notwendigen Möglichkeiten, mithilfe der Pflanzenzüchtung die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern. Die derzeitige Dürre zeigt uns exemplarisch, dass wir zukünftig beispielsweise trockenheitstolerantere Sorten brauchen.“

EuGH-Urteil schließt vorerst Hintertüren

Ähnliche Hoffnungen hegte auch das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung. „Mir ist wichtig, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sorgfältig ausgewertet wird“, sagt Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nach der Entscheidung. Oberste Maxime habe der Verbraucherschutz. „Gleichzeitig will ich den Blick für Entwicklungen und Innovationen offen halten. Denn wir sind nicht allein auf dieser Welt: Vielerorts werden neue Züchtungstechnologien bereits angewandt oder sind unerlässlich, um für eine ausreichende Versorgung beispielsweise mit Getreide zu sorgen. Ich sehe deutliche Herausforderungen: Wir wollen einerseits weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Andererseits gleiche Ernteerträge. Dazu bräuchten wir weitere Möglichkeiten – zum Beispiel schädlingsresistente oder dürreresistente Sorten. Diese Diskussion möchte ich in Europa gemeinsamen mit der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten vorantreiben“, so Klöckner weiter.

Nach dem EuGH-Urteil sei es nun aber nicht mehr möglich, solche Innovationen durch ein Hintertürchen zu ermöglichen, sagt Jurist Spranger. „Die Europäische Kommission müsste die Richtlinie von 2001 ändern.“ Ein wichtiger Punkt für Verbraucherschützer. Denn mit einer Ausnahmeregelung für Crispr würden nicht nur umfangreiche Prüfungen entfallen, die die Folgen des GVO-Anbaus für die Umwelt untersuchen, sondern auch die Kennzeichnung, an der Verbraucher gentechnisch bearbeitete Produkte erkennen können. „Der Europäische Gerichtshof hat heute die Interessen von Verbrauchern und Landwirten gestärkt. Unkontrollierte Freisetzungen genmanipulierter Pflanzen wird es nicht geben“, sagt Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für Umwelt, Energie, Landwirtschaft.

„Auch neue Gentechnik ist Gentechnik und muss deshalb genauso behandelt werden. Das hat der Europäische Gerichtshof heute eindeutig klargestellt. Das ist eine sehr gute Nachricht. Das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben gewährleistet“, erklärte auch der auf Gentechnik in der Landwirtschaft spezialisierte Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald Ebner.