Kiew/Berlin. Der vorgetäuschte Mord an dem russischen Reporter Arkadi Babtschenko wirft Fragen auf – auch die nach der Glaubwürdigkeit der Akteure.

Wer scheinbar von den Toten wieder aufersteht, muss sich Fragen gefallen lassen. Doch Arkadi Babtschenko, der vermeintlich hinterrücks erschossene russische Journalist, wollte am Tag nach seiner wundersamen Wiederkehr erst einmal ausschlafen.

Wieder erwacht, wandte er sich via Facebook an die staunende Welt: „Gott, wie toll es ist, nicht mehr Zielscheibe zu sein!“ Jetzt kämen „die besten Monate seit Jahren“ für ihn. Denn: Wer immer ihn töten wolle, brauche nun einen neuen Plan. Dann postete Babtschenko: „Bei der nächste Attacke gehe ich bestimmt drauf.“ War das nur Ironie oder eine Vorahnung? Und wenn es so käme: Wer würde einer neuerlichen Todesnachricht noch glauben?

Die vorgetäuschte Ermordung des Arkadi Babtschenko, die sich als Inszenierung des ukrainischen Geheimdienstes SBU entpuppte – sie wirft viele Fragen auf und sorgt für heftige internationale Diskussionen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete sie am Donnerstag als „zumindest sonderbar“. Das Ganze sei ein Spektakel, um neue Stereotype über das angeblich aggressive Wesen Russlands aufzubauen, sagte der russische Senator Franz Klinzewitsch. Christoph Deloire, Generalsekretär der „Reporter ohne Grenzen“, beschwerte sich: Es sei immer gefährlich, wenn ein Staat mit den Fakten spiele, „erst recht auf Kosten von Journalisten“.

Geheimdienst genießt beim Volk kaum Vertrauen

Laut SBU-Chef Wasili Grizak hatte der russische Geheimdienst einen ukrainischen Donbass-Veteranen angeworben, um Babtschenko für 30.000 Dollar zu ermorden; insgesamt sollten etwa 30 Menschen umgebracht werden. Präsident Petro Poroschenko lobte den SBU für die „glänzende Operation“. Doch in der Ukraine rumort es.

Ukrainische Journalisten stoßen am Mittwoch in Kiew auf dem Unabhängigkeitsplatz mit Champagner an, nachdem sie erfahren haben, dass der russische Journalist Arkadi Babtschenko lebt.
Ukrainische Journalisten stoßen am Mittwoch in Kiew auf dem Unabhängigkeitsplatz mit Champagner an, nachdem sie erfahren haben, dass der russische Journalist Arkadi Babtschenko lebt. © dpa | Serg Glovny

Die Ungewissheit über die Identität der Hintermänner und ihre Kontakte nach Russland lassen Raum für Spekulationen. Heftig gestritten wird über den Sinn der fingierten Erschießung. SBU und Staatsanwaltschaft genießen beim Volk kaum Vertrauen, sie gelten als korrupt und willkürlich. „Jetzt wirft man uns überall in der Welt vor, wir produzierten Fake News“, beklagt sich ein ukrainischer Diplomat anonym. „Ein gefundenes Fressen für alle im Westen, die etwas gegen die Ukraine haben.“

Der krimtatarische Blogger Ajder Muschdabajew, ein enger Freund Babtschenkos, sagte unserer Redaktion, die an der Aktion beteiligten Geheimdienstler hätten wesentlich professioneller operiert als die PR-Abteilung des SBU. „Sie täuschten einen Datschen-Aufenthalt Arkadis und ein verstauchtes Bein vor, um den eigentlich zum Champions-League-Finale am vergangenen Sonnabend geplanten Mordversuch zu verzögern.“ Der Killer selbst kooperierte laut der Nachrichtenagentur Unian bereits seit Monaten mit dem SBU.

Babtschenko kennt sich aus mit gefährlichen Situationen

Arkadi Babtschenko, russischer Schriftsteller, Kriegsberichterstatter und Blogger, gilt als nervenstark. Er kämpfte als Soldat der russischen Armee in beiden Tschetschenien-Kriegen, schrieb später bedrückende Erzählungen darüber.

Auch ein Schlüsselerlebnis dort spielte an der Grenze zwischen Leben und Tod: Als freischaffender Kriegsberichterstatter im Donbass 2014, bei der Belagerung der Rebellenhochburg Slawjansk, schlugen ihn ukrainische Fallschirmjäger zusammen, stülpten einen Sack über seinen Kopf und simulierten seine Erschießung. Der Auslöser: Sein Gefährte, ein TV-Journalist aus Kiew, hatte die Vereinbarung gebrochen, keine Fotos mit den Gesichtern der Soldaten im Internet zu veröffentlichen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (links) unterhält sich mit dem russischen Journalisten Arkadi Babtschenko, der zuvor noch für tot erklärt wurde.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (links) unterhält sich mit dem russischen Journalisten Arkadi Babtschenko, der zuvor noch für tot erklärt wurde. © dpa | Mykola Lazarenko

„Ein Krieger“, schreibt das Internetportal meduzu.io über Babtschenko. Aber auch ein Pazifist und Rebell: Bei den Moskauer Anti-Putin-Protesten 2012 versuchte er vergeblich, gewaltfrei ein Zeltlager der Oppositionellen vor dem Kreml aufzuschlagen. Seit 2010 nutzte Babtschenko das Sozialnetz journalistisch, versammelte eine Leserschaft von 190.000 Abonnenten, die seine Arbeit durch Spenden finanzierten.

Maas fordert eine Aufklärung der Vorgänge

„Ich spüre weder Mitgefühl noch Bedauern“, schrieb er im Dezember 2016 nach dem Absturz einer russischen Militärmaschine auf dem Flug nach Syrien, bei dem 98 Menschen umkamen, meist Mitglieder einer Gesangs- und Tanzgruppe der Armee. „Sie flogen nach Syrien, um vor Piloten zu singen und zu tanzen, zur Hebung ihres Kampfgeistes, damit sie noch besser bombardieren.“ Als Reaktion startete ein staatlicher Fernsehsender eine Petition, Babtschenko auszubürgern; er landete als „Russophober“ auf Platz 10 einer schwarzen Liste des nationalistischen TV-Kanals Zargrads.

Der Blogger verließ Russland und kam über Prag nach Kiew. Dort kämpfte er nicht nur weiter gegen das Regime in Moskau, sondern erhob Kollektivschuld-Vorwürfe auch gegen liberale Oppositionelle.

Bundesaußenminister Heiko Maas flog am Donnerstag in die Ukraine. Er forderte die Aufklärung der Vorgänge. „Es wäre eine gute Gelegenheit, einen solchen, für viele Menschen absolut nicht nachvollziehbaren Vorgang rechtsstaatlich aufzuarbeiten“, so Maas.