Berlin. Über einen späteren Renteneintritt muss gesprochen werden. Aber das Thema ist emotional – und der Debatte fehlt es an Sachlichkeit.

Von Franz Müntefering stammt der Satz, dass man kein Mathematiker sein müsse, um den Handlungsbedarf bei der Rente zu erkennen. „Da reicht Volksschule Sauerland“, sagte der ehemalige Arbeitsminister und Vorsitzende der SPD im Jahr 2006. Anschließend führte Müntefering in der damaligen großen Koalition die Rente mit 67 ein.

Inzwischen redet die Politik über die Rente mit 69 Jahren. Der Verband der Versicherungswirtschaft lässt wissen, dass die Diskussion darüber „kein Tabu“ sein dürfe. Das ist richtig. Die Frage muss aber eher heißen: Wie ­sollte man darüber diskutieren?

Im Kern ist die Lage bei der Rente noch immer so, wie Müntefering sie beschrieben hat: Die Menschen leben immer länger und beziehen deshalb immer länger Rente. Gleichzeitig gibt es immer weniger Nachwuchs, der Beiträge in die Rentenkasse zahlt. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, erklärt sich tatsächlich von selbst.

Viele Menschen haben Angst, im Alter zu verarmen

Die Rente ist ein hoch emotionales Thema. Es geht dabei um die Bilanz und die Anerkennung eines ganzen Arbeitslebens. Viele Menschen haben Angst davor, mit dem Ersparten und der Rente später nicht auszukommen. Die Diskussion über längere Arbeits­zeiten und auch über sinkende Rentenniveaus ist deshalb mit größter Vorsicht zu führen. Trotzdem ist sie bitter nötig.

Arbeitsminister Hubertus Heil tut gut daran, die Suche nach einem „neuen Generationenvertrag“ zunächst in eine Kommission auszulagern. Sie wird am heutigen Mittwoch das erste Mal tagen und soll zwei Jahre Zeit bekommen.

Dass diese Kommission vor allem mit Politikern besetzt ist und ihr Abschlussbericht unmittelbar vor dem nächsten Bundestagswahlkampf erscheinen wird, ist allerdings kein gutes Zeichen. Die Versuchung von SPD und Union, die Rente als Wahlkampfthema zu nutzen, wird groß sein. Die Verun­sicherung wird dadurch eher größer werden. Ob sich mit dem Thema Stimmen gewinnen lassen?

Die Rente mit 67 ist noch nicht einmal komplett eingeführt

Was der Rentendebatte fehlt, ist Sachlichkeit. Das zeigt sich gerade bei der Debatte um die Lebensarbeitszeit. Gefühlt gibt es die Rente mit 67 schon ewig. Ein Blick auf die aktuelle Lage zeigt aber, dass sie noch nicht einmal zur Hälfte eingeführt ist. Die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist aktuell erst bei 65 Jahren und sechs Monaten angekommen.

Erst im Jahr 2031 müssen alle Arbeitnehmer mit 67 in Rente gehen. Das ist in 13 Jahren! Die Menschen, die das betrifft, sind erst 1964 oder später geboren. Die Rente mit 69 Jahren würde, wenn man sie nach vergleichbarem Muster einführen würde, erst in 40 Jahren in vollem Umfang gelten. Das ist eine lange Zeit.

Trotzdem ist es wichtig, schon jetzt auf diese Jahre zu schauen. Denn bis dahin wird die Lebenserwartung weiter steigen. Schon jetzt ist es so, dass jemand, der heute 65 Jahre alt ist, sehr gute Chancen hat, noch mindestens seinen 84. Geburtstag zu erleben.

Er ist fitter und gesünder als seine Eltern und Großeltern. Das bedeutet nichts anderes, als dass er fast 20 Jahre lang Rente beziehen wird. Auch das ist eine ziemlich lange Zeit, die finanziert werden muss. Das war Münteferings Kernfrage, die auch jetzt immer wieder neu beantwortet werden muss.

Niemand will noch länger arbeiten

Sicher: Wer jetzt im Job steht, der will nicht hören, dass er noch länger den Rücken krumm machen soll. Irgendwann ist Schluss – und viele Menschen erreichen auch jetzt noch nicht einmal die geltende Rentengrenze. Aber wenn jetzt über die Rente mit 69 diskutiert wird, dann betrifft dies eben nicht die aktuell arbeitende Generation. Und: Je solider die Rente finanziert ist, desto mehr Geld steht bereit für die Menschen, die wirklich nicht mehr arbeiten können.