Berlin. Horst Seehofer hat nach dem Koalitionsstreit am Dienstag seinen Masterplan Migration vorgestellt. Ob er umgesetzt wird, ist fraglich.

Der Bundesinnenminister lächelt gequält und macht eine wegwerfende Handbewegung. Dass in seinem Masterplan Migration, den er am Dienstag in Berlin präsentiert, immer noch der Begriff „Transitzentren“ steht und nicht „Transitverfahren“, ist für ihn nicht von Bedeutung. Der Plan trägt das Datum 4. Juli und berücksichtigt ausdrücklich nicht den Beschluss von CDU, CSU und SPD vom 5. Juli.

Damals haben sich die Partner zum Ende der Regierungskrise darauf verständigt, nicht mehr von „Transitzentren“ zu reden, sondern von „Transitverfahren“. Seehofer macht klar, dass sich nur ein „paar Nuancen“ geändert haben und „Transitverfahren“ in Wahrheit nur ein anderer Begriff für „Transitzentren“ ist.

Das heißt nicht, dass er den Koalitionsplan nicht umsetzen will. Nur stamme der Masterplan aus seinem Ministerium – und eben nicht aus der Koalition, erklärt der Minister. Dass dieser Punkt für Irritationen sorgen könnte, will der CSU-Chef nicht verstehen. Die SPD zeigt sich jedenfalls empört:„Die Wiederholung eines Schmierentheaters wird zur Farce“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner kurze Zeit später.

Seehofers Masterplan enthält Verschärfungen und Angebote

Seehofer hat seine eigene Agenda. Und er vertritt sie zielstrebig. Sollten die vergangenen Wochen an ihm genagt haben, kann er es gekonnt verbergen. Er gibt sich entschlossen: Bis Ende Juli will Seehofer „Klarheit“ darüber bekommen, ob diverse EU-Länder bereit wären, Flüchtlinge zurückzunehmen.

Das ist die Voraussetzung, um den heiß diskutierten Plan der großen Koalition durchzusetzen: CDU, CSU und SPD wollen Migranten an der Einreise an der deutsch-österreichischen Grenze hindern, wenn sie schon woanders in Europa Schutz beantragt haben. Die Koalitionäre wollen ein solches sogenanntes Transitverfahren nur im Einverständnis mit europäischen Partnerstaaten in Angriff nehmen.

23 Seiten umfasst der Masterplan, 63 Punkte listet er auf, von der Entwicklungshilfe über die EU-Politik bis hin zu Seehofers ureigener Kompetenz, der Ausländerpolitik. „Ich lasse mich an jedem dieser Punkte messen“, beteuert er. Grob gesagt enthält das Papier nach innen zumeist Verschärfungen, aber außenpolitisch viele Hilfsangebote. Die Flüchtlinge sollen nicht erst in Europa aufgehalten werden. „Humanität beginnt in den Herkunftsländern.“ Und in den Transitländern.

Seehofer nimmt Koalitionseinigung nicht in Migrationsplan auf

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    Seehofer handelt aus Oppositionshaltung zu Merkel

    Seehofers übergeordnetes Ziel ist die „Asylwende“. Ein Weiter-so solle es nicht geben. Aus solchen Formulierungen wird deutlich, woher der frühere bayerische Ministerpräsident kommt: aus einer Oppositionshaltung zu Angela Merkels Willkommenskultur von 2015.

    Seehofer setzt sich mächtig unter (Zeit-)Druck. Mit Österreich, das seit dem 1. Juli den EU-Rat anführt, hat er längst Gespräche geführt. Die EU-Innenministerkonferenz steht in dieser Woche in Innsbruck an. Mit Spanien wurde am Montag, mit Griechenland am Dienstag verhandelt, als Nächstes kommt Italien. „Es werden schwierige Gespräche“, sagt Seehofer. Einen Etappenerfolg hat der Innenminister erzielt: Österreich hat sich bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen, die in der Alpenrepublik regis­triert worden sind. Das trifft allerdings nur auf eine kleine Teilmenge zu, nämlich 483 im ersten Halbjahr. Wohingegen fast 12.000 Migranten – zwei von drei Flüchtlingen – aus Italien und Griechenland kamen. Zum besseren Verständnis: Es gibt zwei Hauptfluchtrouten nach Europa, eine über die Türkei und Griechenland und eine über Nordafrika und Italien.

    Wie es weitergehen könnte, dazu gibt es zwei Szenarien. Plan A: Bis Ende Juli signalisieren wichtige Staaten ihre Bereitschaft, Deutschland zu helfen. Doch im August läuft die Verwaltung der EU und in Südeuropa erfahrungsgemäß auf Stand-by. Es ist der klassische Urlaubsmonat. Ab September würde man weiterverhandeln, im Idealfall im Herbst Verwaltungsabkommen unterzeichnen.

    Wie sieht Seehofers Plan B aus?

    Sollten sich wichtige Staaten querstellen, müsste Seehofer auf seinen alten Vorstoß zurückkommen und auf einen nationalen Alleingang pochen. Das hat er am Dienstag noch einmal untermauert. Seine Maxime: „Je weniger Europa leisten kann, desto mehr gewinnen nationale Maßnahmen an Bedeutung.“ Dieser Plan B könnte im Extremfall zu einer Neuauflage der erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb der großen Koalition, insbesondere in der Union, führen. Das ist aber nicht zwingend. Denn auch Kanzlerin Merkel, die sich bisher unabgestimmte Aktionen verbeten hat, müsste zur Kenntnis nehmen, dass ihr Innenminister versucht hat, sich mit Partnerstaaten ins Benehmen zu setzen.

    Schon in den nächsten Wochen soll das Bundeskabinett beschließen, die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, um Asylanträge aus der Region zügig ablehnen zu können. Das Problem ist nur, dass Seehofer auch dies nicht aus eigener Macht durchsetzen kann. Im Inland ist er auf den Bundesrat angewiesen, dort haben sich die Grünen stets quergelegt. Es wäre überraschend, wenn sie vor der Wahl in Hessen am 28. Oktober nachgeben würden. Seinen Masterplan will er auf der einen Seite „zügig“ umsetzen, auf der anderen Seite wagt er keine Pro­gnose, ob er den Tag überhaupt noch im Amt erleben wird. „Ich weiß nicht, was länger dauert“ – und damit, wer wen überlebt, der „Masterplan“ den Innenminister. Oder umgekehrt.