Brüssel. Kanzlerin Angela Merkel ist jetzt darauf angewiesen, dass Staaten wie Italien und Griechenland zu einer Asyl-Vereinbarung bereit sind.

In der europäischen Flüchtlingspolitik geht es aktuell drunter und drüber, aber wenigstens eine gute Nachricht hatte die EU-Kommission am Montag zur Hand: Die Zahl der Asylbewerber in Europa geht weiter zurück. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sank die Zahl der Asyl-Erstanträge in der EU um 20 Prozent auf rund 176.000, wie der in Brüssel vorgelegte Bericht der europäischen Asylagentur Easo zeigt.

Der offizielle Report bestätigt damit einen Exklusiv-Bericht über die Daten, den diese Redaktion vor zwei Wochen veröffentlicht hatte.

Schon 2017 war die Zahl der Asylbewerber EU-weit um 44 Prozent zurückgegangen, für Deutschland kommt der Report sogar auf einen Rückgang um 70 Prozent. Allerdings bleibt der Zustrom höher als vor der Flüchtlingskrise 2014/15. Nicht nur deshalb dürften die Daten politisch unterschiedlich interpretiert werden. Denn der Report zeigt auch, dass Deutschland im sechsten Jahr in Folge mit Abstand das Hauptzielland der Asylbewerber in Europa ist: Der deutsche Anteil liegt bei einem Drittel, 220.000 Anträge waren es 2017 insgesamt. Dahinter rangieren Italien, Frankreich und Griechenland.

Merkel setzt auf bilaterale Verträge mit einigen Ländern

Kanzlerin Angela Merkel wird sich gewissenhaft über die Zahlen beugen: Schließlich hängt eine Lösung im Unionsstreit über die Asylpolitik voraussichtlich von diesen Ländern ab. Die Kanzlerin will eigentlich bis zum EU-Gipfel eine „europäische Lösung“ gefunden haben.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk sind hoch alarmiert, sie eilen Merkel jetzt zu Hilfe und versuchen in Gesprächen mit anderen Regierungschefs, eine europäische Einigung zu vermitteln. Damit der EU-Gipfel eine Asylreform beschließt, die auch die Weiterreise registrierter Asylbewerber erschweren würde, wäre aber fast ein Verhandlungswunder notwendig.

Merkel setzt deshalb in ihrer Not auf bilaterale Verträge mit ausgewählten Ländern wie Italien oder Griechenland. Die Deals sollen sicherstellen, dass die von der CSU geforderte Zurückweisung von Flüchtlingen wenigstens in geordneten Bahnen und rechtlich sauber verläuft. Möglicherweise gibt es dazu noch eine Sonderkonferenz betroffener Staaten, die EU-Kommission signalisiert ihre Unterstützung: Man sei „offen für alle Formate und Foren“, die Fortschritte ermöglichten, heißt es. Berichte, es sei bereits ein Treffen verabredet, werden aber dementiert.

Merkels Aussichten auf schnelle Abmachungen zur Rückübernahme von Flüchtlingen sind also durchwachsen. Die Zeiten fester Allianzen in der EU, auf die sich Merkel stützen könnte, sind vorbei, echte Verbündete hat die Kanzlerin in dieser Frage kaum. Aussichtslos sind ihre Bemühungen indes nicht. Nur: Für das Entgegenkommen einzelner Regierungen wird Deutschland einen Preis bezahlen müssen. Wer kann Merkel retten – und wie teuer werden die Deals?

• Italien

Große Hoffnungen setzt Merkel auf Ministerpräsident Giuseppe Conte, den sie am Montagabend zum Antrittsbesuch im Kanzleramt empfing. Die Flüchtlingspolitik steht für Conte ohnehin obenan. Das Land kämpft mit wieder steigenden Asylbewerberzahlen, 129.000 waren es im Vorjahr. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei hat Italien kaum entlastet. Generell ist in Rom die Enttäuschung über die EU groß – das Land fühlt sich alleingelassen, auch von Deutschland, das eine Reform des Asylsystems erst befürwortet, seit es selbst von der Flüchtlingskrise betroffen ist.

