Berlin. Mit der Gen-Schere Crispr lässt sich fremdes Erbmaterial in Pflanzen einbauen. Der EuGH entscheidet, ob das schon als Gentechnik gilt.

Gentechnik vermag Unvorstellbares. Was über Jahrmillionen entstanden ist, kann der Mensch heute mit Schnitten in die DNA in seinem Sinne ändern. Das birgt riesiges Potenzial, stößt aber auch auf Angst und Ablehnung.

Die Europäische Union steckte die menschgemachten Kreationen deshalb 2001 in ein enges rechtliches Korsett. Die sogenannte Freisetzungsrichtlinie sollte verhindern, dass sich gentechnisch veränderte Organismen (GVO) unkontrolliert ausbreiten. Sie schrieb strenge Risikoprüfungen für den Anbau von bearbeitetem Mais oder Raps vor. Im Supermarktregal sollten Verbraucher erkennen können, ob im Labor an Lebensmitteln gebastelt wurde.

Seither hat sich technisch viel getan. Mit der Gen-Schere Crispr/Cas9, oder schlicht Crispr, können Forscher heute Veränderungen in Pflanzen erzeugen, die von natürlichen Mutationen nicht mehr zu unterscheiden sein sollen.

Die Produkte solcher Eingriffe dürften daher nicht unter die Richtlinie von 2001 fallen, sind Hersteller überzeugt – denn sie hätten theoretisch auch in der Natur entstehen können. Die EU vermied es bislang, für neue Techniken wie die Gen-Schere einen rechtlichen Rahmen zu schaffen.

Am Mittwoch entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH), ob Gen-beschnittene Pflanzen künftig von umfassenden Risikoprüfungen und einer Kennzeichnung ausgenommen werden – Experten halten das für wahrscheinlich.

Mit der Gen-Schere lässt sich fremdes Erbmaterial in Pflanzen einbauen

Eigentlich scheint der Fall klar. Denn was könnte mehr Gentechnik sein als eine Gen-Schere? Tatsächlich aber heißt es in der EU-Richtlinie, als GVO gilt ein „Organismus […], dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist“.

Raps und Mais, denen artfremde Gene zum Beispiel von Bakterien eingesetzt werden, damit sie sich gegen Schädlinge zur Wehr setzen können, fallen recht eindeutig unter diese Definition.

Der Fall Crispr ist komplexer. Auch mit der Gen-Schere lässt sich durchaus fremdes Erbmaterial in Pflanzen einbauen. Aber es können auch Prozesse innerhalb einer Pflanzen-DNA in Gang gesetzt werden.

„Ich gebe Ihnen ein Beispiel“, sagt der Pflanzenmolekulargenetiker Michael Metzlaff, „bei Tomaten spielt die Farbe eine entscheidende Rolle. Nun wurde eine Tomatensorte über Jahre auf ein besonders schönes Rot gezüchtet. Dabei ist ihr der ursprünglich gute Geschmack abhandengekommen. Mit Crispr lassen sich die für Geschmack zuständigen Gene wieder einschalten.“

Verbraucher können durch Hinweis auf Verpackung verschreckt werden

Ist das also keine Gentechnik? „Zumindest sollte es nicht so reguliert werden“, findet Metzlaff, „weil das Ergebnis das gleiche ist, als hätte ich im Garten gezüchtet. Wie ich zu diesem Ergebnis gekommen bin, ist ja im Grunde unerheblich.“

Der Wissenschaftler kümmert sich im Auftrag des Pharmakonzerns Bayer um den Austausch mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Für sein Unternehmen ist die Entscheidung maßgeblich, es zählt zu den Riesen des GVO-Marktes. Ebenso wie zahlreiche Pflanzenzüchter, Saatguthersteller und auch der Deutsche Bauernverband hofft er, dass der EuGH die Gen-Schere aus dem rechtlichen Korsett der EU befreit.

In Fällen wie bei der geschmacklosen Tomate, in denen Forscher eine quasi naturgleiche Mutation erzeugen könnten, würden langjährige Risikountersuchungen, die bei GVO zusätzlich zu den im Lebensmittelrecht vorgeschriebenen Untersuchungen durchgeführt werden, entfallen. Der ängstliche deutsche Verbraucher würde nicht mehr durch einen Hinweis auf der Verpackung verschreckt – eine Tatsache, die GVO hierzulande quasi unverkäuflich machen.

