Berlin. Eine Kommission berät nun über die Zukunft der staatlichen Altersvorsorge. Eine Prognos-Studie zeigt die Handlungsmöglichkeiten auf.

Hubertus Heil ist in der Bundesregierung der „Rentenminister“. Offiziell ist der SPD-Politiker für „Arbeit und Soziales“ zuständig, aber die gesetzliche Rentenversicherung ist eine der wichtigsten Aufgaben, die Heil hat. Die Rente verbraucht auch am meisten Geld aus dem Bundeshaushalt, derzeit sind es rund 100 Milliarden Euro oder ein Drittel des gesamten Etats. Kein Minister hat Verantwortung für mehr Geld.

Geht es nach dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dann kann jetzt jeder „Rentenminister“ sein. Oder zumindest so tun. Zusammen mit dem Forschungsinstitut Prognos hat der Branchenverband eine gleichnamige Internetseite entwickelt, auf der jeder an den Stellschrauben drehen kann, die auch der Politik für die nächste Rentenreform zur Verfügung stehen. Sichtbar wird dann anschließend, welche Wirkungen eine Anhebung des Rentenniveaus, ein höherer Rentenbeitrag oder eine längere Lebensarbeitszeit haben – und was sie kosten.

Der Favorit der Versicherungswirtschaft und auch der Fachleute von Prognos ist ganz eindeutig eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 69 Jahre. Diese dürfe angesichts einer steigenden Lebenserwartung kein Tabu sein, forderte der für die Altersvorsorge zuständige GDV-Geschäftsführer Peter Schwark.

„Die Verlängerung sollte auf die Agenda der Rentenkommission der Bundesregierung“, verlangte Oliver Ehrentraut, Vizedirektor bei Prognos. Die Rentenkommission war von Minister Heil eingesetzt worden und tagt an diesem Mittwoch das erste Mal. Sie soll einen neuen „verlässlichen Generationenvertrag“ erarbeiten. Das ist ihr Auftrag aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD. Es ist also kein Zufall, dass die Versicherungsbranche genau jetzt ihren „Rentenminister“ im Internet vorstellt.

Das Rechenmodell zeigt ganz anschaulich die Schwierigkeiten, vor denen die Kommission in den nächsten Monaten steht und an welchen Schrauben des Rentensystems sie drehen kann:

Das Rentenniveau

Es handelt sich dabei nicht um die Höhe der individuellen Rente. Gemeint ist vielmehr die Höhe der durchschnittlichen Rente im Vergleich zum durchschnittlichen Einkommen der Beschäftigten in einem bestimmten Jahr. Aktuell beträgt das Rentenniveau 48,5 Prozent. Bis 2025 sollen es mindestens 48 Prozent sein, das hat sich die große Koalition vorgenommen.

Damit das funktioniert, muss mehr Geld in die Kasse: Der Beitragssatz muss steigen – von jetzt 18,6 Prozent auf 20,6 Prozent im Jahr 2025 und auf 23 Prozent im Jahr 2030. Soll das Rentenniveau wieder 50 Prozent betragen, müsste der Beitragssatz sogar auf 23,8 Prozent steigen. Mehr noch: Auch der Zuschuss aus Steuergeld würde um bis zu acht Milliarden Euro steigen.

Beitragssatz

Hubertus Heil ist in der Bundesregierung der „Rentenminister“.
Hubertus Heil ist in der Bundesregierung der „Rentenminister“. © dpa | Ralf Hirschberger

Aktuell zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils 18,6 Prozent vom Bruttolohn in die Rentenkasse. Soll es dabei bleiben, stünde in den nächsten Jahren nicht viel mehr Geld zur Verfügung. Das bedeutet bei einer wachsenden Zahl an Rentnern: Die Leistungen müssten gekürzt werden. Wäre das so, dann ließe sich mit 19 Prozent Beitragssatz im Jahr 2030 nur noch ein Rentenniveau von knapp 40 Prozent bezahlen. In den folgenden Jahren wäre es sogar noch geringer.

Das Versprechen der großen Koalition, den Beitragssatz bis 2025 nicht über 20 Prozent steigen zu lassen, lässt sich nur umsetzen, wenn das Rentenniveau bis dahin auf weniger als 47 Prozent sinkt - was weniger wäre als die versprochenen 48 Prozent. Ein Beitragssatz von 20 Prozent im Jahr 2030 erscheint völlig unrealistisch: Den Berechnungen von Prognos zufolge könnte damit nur ein Rentenniveau von 42 Prozent finanziert werden.

Lebensarbeitszeit

Das ist die Schraube, die politisch am schwersten zu drehen ist. Würde man es dennoch tun, würde das Rentenniveau grundsätzlich weniger stark sinken und auch der Beitragssatz weniger stark steigen. Der Effekt tritt aber eher langfristig ein, weil sich eine mögliche Einführung ab 2030 oder sogar ab 2040 über Jahrzehnte hinziehen würde.

Der Bundeszuschuss

Weniger als die rund 100 Milliarden Euro, die bereits jetzt von allen Steuerzahlern in die Rente gesteckt werden, wird der Zuschuss nie mehr betragen. Mit wie viel Geld genau der Staat die Rentenversicherung bezuschusst, hängt vom Beitragssatz und vom Rentenniveau ab. Bleibt das Rentenniveau 2030 auf dem heutigen Stand von 48 Prozent, würde der Zuschuss – bei ebenfalls steigendem Beitragssatz – schon bei fast 118 Milliarden Euro liegen. 2040 wären es 170 Milliarden Euro.

Private und betriebliche Vorsorge

Die Altersvorsorge besteht nicht nur aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Es gibt auch die betriebliche und die private Vorsorge. Diese beiden Säulen werden vom „Rentenminister“ im Internet aber nicht abgebildet, obwohl sie in den vergangenen Jahren zunehmend wichtiger geworden sind und die Politik sie auch immer stärker gefördert hat. Auch jetzt verlangt die Versicherungswirtschaft eine Anpassung der privaten Vorsorge. Die Riester-Rente müsse einfacher werden und mehr Menschen als bisher erreichen, forderte GDV-Geschäftsführer Schwark.

Für den ehemaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der jetzt Sozialexperte der Unionsbundestagsfraktion ist und ab diesem Mittwoch in der Rentenkommission mitarbeiten wird, hat die nächste Rentenreform ein klares Ziel: „Für die Union ist von zen­traler Bedeutung, dass die Rente für Jung und Alt verlässlich bleibt.“ Die Kommission werde die Zeit nach 2025 in den Blick nehmen. Das werde „erhebliche Anstrengungen“ bedeuten, so Gröhe. Es bestehe aber in der Kommission in den nächsten Monaten „die Chance, die Grundlagen für einen nachhaltigen Rentenkonsens zu legen.“