Conte steht zudem unter Druck seines rechtspopulistischen Innenministers Matteo Salvini, der die bisher verfolgten EU-Pläne für eine Asylreform generell ablehnt und eigene Vorstöße ankündigt. Bilaterale Verträge etwa mit Deutschland spielen in dieser Debatte keine Rolle. Stattdessen will Rom sich in der EU für „europäische Schutzzen­tren“ in den Ursprungs- und Transitländern der Flüchtlinge starkmachen. Das würde Merkel jetzt kaum helfen. Aber ein Deal ist nicht ausgeschlossen: Durchaus denkbar, heißt es, das Rom sich bereit erklärt, Tausende Asylbewerber aus Deutschland zurücknehmen, wenn Berlin im Gegenzug eine Wende in der Flüchtlingspolitik unterstützt.

• Griechenland

Premier Alexis Tsipras hat Merkels Flüchtlingspolitik gerade erst gelobt. Diese Politik sei „einer der positivsten Aspekte von Frau Merkel“. Griechenland beklagt zwar fehlende Solidarität vieler EU-Länder, rechnet Deutschland aber an, dass es seine Zusagen zur Übernahme von Flüchtlingen eingehalten hat. Athen zeigt sich auch mit Blick auf eine EU-Asylreform kompromissbereit, anders als Italien.

Allerdings haben die moderaten Töne auch mit besonderen Interessen zu tun: Griechenland fordert von der EU, dringend weitere Erleichterungen bei der Rückzahlung seiner Schulden, die durch die Euro-Rettung angehäuft wurden. Die EU-Finanzminister müssen in Kürze darüber entscheiden, im August läuft das Rettungsprogramm aus. Auch wenn jede Verbindung zwischen Flüchtlingspolitik und Schuldenerlass bestritten wird – ein Deal ist greifbar nahe.

• Österreich

Die Alpenrepublik muss Merkel mit ins Boot bekommen, denn die meisten bereits registrierten Flüchtlinge reisen über Österreich nach Deutschland ein. Macht Wien nicht mit, endet die Zurückweisung der Flüchtlinge im Chaos. Doch Merkels Verhältnis zum österreichischen Kanzler Sebastian Kurz ist angespannt; er war einer der schärfsten Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik, schmiedet beim Thema Migration jetzt Allianzen mit Ländern wie Ungarn.

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    Und mit Seehofer hat er sich geeinigt, eine „Achse der Willigen“ zu bilden. Allerdings verfolgt Kurz für die österreichische EU-Ratspräsidentschaft ab Juli eine ehrgeizige Agenda – will er hier Erfolg haben, braucht er Merkels Unterstützung. Vielleicht geht da was.

    • Frankreich

    Wenn Merkel überhaupt einen Verbündeten in Europa hat, dann ist es Präsident Emmanuel Macron. Bei vielen Differenzen im Detail sind sich beide wenigstens in der groben Richtung Europas einig. Sie wissen auch, dass sie um Europa willen im Krisenfall zusammenhalten müssen. Macron ist zwar enttäuscht, wie wenig Unterstützung er bei Merkel für seine weitreichenden EU-Reformpläne gefunden hat.

    Aber nichts muss er aktuell mehr fürchten als eine gelähmte deutsche Regierung. Macron wird, wenn er an diesem Dienstag in Meseberg mit Merkel zusammentrifft, Unterstützung anbieten bei der Suche nach hilfreichen europäischen Lösungen. Es trifft sich gut, dass dann auch Kommissionspräsident Juncker anwesend ist. Merkel braucht die Hilfe der beiden, zufällig wollen sie auch etwas von Merkel: Macron wie Juncker drängen zum EU-Gipfel auf Reformen der Wirtschafts- und Währungsunion, die die Kanzlerin bisher nur zögerlich unterstützte.