Berlin. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichts könnte künftig seltener und kürzer fixiert werden. Das stärkt die Rechte psychisch Kranker.

Kranke dürfen gegen ihren Willen nur dann ans Bett gefesselt werden, wenn ein Richter dies genehmigt. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Wiewohl der Zweite Senat allein über zwei Patientenklagen aus Baden-Württemberg und Bayern geurteilt hat, dürfte jedes Bundesland seine Gesetze und die Praxis in der Psychiatrie überprüfen.

Wird ein Mensch an fünf oder sieben Punkten fixiert – an Armen, Beinen, Bauch, Brust und Stirn –, wird er in seinen Freiheitsrechten verletzt. In der Regel kann der Arzt vorher nicht einen Richter einschalten. Er hat es in einer akuten Notsituation mit jemand zu tun, der andere oder sich selbst gefährdet. In der Praxis wird er erst handeln und sich danach an die Justiz wenden.

Der Arzt muss die Zustimmung eines Richters nachträglich auf jeden Fall einholen, wenn die Fixierung absehbar länger als eine halbe Stunde andauern wird. Wie das Gericht auf diese Frist gekommen sind, blieb unklar.

Unterschiedliche Rechtsgrundlagen

Zur Rolle der Richter erklärte der Zweite Senat, sie könnten „aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit“ die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am „besten und sichersten wahren“. Allein, ein Jurist ist kein Mediziner – in der Praxis wird sich jeder Richter wohl auf die Facheinschätzung des jeweiligen Arztes verlassen müssen.

In Bayern gibt es keine spezielle Rechtsgrundlage für Fixierungen – in Baden-Württemberg hat der Arzt das letzte Wort. Beiden Ländern gab das Gericht bis zum 30. Juni 2019 Zeit, „einen verfassungsgemäßen Zustand“ herbeizuführen. Diese Sorge hat Berlin nicht, Fixierungen standen hier schon bisher unter Richtervorbehalt.

Berlin wird prüfen, ob die Praxis mit allen Vorgaben des Gerichts übereinstimmt. Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sagte dieser Redaktion, man werde schnellstmöglich im Gesetz regeln, dass eine Fixierung unterhalb von 30 Minuten nicht unter Richtervorbehalt stehe.

Für manche Patienten eine bedrohliche Situation

Die Länder müssen täglich einen richterlichen Bereitschaftsdienst sicherstellen, zumindest von sechs bis 21 Uhr, wie es im Urteil heißt. Wenn jemand in der Nacht eingeliefert wird und fixiert werden muss, wird der Richter „im Regelfall erst am nächsten Morgen“ entscheiden können. Die beiden Kläger in Karlsruhe waren stundenlang fixiert worden, teilweise länger als einen Tag.

Die Karlsruher Richter berücksichtigten, dass die Betroffenen sich hilflos und ausgeliefert fühlen, zumal sie selbst für die „Befriedigung natürlicher Bedürfnisse völlig von der rechtzeitigen Hilfe durch das Pflegepersonal“ abhängig seien, wie es mitfühlend im Urteil beschrieben wird.

Gerade psychisch Kranke empfänden „eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht näher gebracht werden kann, häufig als besonders bedrohlich“. Selbst bei sachgemäßer Fixierung bestehe die Gefahr, „dass der Betroffene durch die längerdauernde Immobilisation Gesundheitsschäden wie eine Venenthrombose oder eine Lungenembolie erleidet“.

Gericht stärkt Rechte von psychisch Kranken

Fixierungen sind in der Psychiatrie das letzte Mittel, schon wegen des hohen Aufwands. Vermutlich wird das Urteil zur Folge haben, dass künftig seltener und kürzer fixiert wird; und Maßnahmen genau erfasst werden. Schon deswegen, weil Betroffene „nach Beendigung der Maßnahmen auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfungen“ hingewiesen werden müssen.

Fazit: Das Gericht stärkte die Rechte von psychisch Kranken. Selbst, wenn sie nicht voll „geschäftsfähig“ sind, gilt für sie Artikel 2 Grundgesetz: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“

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