Berlin. Mesut Özil hat zu lange mit einem Statement zu seinem Erdogan-Foto gewartet. Was nun kam, ist eine persönliche Abrechnung ohne Gehalt.

Die Erklärung, mit der Mesut Özil seinen Rücktritt aus der Fußball-Nationalmannschaft bekannt gibt, ist nicht nur in ihrer Wucht einzigartig. Auch die Absolutheit, mit der sich da eine öffentliche Person jeglichem Dialog verweigert, ist neu. Özil ist ein medialer Coup gelungen, indem er vor einer weltweiten Öffentlichkeit auf Facebook und Twitter über den Tag verteilt die Aufmerksamkeit langsam gesteigert hat. Nach dem Paukenschlag ist er ans andere Ende der Welt geflogen.

Seine Facebook-Seite wird von 32 Millionen Menschen verfolgt. Seinen Twitter-Kanal haben 23 Millionen abonniert. Özil und seine Berater haben das größte Publikum gewählt, um über Rassismus in Deutschland zu klagen, den Fußballbund und die Medien zu kritisieren und seinen Rücktritt zu begründen. Zwei Monate hat Özil geschwiegen, als es um das umstrittene Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan ging. Jetzt hat er die mediale Superbombe gezündet. Dass er dies nur in englischer Sprache macht, schafft – bewusst oder unbewusst – die größtmögliche Distanz zu Deutschland.

Özil scheinen die Folgen des Textes egal zu sein. Hat er, der stets wortkarg auftritt, ihn überhaupt allein geschrieben? Jedenfalls macht er deutlich, dass er mit niemandem diskutieren will. Persönlich sind der Frust und die Wut, die er hinausbläst, nachvollziehbar. Einiges von seiner Kritik – etwa die am Verhalten der DFB-Spitze – ist ja richtig. Nur: Warum hat er sie nicht früher geäußert? Özils Schüchternheit reicht als Erklärung nicht. Jetzt schadet er sich selbst.

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Dass Özil Grundlegendes nicht erkennt, ist traurig

Inhaltlich ist es nicht ganz einfach, seine Vorwürfe zu sortieren. Auslöser und Mittelpunkt der Diskussion ist noch immer das Treffen mit Erdogan. Dass ein Foto davon im türkischen Wahlkampf „nichts mit Politik zu tun“ haben soll, wie Özil behauptet, ist naiv. Dass es ihm „egal“ gewesen sei, „wer Präsident war“, ist töricht. Und wer glaubt, dass es „ein Mangel an Respekt für die Wurzeln meiner Vorfahren bedeutet hätte (…), den Präsidenten nicht zu treffen“, der hat nicht verstanden, wie Staat und Gesellschaft in Deutschland funktionieren.

Die Freiheit in diesem Land besteht ja gerade darin, dass man sich einem Treffen mit einem Politiker auch verweigern kann. Man darf die Regierung sogar kritisieren. Dass Özil das nicht erkennt, ist traurig. Wie kann das sein, obwohl der 29-Jährige die Freiheiten, die es in der Türkei nur unzureichend gibt, selbst genießen kann – auch die Freiheit, anderen Rassismus vorzuwerfen? Özil antwortet darauf nicht.

Dass der Spieler enge persönliche Bindungen zur Türkei pflegt, sich mit türkischen Beratern und Managern umgibt und die Nationalhymne nicht mitsingt, kann man ihm nicht vorwerfen. Nur darf Özil dann, wenn er obendrein den türkischen Präsidenten trifft, nicht verwundert die Frage stellen, „warum die Leute nicht akzeptieren, dass ich Deutscher bin“. Auf der anderen Seite führt wohl gerade das von Migranten geschilderte Gefühl, trotz erfolgreicher Karriere nie zur deutschen Mehrheitsgesellschaft zu gehören, besonders zur Rückbesinnung auf eigene Wurzeln. Hassbotschaften, die auch Özil bekam, verstärken das.

Vielleicht hätte Özil versuchen sollen, sich und seine Gefühle für die Türkei besser zu erklären. Sein Publikum hätte er finden können. Vielleicht wollte er aber einfach nur Fußball spielen und viel Geld verdienen. Vielleicht war er auch nie das Beispiel für Integration, als das ihn Politiker gern gesehen haben. Integration lebt vom Dialog, vom Geben und vom Nehmen. Indem Özil seinem persönlichen Frust Luft gemacht hat, an sich selbst denkt und sich dem Gespräch verweigert, hat er sich aus Deutschland verabschiedet.