Fixierungen von Patienten müssen nun in der Regel richterlich angeordnet werden. Das Verfassungsgericht urteilte über zwei Beschwerden.

Patienten in der Psychiatrie dürfen für längere Zeit nur nach einer richterlichen Entscheidung ans Bett gefesselt werden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag. Zwei Betroffene aus Bayern und Baden-Württemberg hatten Verfassungsbeschwerden eingereicht.

Wenn eine Fixierung an Beinen, Armen und Bauch – in einigen Fällen zusätzlich um Brust und Stirn – absehbar nicht weniger als eine halbe Stunde dauert, reicht die Anordnung eines Arztes nicht aus. Wird eine Fixierung in der Nacht vorgenommen, muss eine richterliche Entscheidung am nächsten Morgen eingeholt werden.

Die Fixierung eines Patienten sei ein Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person nach Artikel 104 des Grundgesetzes, sagte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle. Sie sei nur als letztes Mittel zulässig. Über die Unterbringung von Patienten in der geschlossenen Psychiatrie entscheidet in Deutschland ein Richter. Der Zweite Senat gibt den Ländern Bayern und Baden-Württemberg bis zum 30. Juni 2019 Zeit, verfassungsgemäße Rechtsgrundlagen zu schaffen. (Az. 2 BvR 309/15 u.a.)

Ein Überblick über die Hintergründe:

• Wer sind die Beschwerdeführer?

Zwei Männer aus Bayern und Baden-Württemberg wehrten sich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Art der Behandlung. Ein Betroffener wurde in München acht Stunden lang an Füßen, Händen, Bauch, Brust und Kopf so am Bett fixiert, dass er nicht einmal mehr den Kopf bewegen konnte. Er war stark betrunken. In Baden-Württemberg hatte ein Mann in der Psychiatrie mit Gegenständen geworfen. Deswegen wurde er über mehrere Tage zeitweise festgebunden.

• Gibt es Zahlen?

Kaum. Eine Verfassungsrichterin gab an, in Baden-Württemberg seien es 2016 rund 17.600 einzelne Fälle von Fixierungen bei 5300 Patienten gewesen. Auch in klinischen Bereichen außerhalb der Psychiatrie spielen Fixierungen eine Rolle, etwa wenn Patienten nach Operationen verwirrt sind. Viele Betroffene empfänden den Verlust ihrer Bewegungsfreiheit als erniedrigend, berichteten Experten.

• Wie lautete die bisherige Rechtslage?

Für die Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie war ein richterlicher Beschluss erforderlich. Für die anschließenden Fixierungen reichte dann in den meisten Bundesländern die Anordnung eines Arztes. In einigen Ländern gab es bereits zuvor den sogenannten Richtervorbehalt. Dort mussten die Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit von einem Richter geprüft werden. Auch Bayern wollte eine entsprechende Regelung mit einer Gesetzesnovelle einführen.

Die Beschwerdeführer stützten sich auf die Artikel 2 und 104 des Grundgesetzes zur Freiheit der Person. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hatte schon in der mündlichen Verhandlung von der staatlichen Freiheitsentziehung als die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung gesprochen. Sie sei nur in besonderen Fällen verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

• Welche Alternativen zur Fixierung gibt es?

Pfleger und Ärzte setzen in kritischen Situationen mit Patienten zunächst auf Deeskalation. Experten aus der psychiatrischen Praxis hatten bei der mündlichen Verhandlung berichtet, dass nur als letztes Mittel zur Fixierung gegriffen werde, wenn Patienten sich oder andere gefährden und nicht anders zu beruhigen sind.

Wie andere Länder mit solchen Fällen umgehen – körperliches Festhalten in Großbritannien, Isolierung in den Niederlanden oder Zwangsmedikation – wurde unterschiedlich beurteilt. Einig sind sich Fachleute, dass mehr Personal das Problem verkleinern könnte. (dpa)