Behandlung mit Chemikalien seit rund 100 Jahren im Einsatz

„Dabei gibt es auch andere Formen der genetischen Veränderung, die in Deutschland ohne zusätzliche Risikoprüfung und auch ohne Kennzeichnung erlaubt sind“, argumentiert Metzlaff. Bei dieser sogenannten Mutagenese werden mithilfe von Chemikalien oder elektromagnetischer Strahlung Mutationen im Erbgut von Pflanzen ausgelöst. Forscher prüfen danach direkt in der DNA, ob sich die gewünschte Mutation entwickelt hat. Mit den passenden Organismen wird dann weitergearbeitet.

„Konventionelle Mutagenese ist von der EU-Richtlinie ausgenommen mit der Begründung, dass sich die Verfahren über lange Zeit als sicher bewährt haben“, sagt Professor Tade Matthias Spranger, der sich an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn unter anderem mit der Regulierung der Gentechnologie beschäftigt.

In einer Analyse für das Bundesamt für Naturschutz kam der Jurist 2015 zu dem Schluss, dass mit der Gen-Schere bearbeitete Organismen in jedem Fall unter die bestehende EU-Richtlinie fallen. Die Behandlung mit Chemikalien oder Strahlung würde schon seit rund 100 Jahren eingesetzt. Dieses Kriterium würde die Gen-Schere nicht erfüllen. „Langzeiteffekte sind bislang nicht erforscht“, sagt Spranger.

Neue Sorten trotzen Krankheiten, Hitze und Wassermangel

Befürworter der Ausnahmeregelung für Crispr wünschen sich eine rechtliche Gleichstellung mit der Mutagenese. Unter anderem weil es dabei kaum oder in deutlich kleinerem Ausmaß zu unerwünschten Mutationen komme. „Präzise“ ist dabei meist das Wort der Wahl. „Das lässt mich aufhorchen“, sagt Spranger. „Bei Menschen und bislang auch bei Tieren sind solche Eingriffe wegen unabsehbarer Effekte verboten. Wie können die gleichen Methoden bei Pflanzen stabil und präzise sein?“

Deutlich euphorischer beurteilt man die Lage in Julia Klöckners (CDU) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Sogenannte Neue Züchtungstechniken wie die Gen-Schere hielten ein Innovationspotenzial bereit, das die klassische Züchtung ergänzen könne, heißt es auf der Internetseite des Ministeriums. Es könnten neue Sorten entwickelt werden, die Krankheiten, Hitze und Wassermangel trotzten und antiallergen seien. Mit klassischen gentechnischen Methoden sei die Zucht solcher Pflanzen bisher teuer und aufwendig gewesen – auch wegen der Gentechnikregulierung.

Kennzeichnung auf Produkten muss diskutiert werden

„Bei entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen“ ließen sich mit den neuen Züchtungsmethoden wirtschaftliche Verbesserungen erzielen. Ob und wie Verbraucher erkennen können, ob ein Produkt mit der Gen-Schere bearbeitet wurde, müsse mit den anderen Mitgliedstaaten diskutiert werden, wenn der EuGH entsprechend entscheide. Es gebe mehrere Optionen – die nicht näher beschrieben werden.

Ob sich diese Vision mit dem Koalitionspartner verwirklichen lässt, bleibt abzuwarten. „Die SPD will eine Sicherheitsüberprüfung für die neuen Techniken sowie eine Kennzeichnung der damit gewonnenen Produkte. Dies gilt auch, wenn der EuGH entscheiden sollte, dass sie nicht unter das Gentechnikrecht fallen“, sagt Carsten Träger, der für Gentechnik zuständige Berichterstatter der SPD-Fraktion.

Eine solche Kennzeichnung müsste neu geschaffen werden, glaubt Spranger. „Die Produkte nach irgendeiner anderen Richtlinie, zum Beispiel als neuartiges Lebensmittel (Novel Food), zu kennzeichnen, ist praktisch nicht möglich, wenn eine Veränderung nicht nachweisbar ist.“