Minsk. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in Weißrussland die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Maly Trostenez eröffnet.

Es sind nur 400 Meter, aber für Frank-Walter Steinmeier ist es ein unendlich weiter, emotionaler Weg. Vorbei an der Nachbildung von vier Eisenbahnwaggons, deren Betonwände wie Mahnmale in den Himmel ragen. Vor mehr als 70 Jahren gingen in Maly Trostenez diesen Weg mindestens 60.000 Juden, von einem Bahnsteig im Niemandsland vor Minsk hinüber zu einem kleinen Wäldchen, wo sie von Nazi-Exekutionskommandos erschossen wurden. Andere starben dort in Lastwagen, die zu mobilen Gaskammern umgebaut worden waren.

„Der Schritt wird schwerer und schwerer, je näher man diesem Ort kommt. Das Wissen um das, was an diesem Ort geschehen ist, wird zur tonnenschweren Last“, sagte der Bundespräsident in Maly Trostenez im heutigen Weißrussland. Dort eröffnete Steinmeier am Freitag gemeinsam mit dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Gedenkstätte.

Maly Trostenez war lange so gut wie unbekannt

Das Auswärtige Amt gab dafür 500.000 Euro, die gleiche Summe steuerten die Deutsche Kriegsgräberfürsorge und Spender bei. Jahrzehntelang war Maly Trostenez, anders als Vernichtungslager wie Auschwitz, in der Weltöffentlichkeit so gut wie unbekannt. Dabei handelte es sich um die größte nationalsozialistische Vernichtungsstätte auf dem Boden der früheren Sowjetunion.

Die Mordkommandos der Nazis erreichten Maly Trostenez im Frühjahr 1942. Es war ein abgelegener Flecken, damals noch vor der Stadtgrenze von Minsk. Auf Befehl des federführend mit der „Endlösung der Judenfrage“ beauftragten SS-Mannes Reinhard Heydrich wird aus der ehemaligen „Kolchose Karl Marx“ ein Arbeits- und Vernichtungslager. Juden aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Polen, Widerstandskämpfer aus Weißrussland oder sowjetische Kriegsgefangene wurden mit Sonderzügen angekarrt.

Gelbe Plastikschilder erinnern an Opfer

Erschossen und vergast wurde im Wäldchen Blagowschtschina nur an Werktagen: „Züge, die an arbeitsfreien Tagen in Maly Trostenez ankamen, wurden nicht abgefertigt. Die Todgeweihten mussten warten, bis die Erschießungskommandos ihren Dienst am Montag wieder aufnahmen.“Während westliche Historiker von 60.000 Menschen ausgehen, die in Maly Trostenez ermordet wurden, waren es nach Schätzungen einer sowjetischen Kommission, die 1945 drei der 34 Massengräber von Blagowschtschina untersuchte, mehr als 200.000 Menschen gewesen sein.

Die Namen einiger von ihnen stehen auf gelben Plastikschildern, die an die Kieferstämme geheftet sind. Besonders emotional ist die Gedenkfeier für den früheren österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer und dessen Ehefrau Margit – mehrere ihrer Verwandten verloren hier ihr Leben.

Gauland-Äußerung wühlt Steinmeier auf

Mit Sorge beobachtete Steinmeier, dass mit dem Erstarken der Rechtspopulisten in Europa und dem Einzug der AfD in den Bundestag die Erinnerungskultur an den Holocaust verblassen könnte. Der AfD-Politiker Björn Höcke bezeichnete das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden als „Denkmal der Schande“, der AfD-Chef Alexander Gauland nannte die Nazizeit einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte.

Das wühlt den Sozialdemokraten Steinmeier auf: „Ich persönlich schäme mich für derartige Äußerungen. Ich schäme mich ebenso für verharmlosende Begriffe, die jüngst für die Zeit des Nationalsozialismus von deutschen Politikern verwendet wurden.“ Die, die so redeten, wüssten gar nicht, wie viel Anerkennung und Reputation, die Deutschland in Jahrzehnten bei seinen Nachbarn aufgebaut habe, dadurch zerstört werde. „Und wir sollten auch heute nicht vergessen: Das verantwortungslose Wort kann auch zur verantwortungslosen Tat führen“, warnt Steinmeier.

Lukaschenko machte den Weg für die Erweiterung frei

Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten habe das Ziel gehabt, das Land und die Menschen auch in Weißrussland auszulöschen. So hebt Steinmeier hervor, dass der autokratisch regierende Lukaschenko den Weg für die Erweiterung der Gedenkstätte frei gemacht habe: „Ich stehe heute vor Ihnen – als Bundespräsident, als Deutscher und als Mensch –, dankbar für die Zeichen der Versöhnung und voll Scham und Trauer über das Leid, das Deutsche über Ihr Land gebracht haben.“