Berlin. Ohne Zugeständnisse Merkels wird die aktuelle Krise nicht zu bewältigen sein. Sie muss Seehofer eine gesichtswahrende Lösung anbieten.

Wer geglaubt hat, Washington oder Pjöngjang hätten ein Monopol auf skurrile Machtdramen und Polit-Irrsinn, muss nicht mehr so weit blicken. In der deutschen Hauptstadt, bis vor kurzem politisch wahrscheinlich der stabilste Ort der Welt, herrscht plötzlich Endzeitstimmung. Die Regierung steht wegen des ungelösten Streits um die Flüchtlinge am Abgrund. Wenn nicht Vernunft einkehrt, könnte sie schon am Montag einen Schritt weiter sein.

Dabei wäre es Wahnsinn, eine bürgerliche Regierung nach nicht einmal 100 Tagen im Amt zu sprengen und in Zeiten chaotischer Weltpolitik in ungewisse Neuwahlen zu gehen. Beide Partner – Union und SPD – könnten den maximalen Schaden davontragen. Größter Profiteur wäre mutmaßlich die AfD. Deren Sympathisanten imponieren die Muskelspiele von Seehofer und Co. wenig. Sie würden beim Thema Flüchtlinge eher gleich das „Original“ wählen.

Auch für den Bundesinnenminister hat eine Eskalation eigentlich wenig Reiz und käme politischem Selbstmord gleich. Schmeißt Merkel den Bayern raus, würden Markus Söder und Alexander Dobrindt sofort versuchen, nach dem CSU-Vorsitz zu greifen. Seehofer wäre dann endgültig Geschichte und kann nur noch auf seiner Eisenbahnplatte die Weichen stellen. Angela Merkel wiederum hat sicher keine Lust auf Neuwahlen – und Rücktritt? Wer mit so etwas rechnet, kennt die Kanzlerin schlecht.

Eindruck der Geschlossenheit in CDU täuscht

Aber wie kann eine Lösung aussehen? Fest steht: Die Kanzlerin wird sich dieses Mal bewegen müssen. Noch einmal – wie beim jüngsten Streit um die Obergrenze - wird sie Horst Seehofer nicht ihren Willen aufzwingen können. Der CSU-Chef kann gar nicht mehr zurück, sonst läuft er bei den eigenen Leuten wie ein Soldat beim Rückzug in „friendly fire“.

Asylstreit –platzt jetzt die Regierung?

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    Angela Merkel muss Seehofer also noch dieses Wochenende eine gesichtswahrende Lösung anbieten. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie das tun wird. Zu groß ist die Unruhe auch in den eigenen Reihen, das spürt die Kanzlerin. Denn der Eindruck der Geschlossenheit unter den CDU-Abgeordneten täuscht.

    Der Kitt für den Zusammenhalt in der CDU ist die Empörung über das Verhalten der CSU. Von ihr, das lehrt die Parteigeschichte, wollte man sich noch nie vorführen lassen. Inhaltlich sind allerdings mehr CDU-Politiker bei Seehofer als Angela Merkel lieb sein kann. Kaum einer will in seinem Wahlkreis noch vertreten, dass Vorbestrafte oder auch Migranten ohne Chance auf Asyl so schnell in Deutschland landen können und gleichzeitig so schwer wieder abzuschieben sind.

    Frist für gerechte Verteilung von Flüchtlingen ist überfällig

    Jetzt, auf dem Höhepunkt einer Krise, wäre die beste Gelegenheit für die Kanzlerin, gewaltig Druck auf die Regierungen Europas zu machen. Nach dem Motto: „Wenn Ihr nicht mitzieht, ist Schluss mit dem deutschen Sonderweg. Ob ich will oder nicht.“

    Denn natürlich kann es auf Dauer nicht gut gehen, dass die europäischen Nachbarn Deutschland beim Thema Flüchtlinge derart hängen lassen wie derzeit. Eine wirklich ernst gemeinte Frist für das Umsetzen einer gerechten Verteilung von echten Flüchtlingen und eines verbesserten Grenzschutzes in Europa ist überfällig. Sie könnte jetzt die Lösung dieser Regierungskrise sein. Denn auch in Wien, Paris, Budapest und Prag ist klar: Auf Dauer ist Flüchtlingspolitik zu Lasten Deutschlands nicht durchzuhalten. Und ein Deutschland ohne Angela Merkel würde die eigenen Probleme mit Migranten eher dramatisch vergrößern als verkleinern.