Berlin. Die Zahl der Drogentoten ist leicht gesunken. Drogenbeauftragte Mortler schlägt Straffreiheit vor, wenn Abhängige Hilfsangebote nutzen.

Sie sind männlich, Mitte bis Ende 30 und haben eine gemeinsame Todesursache: eine Überdosis Heroin. So lässt sich ein Großteil der Menschen beschreiben, die in Deutschland am Konsum illegaler Rauschmittel sterben. 1272 Todesfälle durch illegale Drogen gab es im vergangenen Jahr, das waren 61 weniger als noch 2016.

Es ist das erste Mal seit 2012, dass die Zahl der Drogentoten gesunken ist, erklärt Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, bei der Vorstellung der Zahlen am Dienstag.

Besonders häufig sind drogenbedingte Todesfälle in den Großstädten: In Berlin lag die Zahl der Toten pro 100.000 Einwohner bei 4,7, in Köln bei 4,6 und Frankfurt bei 3,6. Doch selbst im Saarland lag diese sogenannte Belastungszahl bei 2,7 – und damit deutlich höher als der Bundesdurchschnitt von 1,5. 85 Prozent der Toten waren Männer. Auch wenn sie sich über den leichten Rückgang freue, sagt Marlene Mortler, stünden die verbliebenen Fälle für „großes Leid von Betroffenen und deren Angehörigen“.

Opioide sind für die meisten Überdosen verantwortlich

Auslöser dieses Leids ist in vielen Fällen ein Opioid: In fast zwei Dritteln der Todesfälle war Heroin oder ein Stoff mit ähnlicher Wirkung im Spiel. Opioide wirken sowohl entspannend als auch euphorisierend, reduzieren Schmerzempfinden und Angst – und können bei einer Überdosis zum Atemstillstand führen.

„Heroin ist nach wie vor die Hauptsubstanz, was den Tod durch Überdosis angeht“, erklärt Ludwig Kraus, Leiter des Instituts für Therapieforschung in München, der die Zahlen der vergangenen Jahre ausgewertet hat. Zwischen 2012 und 2016 waren Opioide für 65 bis 73 Prozent der Todesfälle durch Überdosis verantwortlich.

Trotzdem habe sich die „Gemengelage“ beim Konsum illegaler Drogen geändert, sagt Kraus. So spielen zunehmend synthetische Opioide und der Missbrauch von opioidbasierten Medikamenten wie Fentanyl eine Rolle. Doch auch die Zahl der Todesfälle wegen Kokain, das nicht zu den Opioiden zählt, war zuletzt gestiegen, von 32 Opfern 2016 auf 41 Tote im Jahr 2017.

Das Durchschnittsalter der Drogentoten steigt

Die Betroffenen werden dabei immer älter: Lag das Durchschnittsalter von Menschen, die wegen des Konsums illegaler Rauschmittel gestorben sind, 1997 noch bei 31 Jahren, war es 2017 schon bei 39 Jahren. Kraus erklärt das mit einer Alterskohorte, in der überdurchschnittliche viele Menschen abhängig sind und durch Maßnahmen wie Drogenersatztherapien länger leben. Auch wer an den Spätfolgen einer Sucht stirbt, wird in der Statistik des Bundeskriminalamts zu den Drogentoten gezählt. 2016 machten diese Fälle sechs Prozent der Gesamtzahl aus.

In rund einem Drittel der Todesfälle gab es Versuche, das Opfer zu retten. Laut Kraus spricht das dafür, das verschreibungspflichtige Notfallmedikament Naloxon auch an Laien abzugeben. Bislang dürfen nur Mediziner das Mittel einsetzen, das bei einer Überdosis die Atmung wieder in Gang bringen kann. In Bayern läuft derzeit ein Modellprojekt, bei dem nach einer Schulung auch Laien wie Freunde und Familie von Süchtigen das Nasenspray einsetzen dürfen.

„Es gibt nicht nur die eine Maßnahme, mit der wir dem Sterben durch illegale Drogen entgegenwirken“, erklärt Drogenbeauftragte Mortler am Dienstag. Nötig sei ein Paket aus reduziertem Angebot, Suchtprävention, niedrigschwelligen Angeboten vor Ort und guten Behandlungsmöglichkeiten. Doch selbst wenn all diese Angebote da sind: „Der Kontakt“, sagt Mortler, „findet häufig viel zu spät statt.“

Beauftragte will breitere Diskussion über Sucht

Die CSU-Politikerin wünscht sich deshalb eine engere „Verzahnung“ von Hilfsangeboten und Strafrecht. Wer wegen Drogenbesitz für den Eigenbedarf mit dem Gesetz in Konflikt gerate, „soll entscheiden können, ob er eine Beratung will oder die Sanktion“, jedenfalls solange sich die Sanktion im Bereich einer Geldstrafe bewege. Entsprechende Modelle, sagt Mortler, gebe es bereits in Österreich und Portugal.

Doch die Beauftragte macht auch klar, dass die Statistik der Drogentoten, die nur Todesfälle durch illegale Substanzen zählt, von Sucht in Deutschland ein unvollständiges Bild zeichnet. So starben im vergangenen Jahr 121.000 Menschen an den Folgen von Tabakkonsum, Alkohol war bei 70.000 Fällen im Spiel.

„Wir brauchen eine breitere Diskussion über Sucht und Drogen“, sagt deshalb Mortler. „Sucht darf nicht das am besten gehütete Familiengeheimnis sein.“ Drei Millionen Kinder würden in Deutschland in Familien leben, die von Sucht betroffen sind. „Diese Zahl“, sagt sie, „treibt mich um.“ Suchtfragen dürften nicht verdrängt werden, so Mortler, die in der zweiten Amtszeit ist. „Wir müssen das Thema oben auf der Agenda halten.“