Wien/Berlin. Österreichische Medien haben eine Liste mit Regierungsstellen veröffentlicht, die vom BND bespitzelt wurden. Kurz fordert Aufklärung.

Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) hat offenbar in größerem Ausmaß als bisher bekannt die Telekommunikation zentraler Einrichtungen in Österreich überwacht. Das berichten das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ und die Wiener Tageszeitung „Der Standard“ unter Berufung auf interne Dateien des BND.

Danach hat der deutsche Auslandsgeheimdienst zwischen 1999 und 2006 insgesamt 2000 Telefon-, Fax- und Mobilanschlüsse sowie E-Mail-Adressen ausspioniert. „Der BND nahm Ministerien in Wien, Firmen, internationale Organisationen, islamische Einrichtungen ebenso wie Terrorverdächtige und Waffenhändler ins Visier“, schrieb der „Standard“ am Sonnabend.

Dass der BND in Österreich spioniert hat, ist seit etwa drei Jahren bekannt. Der Deutsche Bundestag hatte unter anderem deshalb in der vergangenen Wahlperiode einen Untersuchungsausschuss eingerichtet und im Jahr 2016 das BND-Gesetz geändert. Darin wurden die Möglichkeiten des BND, europäische Ziele zu überwachen, drastisch eingeschränkt. Für Aufregung sorgt im Nachbarland nun aber das Ausmaß dieser Spionage, das auch in Deutschland so noch nicht bekannt war.

Der BND hatte in Wien auch Botschaften im Visier

In Wien gab es wegen der Veröffentlichungen am Sonnabend ein Krisentreffen zwischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Beide verurteilten das Vorgehen des BND und forderten Aufklärung von der Bundesregierung. Man stehe bereits in Kontakt mit den deutschen Behörden, sagte Kurz: „Wir wollen wissen, wer überwacht wurde und wann dies beendet wurde. Und wir wollen Sicherheit haben, dass die Überwachung beendet wurde.“

Derzeit gebe es aber keine Indizien dafür, dass der BND weiterhin in Österreich spioniere. Kurz und Van der Bellen sprachen zwar von dem „enormen Ausmaß“ der Bespitzlung. Sie wollten aber beide nicht von einer diplomatischen Verstimmung mit Deutschland sprechen. Kanzler und Präsident verwiesen vielmehr auf die geänderte Rechtslage in Deutschland, wonach eine solche Aktion wie zwischen 1999 und 2006 jetzt nicht mehr zulässig wäre.

Alexander van der Bellen (l), Bundespräsident von Österreich, und Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler.
Alexander van der Bellen (l), Bundespräsident von Österreich, und Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler. © dpa | Hans Punz

Den Medienberichten zufolge hatte der deutsche Geheimdienst damals ein besonderes Augenmerk auf die in Wien beheimateten internationalen Einrichtungen gelegt. So soll der Geheimdienst bei den in Wien ansässigen Uno-Organisationen 128 Telekommunikationsanschlüsse überwacht haben. Auch 75 Botschaften seien ins Visier genommen, heißt es in den Berichten. Aufgelistet werden unter anderem die Vertretungen von Frankreich, Griechenland, Iran, Nordkorea, Russland und den USA.

Brisant sei auch, dass sich zahlreiche Firmen auf der Liste befänden, darunter auch Dependancen internationaler Unternehmen. Es stelle sich die Frage, „ob der BND über seine Zielaufgaben hinaus auch Wirtschaftsspionage in Österreich betrieben hat, um Deutschland einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen“, schrieb der „Standard“. Ein konkreter Verdacht der Wirtschaftsspionage ginge tatsächlich auch über das hinaus, was bisher in Deutschland bekannt war.

Grünen Politiker Notz: Problem für den BND

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags (PKG), das die Geheimdienste überwacht, beschäftigt sich bereits mit den neuen Vorwürfen. „Wir prüfen, ob die Vorwürfe neu sind oder ob sie Teil der schon 2015 bekannt gewordenen Vorwürfe sind“, sagte der PKG-Vorsitzende Armin Schuster (CDU) dieser Redaktion. Schuster kündigte erste Erkenntnisse bis Ende der kommenden Woche an. Eventuell werde das Gremium in der übernächsten Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

Der CDU-Politiker bekräftigte, dass es „oft weder verhältnismäßig, noch in der Sache erklärbar“ gewesen sei, dass der BND in der Vergangenheit andere europäische Staaten bespitzelt habe. Das geänderte BND-Gesetz setze nun „dem Dienst ganz andere Voraussetzungen als noch vor 2015“, sagte Schuster. Auch der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka verwies auf die geänderte Rechtslage. Er gehe davon aus, dass die Geheimdienstkontrolleure den Vorgängen in Österreich „zeitnah“ auf den Grund gehen und für umfassende Aufklärung sorgen.

Glasfaserkabel „flächendeckend“ nach Stichworten durchsucht

Der Vizevorsitzende des Kontrollgremiums, der Grünen-Politiker Konstantin von Notz, bewertete die Veröffentlichungen der österreichischen Medien deutlich kritischer. Für den BND sei es „ein Problem“, dass nun die elektronischen Suchmerkmale bekannt geworden sind, mit denen der Geheimdienst österreichische Quellen ausspioniert habe, sagte er dieser Redaktion. Die Bundesregierung habe diese „Selektoren“ dem Untersuchungsausschuss des Bundestags damals „nicht in einem ordentlichen Verfahren zur Einsicht zukommen lassen“, kritisierte von Notz.

Die Liste der nun bekannt gewordenen Suchmerkmale „offenbart die bestehenden, massiven Probleme mangelnder Rechtsstaatlichkeit der technischen Fernmeldeaufklärung im digitalen Zeitalter“, so von Notz. Praktisch alle Nachrichtendienste der Welt würden die Kommunikation über Glasfaserkabel „flächendeckend“ nach Stichworten elektronisch durchsuchen. Nötig sei deshalb ein größerer Schutz privater Kommunikation.

Aus Sicht des Grünen-Politikers habe die große Koalition den im Grundgesetz verankerten Schutz der Kommunikation bisher nicht in ausreichendem Maße auch in der digitalen Welt anerkannt. Damit werde nicht nur das Vertrauen in den gegenseitigen rechtsstaatlichen Umgang von befreundeten Staaten geschwächt, sondern auch „das Vertrauen in die Sicherheit und Vertraulichkeit unserer digitalen Infrastrukturen“, kritisierte er.