stanbul. Die nationalistische Politikerin Meral Aksener ist die gefährlichste Gegnerin von Erdogan. Sie hat eine lange Karriere hinter sich.

IDass der türkische Staatschef ­Recep Tayyip Erdogan die regulär erst im November 2019 fälligen Parlaments- und Präsidentenwahlen auf den 24. Juni dieses Jahres vorzog, hat mehrere Gründe. Einer heißt Meral Aksener. Die Vollblutpolitikerin ist für Erdogan bei der Präsidentenwahl eine ernst zu nehmende Konkurrentin.

„Ich will Staatspräsidentin werden“, verkündete Meral Aksener bereits im vergangenen Oktober anlässlich der Gründung ihrer „Iyi Parti“, der „Guten Partei“. Für ihre Anhänger hat sie schon gewonnen: „Präsidentin ­Aksener“, skandieren sie jetzt bei den Kundgebungen, zu denen die Politikerin durchs ganze Land reist. Viele Bewunderer nennen sie respektvoll ­„Asena“ – nach der legendären Wölfin aus dem Ursprungsmythos der Türken.

Die 62-jährige Aksener ist keine politische Novizin. Von 1996 bis 1997 war die promovierte Historikerin Innenministerin: als erste Frau in diesem Amt. Später trat sie der ultranationalistischen MHP bei. Nach einer gescheiterten innerparteilichen Revolte gegen den MHP-Chef Devlet Bahceli wurden Aksener und Dutzende andere Dissidenten aus der Partei ausgeschlossen.

Zunehmend prekäre Wirtschaftslage

Aksener hat inzwischen viele frühere MHP-Wähler um sich gesammelt. Sie schöpft damit nicht nur Stimmen im nationalistischen Lager ab, auf das auch Erdogan angewiesen ist. Die fromme Muslima, die nach eigener Aussage keines der täglichen Pflichtgebete versäumt, wirbt auch um die Stimmen religiös-konservativer Wähler. Das macht sie für Erdogan besonders gefährlich. Neben der zunehmend prekären Wirtschaftslage dürfte es Akseners wachsende Popularität gewesen sein, die Erdogan bewog, die Wahlen überstürzt um 17 Monate vorzuziehen.

Aksener präsentiert sich als überzeugte Nationalistin und konservative Muslima. Bei ihren Kundgebungen zeigt sie ihr Markenzeichen, eine mit Henna auf die rechte Handfläche tätowierte türkische Nationalflagge. Aksener gibt sich volksnah und kampfeslustig. In Rhetorik und Schlagfertigkeit kann sie es mit dem Populisten Erdogan durchaus aufnehmen. Obwohl nur zwei Jahre jünger, scheint Aksener im Vergleich zu dem seit bereits 15 Jahren regierenden Erdogan eine neue, frische Politikergeneration zu verkörpern.

Sollte sie Erdogans Nachfolge antreten, will Aksener den seit Juli 2016 geltenden Ausnahmezustand aufheben. Den Übergang zum Präsidialsystem will sie rückgängig machen, die parlamentarische Demokratie wieder einführen und die EU-Beitrittsverhandlungen wiederbeleben.

Aksener will die „gespaltene Nation wieder einen“

Sie verspricht einen Schuldenerlass für überschuldete Familien, Arbeitslosengeld für Jugendliche, die nach der Schule keine Stelle finden, eine Reform des Bildungswesens und die Wiedereröffnung der Militärakademien, die Erdogan nach dem Putschversuch vom Sommer 2016 geschlossen hatte. „Ich will unsere zutiefst gespaltene Nation wieder einen“, sagt Aksener.

Dass Aksener im ersten Wahlgang am 24. Juni gegen Erdogan gewinnt, ist zwar ausgeschlossen – in jüngsten Umfragen kommt sie auf einen Stimmenanteil von rund 20 Prozent und liegt damit knapp hinter dem Kandidaten der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince. Aber Aksener könnte Erdogan so viele Stimmen konservativ-religiöser und nationalistischer Wähler abspenstig machen, dass der Amtsinhaber den erhofften Durchmarsch im ersten Wahlgang nicht schafft.

Sammeln die immerhin fünf Oppositionskandidaten am 24. Juni gemeinsam mehr als 50 Prozent der Stimmen – und danach sieht es in den meisten Umfragen aus –, werden die Karten neu gemischt. Dann müsste Erdogan zwei Wochen später in einer Stichwahl gegen Ince oder Aksener antreten. Für diesen Fall haben sich die beiden Politiker, deren Parteien sich für die Wahl in der oppositionellen „Volksallianz“ zusammengeschlossen haben, bereits gegenseitige Unterstützung versprochen.

Offen ist allerdings, wie fair die Wahlen überhaupt ablaufen werden. Unter dem Ausnahmezustand können die Behörden alle Versammlungen, also auch Wahlkundgebungen, nach Gutdünken verbieten. Überdies entschied die Wahlbehörde, dass auch nicht amtlich abgestempelte Stimmzettel gewertet werden dürfen. Damit sind Wahlfälschungen im großen Stil möglich.